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Der Brockenwicht

NOVELLE

Sie haben mich gefunden. So viel steht fest. Dass es früher oder später passiert, war mir durchaus bewusst, doch diese teuflische Gefolgschaft hat dafür weniger als eine Woche gebraucht, damit habe ich nicht gerechnet. Ja, eine knappe Woche ist inzwischen vergangen, seitdem wir mit Angelina fluchtartig unsere Ferienwohnung verlassen hatten, die uns während unserer Harzreise zehn Tage lang ein Dach über dem Kopf bot. Indessen schien mir, dass ich unsere Spuren sehr geschickt verwischt hatte. Nicht im Entferntesten, wie es sich nun herausstellt.

Ein fürchterliches Gewitter half uns, die schwarze Limousine mit getönten Scheiben abzuschütteln, die uns auf der Autobahn verfolgte und zuvor schon seit Tagen vor unserem Haus auf der Straße gestanden hatte – wir wurden beobachtet. Wie durch ein Wunder zog sich der Himmel innerhalb von Minuten mit pechschwarzen Schwaden zu, als wir uns der Anschlussstelle Göttingen näherten, zahlreiche Blitze erhellten die bedrohliche Kulisse und es fing an, sintflutartig zu regnen. So einen heftigen Wolkenbruch habe ich nur selten erlebt, wenn überhaupt. Hinter der Windschutzscheibe sah man nur eine undurchdringliche Wasserwand, der Verkehrsfluss kam zum Erliegen. Die roten Schlussleuchten des Vordermanns waren schon nach einigen Sekunden verschwunden und ich tastete mich eher vor, als dass ich fuhr, jeden Augenblick darauf gefasst, dass mir gleich das Heck eines Autos aus der grauen Regenwand vor uns entgegenfliegt. Es war eine Gelegenheit, dem schwarzen Wagen zu entkommen, dessen Scheinwerfer ich im Rückspiegel als verschwommene Lichtflecke sah. Ich wechselte auf die Überholspur und gab richtig Gas! Wie mit verbundenen Augen fuhr ich, was das Zeug hielt, und bald lösten sich die Lichter hinter uns in den niederprasselnden Fluten auf. Trotzdem rasten wir mit gleicher Geschwindigkeit weiter, um sicher zu sein, dass uns keiner mehr verfolgt, bis wir bei Kassel in Richtung Dortmund abgebogen waren und alsdann der Regen von jetzt auf gleich aufhörte. Die Fahrbahn hinter uns war frei.

Kurzum, ich werde erpresst, nicht mehr und nicht weniger als von finsteren Mächten, und verfolgt von dunklen Gestalten, die die Einlösung eines äußerst dummen Versprechens meinerseits erzwingen wollen. Und alles hatte seinen Anfang im Harz, an den Hängen des geheimnisvollen Brockens. Ich könnte es demjenigen nicht übelnehmen, der behauptet, übernatürliche Erscheinungen seien Einbildung und Aberglaube – er weiß es nicht besser. Mehr noch, ich bin bis vor Kurzem auch der Meinung gewesen, dass paranormale Aktivitäten ein Produkt der blühenden Fantasie von Verschwörungstheoretikern und Spinnern aus dem Internet sind, bis ich unverhofft zu anderen Erkenntnissen gelangt bin. Sie sind nicht so erfreulich, wie es einem auf den ersten Blick vorkommen mag.

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Es ist kein besonders guter Morgen. Angelina hat Frühschicht und ist schon vor einer Stunde aus dem Haus gegangen. Ich sitze bedrückt am Küchentisch, sehe zum Fenster hinaus und trinke in Gedanken vertieft meinen Kaffee, in meinem Kopf brodelt es, ich suche verzweifelt nach einer Lösung für das Problem, aber ich finde keine. Es gibt gleich drei üble Nachrichten. Nein, sogar vier. Schon vorgestern hat der Wetterdienst vor immensen Wassermengen gewarnt, die über weiten Teilen des Landes herabregnen sollten. Gestern hat es geregnet, und zwar in Strömen, den ganzen Tag lang ohne nennenswerte Unterbrechungen, während die Wiese hinter unserem Haus mit jeder Stunde immer mehr einem See glich. Doch es ist nichts im Vergleich zu den Folgen der verheerenden Flutkatastrophe, die sich vielerorts ereignet hat. Es hagelte Horrormeldungen von allen Seiten, als ich heute in der Früh den Computer hochgefahren hatte: Die Altstadt von Meckenheim steht unter Wasser, das Ahrtal existiert nicht mehr, verstörende Bilder von weit entfernten Orten, wo kein Stein auf dem anderen liegen geblieben ist, machen die Runde.

Sie kreisen mich ein! Es war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schnellte. Ich erinnere mich noch an all die Wetterphänomene vor einer Woche im Harzgebirge, die alle, wie es scheint, etwas mit den dämonischen Gesellen zu tun haben, die mich bis heute verfolgen. Dafür spricht die Tatsache, dass ich in der Nacht wieder die Stimme des Wichts aus der Küche hörte. Wie schon während der Brockenwanderung hat er mich mit seinem leisen krächzenden Lachen vor dem nahenden Unheil gewarnt. Der Wicht ist eine kleine drollige Holzfigur, ein Souvenir aus dem Harz. Er sitzt auf dem Küchenradio und sieht mich an mit seinen schwarzen Knopfaugen. Er schweigt und gibt kein Lebenszeichen von sich, aber ich weiß, dass er auch anders sein kann.

Die Schlagzeile, die zwischen den Schreckensmeldungen über Dörfer, die durch die Flutwelle dem Erdboden gleichgemacht wurden, beinahe untergegangen war, fiel mir dennoch sofort ins Auge: »Drei Schüler nach Brockenwanderung vermisst«. Ich überlege schon seit zwei Stunden, ob es die drei Jungen sind, die ich an der Roten Brücke als äußerst ungewöhnliche Erscheinungen zu Gesicht bekommen habe, und kann es immer noch nicht glauben! Aber es passt alles: Es passt der Ort, es passt die Zeit und es passen die Umstände. »Verdammt!«, fluche ich schließlich lautstark und schiele auf den Wicht, ob er mir irgendwelche Ratschläge geben könnte. Er schweigt, er ist nur eine Puppe.

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Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 2
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
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Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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