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Des Teufels Steg: Seite 12
So vergingen einige Jahre, aber Anfang des Sommers, wie sich Hannes noch erinnern konnte, hatte Vater Nicklas abermals das Kloster Wendhusen besucht und ein vertrauliches Gespräch mit ihm geführt. Er sprach davon, dass er dem Willen Gottes folgend seiner Bestallung zum Inhaber des hohen kirchlichen Amtes eines Untersuchungsrichters durch Seine Heiligkeit zugestimmt hatte. Die Amtsbezeichnung musste der Franziskanerbruder für Hannes übersetzen, denn das Wort inquisitor sagte ihm absolut nichts. »Das ist die Ernennungsurkunde des Heiligen Vaters, Papst Alexanders VI.«, sagte er voller Ehrerbietung und zeigte Hannes stolz die päpstliche Bulle, an der noch die Reste des aufgebrochenen Siegels hingen. Es sei an der Zeit, meinte Vater Nicklas, den Aberglauben auch in dem Dorf zum Tale zu bekämpfen, und Hannes habe dabei die Aufgabe, die Missstände in der christlichen Gemeinde aufzudecken. »Vor allen Dingen«, erklärte er des Weiteren, »ist es wichtig, die Weiber im Dorfe ausfindig zu machen, die Zaubertränke aus Waldkräutern zubereiten und die frommen Christen durch ihre Wirkung von dem wahren Glauben abbringen.« Es war Vater Nicklas zu Ohren gekommen, dass einige Frauen aus dem Dorf im August, wenn die Gräser und Kräuter zur Vollreife kamen, sie heimlich im Wald bei Vollmond pflückten und dabei auf der Wiese für Christen unsittliche Handlungen vollführten: Sie tanzten im Mondschein entblößt im Kreise und beschworen heidnische Dämonen herauf, um den Kräutern mehr Zauberkraft zu verleihen. Er wollte, dass Hannes der Sache auf den Grund ging, den Weibern nachstellte und sie der schwarzen Magie überführte. Seinen nächsten Besuch kündigte er für Mitte des Augustmonats an, für die Woche, an der der Mond vom Halb- allmählig zum Vollmond wurde. In dieser Zeit hätte Hannes dem Inquisitor täglich Bericht erstatten müssen, ob in der Nacht auf dem Tanzplatz im Wald verdächtige Aktivitäten stattgefunden hatten. Und wenn es der Fall war, wurde Hannes angehalten, eine Liste darüber zu führen, wer von den Weibern daran teilgenommen hatte. Zum Schluss reichte Vater Nicklas Hannes ein Buch mit dem Titel »Malleus Maleficarum« und sagte: »Lies das, mein Sohn. Unser Bruder in Christus Heinrich hat eine hervorragende Arbeit geleistet. Du wirst es mögen und vieles verstehen.« Die Nacht, in der der gelbe Mond nur als halbe Kugel über das Himmelsgewölbe wanderte, war heute und deswegen schlugen sich die drei Jugendfreunde in der Dunkelheit durch den Wald. Vater Nicklas war schon gestern angereist und hielt sich im Kloster auf. Er richtete sich im Erdgeschoss eine Gerichtsstube ein und ließ ins Kellergewölbe die seltsamen Gerätschaften und Werkzeuge hinuntertragen, die er aus Quedlinburg mitgebracht hatte und bei deren bloßem Anblick einem schon gruselig zumute wurde. Mit von der Partie waren noch zwei in Rot gekleidete kirchliche Würdenträger von hohem Rang. Aber was noch merkwürdiger erschien, war die Anwesenheit einer Leibgarde. Zwei Dutzend gerüstete Männer in Kettenhemden und Helmen begleiteten den hohen Besuch.
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Unterdessen näherte sich die nächtliche Patrouille ihrem Ziel. Alle waren etwas erschöpft und atmeten erleichtert auf, als sie vorne zwischen den Bäumen eine waldfreie Fläche erblickten. »So«, flüsterte Hannes seinen Begleitern kaum hörbar zu, nachdem sie die Baumreihe am Rande der Waldlichtung erreicht hatten, »endlich sind wir da.« Die berühmt-berüchtigte Wiese lag vor ihnen im Schein des Mondes. Kein Grashalm rührte sich in der windstillen Sommernacht, die Wiese war menschenleer. Es war eine gute Beobachtungsposition, entschied Hannes und ließ sich hinter einem großen Baum nieder. »Puh, das war aber anstrengend«, beschwerte sich Jobst. »Jobst, kannst du nicht mal leise sein?!«, regte sich Hannes auf. Da er seinen Freund nicht anschreien konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Lippen fast lautlos, jedoch mit viel Nachdruck zu bewegen, aber er glaubte, dass seine Botschaft bei dem Jungen angekommen war, denn dieser verstummte. »Geh auf den Boden! Leg dich jetzt hin, damit uns keiner zu Gesicht bekommt!« »Kann ich denn nicht einfach hinter dem Baum stehen?«, flüsterte Jobst zurück. »Wenn ich mich hinlege, ist meine Tunika sofort nass, es ist schon Tau gefallen.« Hannes schaute sich seinen Freund an und sah es ein, er war nur in ein leichtes Leinengewand gekleidet, für etwas Anspruchsvolleres hatte er vermutlich kein Geld. »Dann geh wenigstens in die Hocke!« Jobst folgte der Anweisung, während Hannes aus dem Gürtelbeutel ein halbes Brot herausholte und es in drei Teile brach. »Wir sollten uns etwas stärken.« Er reichte seinen Kameraden jeweils ein Stück. »Wer weiß, was uns erwartet. Die Nacht kann lang werden.« Sie kauten ihr Brot und behielten die Wiese im Auge. Hannes beobachtete den gegenüberliegenden Rand der Waldlichtung, Jobst passte auf, ob nicht jemand von links kam, und Ruprecht übernahm die rechte Seite. »Hör mal«, wandte sich Ruprecht leise an Hannes, als es nach einer halben Stunde nach wie vor keine Anzeichen für eine bevorstehende Zusammenkunft von unbelehrbaren Weibern gab. »Warum denkst du, dass heute jemand nach den Kräutern kommt? Der Vollmond ist ja erst in einer Woche, hast du gesagt.« »Unsere Aufgabe ist es, Hexen zu enttarnen, und sie können auch schon vor dem Vollmond die Kräuter ernten. Die Kraft des halben Mondes reicht auch. Vater Nicklas weiß, was er sagt.«
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KurzinhaltWolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.Über den Autor
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