Des Teufels Steg: Seite 3
Wolfgang biss knirschend die Zähne zusammen. Er hätte den Wichtigtuer jetzt in Stücke reißen können, wenn er ihn in die Finger bekommen hätte, aber zum Glück saß der »Möchtegernleiter« außer Reichweite am anderen Ende des Tisches und blieb unversehrt, obgleich Wolfgangs Wunsch, aufzustehen und ihm die »Visage zu polieren«, unermesslich groß war und es bedurfte einer großen mentalen Anstrengung, um ihn zu überwinden. Musste es denn sein, überlegte Wolfgang wütend, das Problem vor allen zu thematisieren? Was ging es seine Kollegen an, wie voll oder wie leer seine Urlaubskasse war? Sie mussten es doch nicht unbedingt wissen, dass eigentlich nicht er, sondern seine Lebensgefährtin Martha alle Kosten für den Urlaub übernommen hatte, vielmehr durften sie davon nicht das Geringste erfahren. Für Wolfgang fühlte sich die Wirkung der taktlosen Bemerkung so an wie ein Schlag ins Gesicht. Er ging auf die Äußerung von Stachowski nicht ein, schließlich musste er sich hier vor keinem rechtfertigen, und versuchte, die brodelnde Wut in seinem Inneren so gut es ging zu verbergen. »Auf jeden Fall«, sagte er nach einer Weile, »bräuchte ich einen Vorschuss.« Ob Stachowski nun zu der Erkenntnis gekommen war, dass sein Scherz nicht besonders viel von der feinen englischen Art an sich hatte, oder ihn die neugierigen Blicke der restlichen Mitarbeiter, die ein unverkennbares Interesse am Ausgang der Geschichte zeigten, zur Vernunft gebracht hatten und er die Sache in ihrer Gegenwart nicht auf die Spitze treiben wollte, aber nach einer kurzen Überlegung sagte er trocken: »Gut. Kommen Sie vor der Abreise noch kurz ins Büro, ich lege später einen Scheck in Ihr Eingangskörbchen. Hier, nehmen Sie die Termine für die Woche. Wenn noch welche hinzukommen, wird Sie jemand anrufen. Denken Sie daran, uns die Nummer des Hotels zu geben, wo Sie untergekommen sind.« Er reichte Wolfgang das Formular und damit war für den Chef dieser Punkt auf der Tagesordnung erledigt. Für Wolfgang auch, und zwar alle auf einmal, das ganze Programm. Es war ihm absolut gleichviel, was danach bei der »geselligen Runde« im Besprechungsraum noch zur Sprache kam. Er saß mit abwesendem Blick am Tisch und hörte wie durch den Schleier eines Traums nur die gedämpften Stimmen im Hintergrund. Er dachte nach. Wie konnte er die neue Situation Martha erklären? Wie konnte er ihr begreiflich machen, dass es nicht seine Absicht gewesen war, sie mit dem Urlaub zu hintergehen? Sie packte im Moment vermutlich die Urlaubskoffer, denn morgen am frühen Vormittag wollten sie ins Auto springen und zu den sandigen Stränden von Sankt Peter-Ording aufbrechen. Und nun, stellte er sich das Unvorstellbare vor, würde er nach Hause kommen und ihr allen Ernstes mitteilen: »Du brauchst nicht zu packen, wir fahren nirgendwohin.« Das konnte er ihr nicht antun. Aber wie sollte er es ihr beibringen?
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So wie es aussah, führte kein Weg an einer Auseinandersetzung mit Martha vorbei. Und alles würde zu einer Diskussion zum Thema Geld führen, bei diesem Punkt war sich Wolfgang absolut sicher. Er konnte es zwar nachvollziehen, denn schließlich war es nicht gerade wenig, was Martha von ihrem Verkäuferinnengehalt für die Unterkunft bezahlt hatte, aber besonders erbaulich war diese Perspektive nicht. Außerdem würde unumgänglich eine heftige Debatte entflammen, die Wolfgangs »unverantwortliche« Art und Weise, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, zum Thema gehabt hätte. Das kannte er schon alles. Seine erste Ehe war aus demselben Grund in die Brüche gegangen. Und jetzt wieder das Gleiche – die Beziehung war in den letzten paar Monaten ohnehin schon etwas angespannt gewesen. Alles wegen dieser elenden Moneten, alles wegen solcher widerlichen Typen wie Stachowski! Und Giovanni, das war vielleicht auch ein »Kameradenschwein«! Wolfgang ging gedanklich mit seinem Kollegen hart ins Gericht, denn er war überzeugt, dass Stachowski schon vor der Besprechung mit Giovanni und allen anderen ihre mögliche Mitwirkung bei den Weinproben in Sachsen-Anhalt geklärt hatte. Nun war er aber der Dumme, weil alle abgelehnt hatten und Giovanni ihn nicht einmal vorgewarnt hatte. Es waren erst ein paar Jahre seit dem Mauerfall vergangen und er sah es sogar ein, dass auch die Gebiete in den neuen Bundesländern erschlossen werden mussten. Aber warum sollte es auf Kosten seiner Beziehung geschehen? »Breitscheid!« Giovanni rüttelte familiär an seiner Schulter. »Wach auf. Die Besprechung ist vorbei.« Wolfgang hatte es gar nicht wahrgenommen, dass alle längst von ihren Plätzen aufgestanden waren und unbeschwert miteinander plaudernd zur Tür hinausgingen. Er würdigte seinen Kollegen eines verachtenden Blickes und ging zu seinem Abteil – so bezeichnete Wolfgang die abgetrennten Bereiche, in denen die Vertreter ihre Arbeitsplätze hatten. Sie zogen sich zu beiden Seiten des engen Ganges in der Mitte des Großraumbüros über seine gesamte Länge und waren an der Kopfseite offen, sodass Wolfgang schon beim ersten Betreten dieser Räumlichkeit eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Eisenbahnwaggon festgestellt hatte. Seitdem nannte er die engen Zellen Abteile. Sie waren wirklich viel zu eng gebaut, die Trennwände hatten höchstens einen Abstand von anderthalb Metern zueinander und die Abteile auf seiner Seite des Büros hatten gar keine Fenster. Zuweilen entstand bei ihm der Eindruck, dass er erstickte in der gestauten, von Zigarettenqualm durchzogenen Luft, während er seine meistens fruchtlosen Verkaufstelefonate führte. »Was ist los, Junge?«, fragte Giovanni, der Wolfgang zu seinem Schreibtisch gefolgt war. »Denkst du, ich habe irgendwas damit zu tun?«
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Diese Seite weiterempfehlen»Link an Freunde senden![]() KurzinhaltWolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.Über den Autor
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