|
Des Teufels Steg: Seite 7
Die Strahlen der morgendlichen Sonne fielen bereits durch das Fenster ins Schlafzimmer, aber es war ein Umstand, der Wolfgang im Augenblick am wenigsten interessierte. Er lag auf dem Bett, über das noch die Tagesdecke ausgebreitet war, komplett bekleidet, sogar seine Schuhe hatte er noch an. Marthas Betthälfte war unberührt. Sein Schädel brummte gewaltig. Der ekelhafte Geschmack im Mund, der Wolfgang denken ließ, er hätte gestern ein totes Stinktier verschluckt, verursachte ein akutes Übelkeitsgefühl und erweckte in ihm einen unüberwindbaren Wunsch, sich auf der Stelle übergeben zu müssen. Er richtete sich mit Mühe im Bett auf und ließ seinen Kopf willenlos wieder auf das Kissen fallen – ein plötzlicher Schwindelanfall hatte ihn niedergerungen. Nachdem Wolfgang noch eine halbe Stunde auf dem Bett liegend sein Missbefinden mehr oder weniger erfolgreich zu bändigen versucht hatte, kam er langsam wieder zu sich, aber er hatte kaum noch Erinnerungen an seine gestrigen Eskapaden. Er wusste noch genau, dass er nach dem Gespräch mit Stachowski zu einer Wirtschaft gefahren war, um dort seinen Frust zu ertränken. Er hatte ein Bier nach dem anderen bestellt und zwischendurch noch ein paar Klare getrunken, hatte aber offenbar nach dem fünften aufgehört mitzuzählen, denn an dieser Stelle gab es einen Riss in seiner Erinnerung. Oder er war dazu einfach nicht mehr in der Lage gewesen. Er glaubte, sich noch dunkel daran erinnern zu können, dass er kräftig eins auf die »Fresse« bekommen hatte, weil er an der Theke irgendwelchen Ärger gemacht und andere Gäste belästigt hatte. Ansonsten war sein Kopf absolut leer. Er wusste nicht das Geringste darüber, wie er nach Hause gekommen war und was das Gespräch mit Martha ergeben hatte. Das alles war ihm äußerst peinlich. Wolfgang setzte sich schwerfällig auf die Bettkante. Merkwürdig, dachte er. Er wunderte sich, aus welchem Grund vor dem Bett seine Sachen auf einem Haufen lagen. Seine Hemden, Hosen, Socken, Unterwäsche, zwei Jacketts, die er abwechselnd für Weinproben anzog, – alles lag in einem wilden Durcheinander auf dem Boden. Es kam ihm etwas seltsam vor. Noch etwas unsicher und mit dem Gleichgewicht kämpfend begab er sich ins Badezimmer, seine Schritte echoten in der anscheinend menschenleeren Wohnung, wenn die Absätze seiner Schuhe den Laminatboden berührten. Es war still, der Fernseher, der bei Martha sonst immer eingeschaltet war, gab kein Geräusch von sich und das Küchenradio blieb ebenfalls stumm. Zunächst hatte er angenommen, dass Martha auf der Couch schlief, aber als er an der Tür ins Wohnzimmer vorbeiging, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass das Sofa nicht die Spur eines nächtlichen Schlafplatzes aufwies. Wo war sie also?
(?)
»Verdammter Mist!« Wolfgang konnte sich kaum zurückhalten, um nicht laut zu fluchen, als er sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken gesehen hatte. Eine hässliche Platzwunde dekorierte seine Oberlippe, die linke Wange war merklich angeschwollen und leicht bläulich angelaufen. Es musste ja gestern heftig gewesen sein, mutmaßte er. Wolfgang wusch sich die Spuren des vertrockneten Blutes aus dem Gesicht und rasierte sich so gut es ging – die angeschlagene Wange schmerzte bei jeder unvorsichtigen Berührung. Falls Martha doch noch in der Küche saß, wollte er äußerlich nicht noch schlimmer ausschauen, als er ohnehin schon aussah. Er wusste nicht, was er ihr gestern erzählt und wie sie es aufgenommen hatte, ob sie sauer war oder die Hiobsbotschaft vom Urlaub eher gelassen empfangen hatte. Das musste er noch irgendwie unauffällig herausfinden. Martha war auch nicht in der Küche zu finden. Wolfgang kratzte sich verlegen am Nacken, er konnte sich keinen Reim darauf machen, wo sie hingegangen sein konnte. Soweit er sich entsann, musste sie heute freihaben. Er setzte Kaffee auf, der widerliche Geschmack in seinem Mund musste irgendwie verschwinden, holte sich eine Tasse aus dem Geschirrschrank und stellte sie auf dem Tisch ab. Erst jetzt bemerkte er mit seinem noch etwas getrübten Blick einen Zettel auf dem Küchentisch, auf dem einige Zeilen geschrieben standen. Der Kugelschreiber lag noch auf dem Stück Papier. Es war Marthas Handschrift, die er auf dem Blatt erkannte, die Buchstaben tanzten aus den Reihen, sie musste ziemlich nervös gewesen sein, als sie die Zeilen geschrieben hatte. Er las sie.
Ich habe es versucht, aber es klappt nicht mit uns beiden. Ich bin weg in den Urlaub. Du kannst ja angeblich nicht. Oder willst einfach nicht, nach all dem, was du so besoffen gelabert hast. Ich habe keine Lust mehr. Dass das Geld futsch ist, das ich für dich bezahlt habe, ist natürlich schade. Aber meins will ich nicht auch noch verlieren. Ich erwarte, dass du aus der Wohnung raus bist, wenn ich in einer Woche zurückkomme. Sonst muss ich die Polizei rufen. Deine Sachen liegen neben dem Bett, dein Koffer steht im Flur. Den Schlüssel legst du bitte in den Briefkasten. Leb wohl und auf Nimmerwiedersehen. Martha.
Wolfgang ließ seinen Körper langsam auf den Hocker sacken und saß eine Zeit lang bewegungslos am Küchentisch, während er mit abwesendem Blick den Abschiedsbrief von Martha anstarrte, bevor er überhaupt wieder geistig imstande war, einen Gedanken in seinem Kopf zu formen. Das war also der Grund, warum sie nicht da war. Sie hatte ihn verlassen, beziehungsweise aus der Wohnung hinausgeworfen. Ja, geschah ihm recht – er erinnerte sich an die letzten Monate ihres gemeinsamen Lebens. Er hatte es schon kommen sehen. Dass als Auslöser für die Trennung der von Stachowski gestrichene Urlaub dienen würde, hatte er natürlich nicht ahnen können. Aber was für einen Unterschied machte es schon, welcher Anlass es war? Die Beziehung war zerbrochen. Martha war Geschichte, für immer. In seinem Inneren brodelte die Wut mit neuer Kraft auf und er wurde unerwartet für sich selbst laut: »Dieser verflixte Stachowski … mit seinem beschissenen Weinladen!«
|
Diese Seite weiterempfehlen»Link an Freunde senden
KurzinhaltWolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.Über den Autor
Zahlen & Daten zum Werk
![]() Ihre Spende ist willkommen!Wir stellen Ihnen gerne alle Inhalte unserer Webseite kostenlos zur Verfügung. Sie können die Werke auch in der E-Book-Version jederzeit herunterladen und auf Ihren Geräten speichern. Gefallen Ihnen die Beiträge? Sie können sie alle auch weiterhin ohne Einschränkungen lesen, aber wir hätten auch nicht das Geringste dagegen, wenn Sie sich bei den Autoren und Autorinnen mit einer kleinen Zuwendung bedanken möchten. Rufen Sie ein Werk des Autors auf, an den Sie die Zuwendung senden wollen, damit Ihre Großzügigkeit ihm zugutekommt.Tragen Sie einfach den gewünschten Betrag ein und drücken Sie auf "jetzt spenden". Sie werden anschließend auf die Seite von PayPal weitergeleitet, wo Sie das Geld an uns senden können. Vielen herzlichen Dank! Diese Seite weiterempfehlen»Link an Freunde senden |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||



