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Des Teufels Steg: Seite 4
»Gewusst hast du es aber schon«, antwortete Wolfgang, während er zurückgelehnt im Stuhl saß und die Trennwand zum benachbarten Abteil anstarrte. Im Kalender, der über seinem Tisch an der Wand hing, war die kommende Woche dick mit einem Filzstift durchgestrichen und ein erklärender Hinweis »Urlaub« bestätigte, dass er vorhin keineswegs gelogen hatte, den Urlaub hatte er schon seit Wochen und Monaten geplant. »Hey, was …?«, versuchte sich Giovanni zu rechtfertigen. »Weißt du, ich habe jetzt keine Lust«, unterbrach ihn Wolfgang, nahm einen Stift und strich auch das vielversprechende Wort im Kalender durch, damit alles seine Richtigkeit hatte. »Aber du kannst ja wirklich im September …«, fing Giovanni erneut an, während Wolfgang seine Sachen in den Aktenkoffer packte. »Ich hab für heute genug. Ich fahr jetzt heim.« Er nahm den Koffer in die Hand, zwängte sich an Giovanni vorbei, der ihm im Wege stand, und ging schweigend zur Ausgangstür, ohne seinen »ehemaligen Kumpel« anzusehen.
Martha war diese Woche für die Frühschicht eingeteilt und kam heute schon um halb drei nachmittags nach Hause. Morgen musste sie nicht mehr zur Arbeit gehen, morgen, am Samstag, fing ihr Urlaub an! Sie hatte noch einen Tag Resturlaub aus dem Vorjahr gehabt und konnte nun auch an dem für Verkäuferinnen stressigsten Tag der Woche freimachen. Sie stellte gleich eine Flasche Weißwein aus Wolfgangs Vorräten in den Kühlschrank, um mit ihm später auf den Urlaub anzustoßen, kräftigere Getränke wären vielleicht nicht ganz angebracht gewesen, denn sie wollten in der Früh mit dem Auto aufbrechen. Ihr Freund musste so gegen fünf Uhr zurück sein und sie beabsichtigte, die Koffer bis dahin gepackt zu haben, damit sie gleich das Auto beladen konnten. Die Frau wollte damit anfangen, sobald sie nach der Arbeit eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen hatte. Es war ihr erster Urlaub mit Wolfgang. Die Supermarktverkäuferin hatte ihn vor drei Jahren durch einen Zufall kennengelernt und bis jetzt war immer irgendwas dazwischengekommen – hauptsächlich lag es an Wolfgangs Arbeit, denn er hatte dauernd irgendwelche Veranstaltungen, die er nicht absagen konnte und die ausgerechnet genau an den Tagen stattfanden, wenn sie ihre arbeitsfreie Zeit hatte. Zum ersten Mal gesehen hatte sie ihn übrigens auch auf so einer Veranstaltung, einer Weinprobe mit »zehn ausgesuchten französischen Weinen« bei ihrer Etagennachbarin Gabi, die mit ihrem Mann und Sohn die Dreizimmerwohnung gegenüber mietete. Eines Tages, als Martha nach der Spätschicht die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufgestiegen war, wartete schon Gabi im Treppenhaus auf sie. Sie stand vor der halb geöffneten Wohnungstür und schaute auf Martha mit ihrem etwas vernebelten Blick die Treppe hinunter.
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»Na«, sagte die Nachbarin. Ihre Stimme klang leicht angetrunken. »Fleißig gewesen?« Martha nickte nur müde zur Antwort. »Du«, fuhr Gabi fort, »hättste Lust auf ’nen Wein?« Martha sah sie fragend an. Es war schon mal vorgekommen, besser gesagt, es war ziemlich oft der Fall gewesen, dass die beiden miteinander das eine oder andere Gläschen getrunken hatten, und manchmal vielleicht auch eins zu viel, aber dafür, dass Gabi jetzt, zu dieser späten Stunde damit anfing, konnte sie keine einleuchtende Erklärung finden. »Hör auf!«, sagte Gabi, als sie merkte, dass Martha nicht sonderlich gut gelaunt war, um ihre Einladung bedingungslos anzunehmen. »Wir haben hier einen französischen Weinvertreter im Haus! Ist ein ganz netter, lustiger Mann. Wir haben schon zehn Weine durchprobiert, gleich kommt die zweite Runde. Es gibt Schnittchen, Käse … und allerhand. Komm. Da brauchst du heute nicht mehr zu kochen.« »Ich muss überlegen«, sagte Martha ausweichend. »Ich weiß nicht … Ich muss zuerst zu Hause ankommen.« Sie drehte den Schlüssel im Schloss um und öffnete die Tür. »Gut. Dann klingelst du einfach, wenn du so weit bist«, versuchte Gabi noch zum Schluss, sie umzustimmen, ehe Martha die Tür hinter sich zumachte. Es dauerte keine Viertelstunde, bis Martha eingesehen hatte, dass die Einladung ihrer Nachbarin eigentlich gar nicht so falsch war, vielmehr gefiel ihr die Idee und die Gelegenheit, sich etwas zerstreuen zu können, mit jeder Minute immer besser. Sie musste abreagieren, die neue Kollegin hatte wieder Stress gemacht und Martha hatte laut und sehr deutlich werden müssen, um dieser »Pissnelke« ihren Platz unter der Sonne zu zeigen. Was die jungen Mädchen bloß für Vorstellungen vom Leben hatten, fragte sie sich immer noch äußerst aufgewühlt. Die Weinprobe hätte in diesem Zustand eine gute Ablenkung werden können. Außerdem hatte Gabi irgendwas von einem netten französischen Verkäufer gesagt, fiel es ihr wieder ein. Das machte sie neugierig. Der Weinverkäufer entpuppte sich als ein schon etwas in die Jahre gekommener südländischer Typ. Zu solchen Männern fühlte sich Martha hingezogen, schon seit der Zeit, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Er war garantiert kein Franzose, denn er sprach mit einem leichten rheinischen Einschlag, wie Martha es heraushören konnte, aber in jedem südeuropäischen Land wäre er glatt als Einheimischer durchgegangen: In Frankreich als Franzose, in Griechenland als Grieche und in der Türkei als Türke. Er war zwar nicht mehr jung und knackig, aber welche Ansprüche durfte sie da überhaupt noch stellen – eine Frau, die zwar noch ziemlich gut in Form war, also alles andere als dumm und hässlich, und noch durchaus imstande, dem einen oder anderen Mann, den Kopf zu verdrehen, wie sie sich selbst einschätzte, dennoch ebenfalls schon ein paar Jährchen über vierzig. Sehr wählerisch wie in ihren wilden Zeiten durfte Martha nicht mehr sein, wenn sie noch einen abkriegen wollte.
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KurzinhaltWolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.Über den Autor
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