Logo Leseecke
OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Des Teufels Steg: Seite 11

Die beiden verloren kein Wort mehr. Hannes war zwar ihr Freund, aber er hatte sich auch ziemlich verändert seit ihrer gemeinsamen Kindheit. Wer wusste es schon? Ganz ungefährlich war die Sache nicht. Bei ihnen im Dorf war so etwas noch nie vorgekommen, aber danach, was man sich so alles in der Gegend erzählte, war die Aussicht, aufs Rad gespannt zu werden, wenn man den Kirchenmännern widersprach, nicht besonders ermunternd. Man blieb lieber stillschweigend bei seiner Meinung.

Es war Sonntagabend und jeder der drei Wanderer hätte sich um diese Zeit zweifelsohne eine bessere Beschäftigung finden können, doch die Männer kämpften sich unermüdlich durch das Unterholz in der Dunkelheit, als sich der Halbmond am Himmel in voller Pracht zeigte. Eigentlich war er schon vor einer halben Stunde aufgegangen, ließ sich aber bis jetzt nur aufgrund des silbrigen Scheins rund um die dunkle Wolke erahnen, die ihn verdeckte und sich nicht von der Stelle rühren wollte.

»Sehet doch«, staunte Jobst, während er das Gestirn durch eine Bresche in den zusammengewachsenen Kronen der Bäume betrachtete, »der Mond sieht aus, als ob ihn jemand mit einem Messer abgeschnitten hat. Genau in der Mitte!«

Ruprecht hielt ebenfalls an und starrte in den Himmel. »Ja, seltsam«, gab er zustimmend von sich. »So einen geraden Schnitt habe ich noch nie gesehen. Gewöhnlich ist er immer ein bisschen rund. Und wie hell der Mond doch ist! Er scheint so hell wie ein Vollmond. Ich habe einmal erlebt, dass …

»Könnt ihr denn nicht leiser reden?«, herrschte sie Hannes an, der sich schon ein kleines Stück von den beiden entfernt hatte, und senkte selbst seine Stimme: »Wir sind schon zu nahe an der Lichtung, jemand könnte uns bemerken.«

»Ja, aber siehe doch, der Mond …«, setzte Ruprecht zur Antwort an, als Hannes ihn unwirsch unterbrach.

»Was ist damit? Es ist der Tag des Halbmondes! Er sieht immer so aus wie heute. Und dass er hell ist, umso besser für uns! Dann können wir die Weiber besser sehen! Wir müssen uns sputen, sonst verpassen wir sie noch.«

Genau genommen war ebendieser Umstand, dass der Mond heute nur eine seiner Hälften zeigte, der Grund für die nächtliche Wanderung der drei Dörfler durch den Wald im Auftrage von Vater Nicklas. Der angesehene Ordensbruder, der hauptsächlich in Quedlinburg im Franziskanerkloster weilte und in der Kirche des heiligen Franziskus das Wort Gottes predigte und die Grundwerte des ordo fratrum minorum rühmte, kam in regelmäßigen Zeitabständen nach Wendhusen, das von dem Dorf zum Tale nur einen Sprung weit entfernt lag, um den Kanonissen des Stiftes Besuch abzustatten und in der dortigen Sankt-Andreas-Kirche eine seiner Wanderpredigten vor dem Volke zu halten. Genau in dieser Kirche hatte Hannes vor einigen Jahren zum ersten Mal den Mann im Habit zu Gesicht bekommen. Es war die einzige Kirche weit und breit, sodass die Dörfler am Sonntag nur dieses Gotteshaus besuchen konnten, und so war es in gewissem Maße schon vorbestimmt, dass sich die Wege von Hannes und Vater Nicklas sich hier kreuzten. Hannes betrachtete ihn als seinen geistlichen Mentor. Ihm gefielen seine Predigten, er bewunderte, wie wortgewandt und einfach der Franziskanerbruder die schwierigsten Fragen erklärte, wie entschlossen und beherzt er die Missstände in der Welt und in der Kirche anprangerte. Und so kam es, dass Hannes Vater Nicklas nach den Predigten hin und wieder noch Fragen stellte zu den Thesen, die er nicht ganz verstanden hatte, und auch der Franziskanermönch bemerkte früh genug den Eifer des jungen Mannes, den er bei der Suche nach der Wahrheit an den Tag legte.

(?)
Leseecke Schließen
Lesezeichen setzen
 
Der Brockenwicht

Der Brockenwicht

Novelle von Nikolaus Warkentin
»Jetzt lesen

Während eines seiner Besuche lud Vater Nicklas Hannes nach der Predigt ein, ihm in die Sakristei für eine persönliche Unterredung zu folgen, der auch die Äbtissin des Klosters beiwohnte. Die beiden, vor allem aber Vater Nicklas, lobten sein Streben nach Wissen und erwiesen ihm wohlwollend die Ehre, seine Erkenntnisse über das Göttliche im Auftrage der christlichen Kirche in die Welt tragen zu dürfen. »Es ist eine Sache, mein Sohn«, sagte Vater Nicklas, »wenn deine Nachbarn es nur sonntags während der Predigt erleben, und es ist etwas ganz anderes, wenn die Menschen sehen, dass es auch unter ihnen einen überzeugten Christen gibt. Es bewegt sie dazu, sich dem wahren Gott zuzuwenden. Denn viele, wahrhaftig zu viele heidnische Gebräuche sind noch in dieser Gegend verbreitet und Aberglaube trübt die Sinne der Menschen …«

Von dem Tag an befasste sich Hannes mit der Heiligen Schrift. Latein war ein schwerer Stoff, schließlich war er kein Edelmann, sondern nur ein einfacher Tischlergeselle seines Zeichens und vom niederen Stande, aber er fühlte sich geschmeichelt, dass ihm diese Ehre zuteilwurde, und sah es als eine große Herausforderung an. Er machte Fortschritte, zumal die Äbtissin eine Kanonisse anwies, ihn jeden Sonntag nach dem Gottesdienst im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Was für ungeahnte Tiefen eröffneten sich ihm im Buch der Bücher, als er hinter den seltsamen Strichen, Häkchen und Kreisen, die sich akkurat auf den Seiten aneinanderreihten, einen Sinn entdeckt hatte! Auch seine eigenen Gedankten, so schwerelos sie waren, konnte er nunmehr festhalten und ihnen Gewicht verleihen, indem er sie mithilfe der Buchstaben auf Papier malte. Es glich einem Wunder.

Ohne sich dessen bewusst zu werden, war Hannes irgendwann in seine neue Rolle dergestalt hineingewachsen, dass er seinen Beruf zu vernachlässigen begann. Schon bald fehlte es ihm immer öfter an Mitteln, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten – zum Glück war er Junggeselle und musste keine Familie ernähren. Er ertrug mit Würde die körperlichen Entbehrungen, wie Jesus es lehrte, und verbarg seine Notlage so gut es ging. Doch den scharfen Adleraugen der ehrenwürdigen Äbtissin Kunigundt war dieser Umstand nicht entgangen und eines Tages, ob aus eigenen Beweggründen oder auf Vater Nicklas’ Geheiß, kam sie auf den jungen Mann zu und drückte ihm, ohne die Aufmerksamkeit anderer zu erregen, einen ledernen Geldbeutel in die Hand, in dem von der Form und dem Gewicht her einiges an Inhalt vermuten ließ. »Ihr habt euch in unserer Sache verdient gemacht«, sagte sie mit feierlicher Stimme.

| Seite 11 von 233 |

Günstige Downloads für Ihr Gerät

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt
PDF
Titel: Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt
PDF Dokument: Format A5, 518 Seiten, Dateigröße 217.705 KB, Ausgeführte Dowloads 0, PDF-Reader zum Lesen erforderlich! Auch zum Lesen im Ebook-Reader geeignet
12,99 € N/A
Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt
EPUB
Titel: Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt
E-Book im ePub-Format: Anzahl Seiten deviceabhängig, Dateigröße 917 KB, deviceübergreifend optimiert, Ausgeführte Dowloads 0, e-Book Reader zum Lesen erforderlich!
12,99 € »Epubli Verlag
Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt Titel: Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt
Jetzt eine Printausgabe bestellen! Sie werden gleich auf die Seite des Verlages weitergeleitet, wo Sie Ihr Exemplar bequem erwerben können.
26,99 € »Epubli Verlag

Diese Seite weiterempfehlen

»Link an Freunde senden
Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Wolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 6.816
Online Seiten: 233
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 518
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 1107796
Druckwörter: 202846
Buchseiten: 711
Erschienen: March 2024

Ihre Spende ist willkommen!

Wir stellen Ihnen gerne alle Inhalte unserer Webseite kostenlos zur Verfügung. Sie können die Werke auch in der E-Book-Version jederzeit herunterladen und auf Ihren Geräten speichern. Gefallen Ihnen die Beiträge? Sie können sie alle auch weiterhin ohne Einschränkungen lesen, aber wir hätten auch nicht das Geringste dagegen, wenn Sie sich bei den Autoren und Autorinnen mit einer kleinen Zuwendung bedanken möchten. Rufen Sie ein Werk des Autors auf, an den Sie die Zuwendung senden wollen, damit Ihre Großzügigkeit ihm zugutekommt.
Tragen Sie einfach den gewünschten Betrag ein und drücken Sie auf "jetzt spenden". Sie werden anschließend auf die Seite von PayPal weitergeleitet, wo Sie das Geld an uns senden können. Vielen herzlichen Dank!

Diese Seite weiterempfehlen

»Link an Freunde senden
Kreisende Punkte
Leseecke Schließen