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Des Teufels Steg: Seite 9

Was er sich jedoch auf jeden Fall heute noch überlegen wollte, bevor er mit dem Packen anfing, um morgen so früh wie möglich loszufahren, war ein Brief an Martha. Er wollte ihn unbedingt schreiben und seine Sicht der Dinge darlegen, ihr einfach erklären, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, sie mit dem Urlaub hereinzulegen. Sie musste es erfahren, denn gestern hatte sein benebelter Verstand ihn im Stich gelassen, sodass er nicht die richtigen Worte hatte finden können. Immerhin, sie waren drei Jahre zusammen gewesen und Wolfgang fühlte sich im Recht, ihr sein Herz ausschütten zu dürfen.

Er war nicht besonders schriftstellerisch begabt, um nicht zu sagen, er hatte gewisse Schwierigkeiten, einen halbwegs erweiterten Satz zu Papier zu bringen, und holte sich eine Flasche Wein aus der Vorratskammer, um seinen geistigen Fähigkeiten den nötigen Impuls zur Selbstentfaltung zu geben. Darüber hinaus fühlte er sich nach wie vor ein wenig verkatert, sodass ein paar Gläschen ihm die gewünschte Erleichterung bringen würden, hoffte er. Wolfgang setzte sich an den Tisch in der Küche, schenkte sich ein halbes Glas ein und trank es in einem Zug. Danach wartete er eine Zeit lang auf die einsetzende Wirkung des Alkohols, während er tiefsinnig auf das leere Blatt schaute, auf dem er gleich etwas schreiben wollte, und ging zu Werke, als ein mächtiger Geistesblitz ihn inspiriert hatte.

 

Liebe Martha, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Wenn du glaubst, ich habe dich absichtlich um dein Geld gebracht, ist es falsch. Es war nie meine Absicht. Es hat sich so ergeben. Entschuldige. Ich habe es dir nie gesagt, aber ich spare für eine OP. Deswegen. Ich verdiene zurzeit auch so nicht viel, muss aber das meiste zurücklegen. Sie haben bei mir vor fünf Jahren einen Tumor im Kopf festgestellt und der muss raus. Eine Krankenversicherung habe ich nicht. Das Ding wächst und es wird ernst, ich bekomme dauernd Schwindelanfälle und Kopfschmerzen. Wenn du denkst, dass ich immer auf deine Kosten leben wollte, ist es auch falsch. Es hat einen Grund. Ich hätte es dir erzählen sollen. Sei mir nicht böse. Ich akzeptiere deine Entscheidung. Ich nehme sie dir nicht übel. Morgen verlasse ich deine Wohnung. Du wirst keine Polizei brauchen. Es war eine schöne Zeit mit dir. Leb wohl. Dein Wolfgang, 13.08.1994

 

Er füllte das Glas erneut mit dem vergorenen Rebensaft, als er mit dem Schreiben fertig war, und trank gierig wie nach einem schweren Arbeitseinsatz. Ja, überlegte der frischgebackene Schriftsteller, so konnte man seine Gefühle ausdrücken. Es stimmte so weit alles in seinem Brief, er hatte mit keinem einzigen Wort gelogen.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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Je später der Abend wurde, desto weniger Lust zum Kofferpacken hatte Wolfgang, der Alkohol hatte ihn abermals in einen apathischen Zustand versetzt. Er sah ein Stündchen lang fern, während er Kartoffelchips aus der Tüte knabberte, die er noch in der Küche gefunden hatte. Es gab sonst nicht viel Essbares in der Wohnung, schließlich sollte er heute auch gar nicht hier sein, aber er hatte zum ersten Mal seit den Morgenstunden richtig Hunger bekommen, sodass die angebrochene Packung aus dem Küchenregal sehr willkommen war.

Aber alles nützte nichts, er musste seine Sachen packen, morgen in der Früh ging es los. Er ging zu dem Wäscheberg vor dem Bett im Schlafzimmer und schätzte den bevorstehenden Arbeitsaufwand und den erforderlichen Stauraumbedarf. Sein Koffer würde nie und nimmer reichen, um das Ganze unterzubringen, stellte er fest. Er begab sich in die Küche und griff in die Schublade, wo normalerweise eine Rolle Plastikmüllsäcke lag. Sie war nicht da! Entweder war die Rolle zu Ende gegangen, was er sich kaum vorstellen konnte, oder Martha hatte sie kurzerhand mitgenommen. Doch Not machte bekanntlich erfinderisch und so beschloss Wolfgang ein paar saubere Kissenbezüge als Säcke zu benutzen, um sie mit losem Kleinkram zu füllen, der nicht in den Koffer passte. Nein, um Gottes willen, er wollte Martha keine Bettwäsche stehlen, er brauchte sie nur, um die Sachen nach unten zu bringen. Dann hatte er vor, das »Zeug« einfach auf die Sitzbank hinten im Auto auszuschütten und die Bezüge zurückzubringen.

Es war schon fast Mitternacht, als Wolfgang endlich den letzten prallgefüllten Kissenbezug im Flur abstellte. Er war müde und wollte jetzt nur eins – schlafen. Zwischendurch hatte er die ganze Zeit immer ein paar Schluck Wein zu sich genommen, bis die Flasche schließlich leer geworden war. Er war nicht betrunken, aber übermäßiger Alkoholgenuss, zwei Tage in Folge, forderte seinen Tribut. Wolfgang musste wirklich dringend ins Bett, wenn er morgen fit sein wollte. Ohne seine Kleidung abzulegen, schlüpfte er unter die Tagesdecke und schlief auf der Stelle ein, sobald seine Wange das federweiche Kissen berührt hatte.

 

Ein neuer Tag brach an. Die Sonne kolorierte den Himmel am Horizont in goldfarbene Töne. Über der Stadt herrschte noch Stille, nur das eine oder andere Vögelchen war schon wach geworden und machte die ersten Stimmübungen fröhlich zwitschernd in den Bäumen entlang der Straßen. Wolfgang wurde wach. Doch heute ärgerte er sich nicht über die Vögel, die ihn am Sonntag nicht hatten ausschlafen lassen, es war Absicht gewesen, dass er das Fenster im Schlafzimmer für die Nacht auf Kipp gestellt hatte, er wollte heute mit den Vögeln aufstehen. Heute war der Tag, an dem ein neuer Abschnitt in seinem Leben begann, nicht mehr und nicht weniger. Gleichwohl fühlte sich der Tag in Wolfgangs Wahrnehmung eher gewöhnlich an, als er aufstand und sich in die Küche begab, um den Kaffee aufzusetzen. Man hätte schon alltäglich sagen können, denn als Erstes fiel sein Blick mit Unbehagen auf die Sachen im Flur, die nur darauf warteten, gleich nach unten geschleppt zu werden. Ansonsten ging es ihm gut. Er war frisch und guter Dinge, was seine Zukunft anging, wenigstens im Augenblick.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Wolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
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Aufrufe: 6.816
Online Seiten: 233
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 518
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 1107796
Druckwörter: 202846
Buchseiten: 711
Erschienen: March 2024

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