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Der Brockenwicht: Seite 98
Nichtsdestotrotz registrierten meine Augen keine unnatürliche Bewegung entlang des Weges, wie stark ich sie auch anstrengen mochte. Nichts, was auf die elenden Zwerge schließen ließ. Ich fragte Geli: »Welches Geräusch genau meinst du denn jetzt?« »Na das da.« Sie zeigte auf die großen sandfarbenen Steinblöcke, die links von der Straße eine ebenerdige Fläche bildeten. »Es klingt wie ein kleiner Bach zwischen den Steinen.« Jetzt hörte ich erneut das Plätschern des Wassers. Es ging hier nicht mit rechten Dingen zu und war alles garantiert Teufelswerk! Ich musste mal den Wicht fragen, was denn sein »Hihihi« hatte bedeuten sollen. »Brockenwicht, bitte«, bestand er auf seiner politisch korrekten Bezeichnung. Ich hatte indes ganz vergessen, dass er jeden Gedanken mithörte. »Ja, ja. Brockenwicht. Natürlich.« »Du hast dich nicht geirrt«, sprach er ein wenig eingeschnappt weiter. »Zwei Kundschafter des Obersten Zwergs waren hier. Die hast du gehört.« »Und was haben sie ausgekundschaftet?«, fragte ich beunruhigt. »Was wohl? Wer so alles unterwegs ist. Und vor allem, wann sie den Schwarzen Wald erreichen.« »Welchen Wald?« »Den Schwarzen! Dort habe ich dich heute gefunden, im Dreck auf dem Boden. Es ist derselbe Wald, nur ein anderer Bereich.« »Mist!« »Es ist nicht so schlimm, ich bin ja da!«, meinte er lässig. »Gibt es denn die Biester überall?«, wollte ich wissen. »So ziemlich. Sie sind mittlerweile zu einer Plage geworden. Nur auf dem Berg nicht. Aber sonst hast du ja erzählt, dass sie schon unterhalb der Ilsefälle eine Siedlung haben.« »Haben die Schattenzwerge hier den ganzen Wald abrasiert?« Ich warf meinen Blick auf die Gegend, in der sich überall umgeknickte Baumstämme übereinander stapelten. Der Verdacht lag nahe und ich wollte die Sache geklärt haben. »So ist es!«
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Ich nickte einsichtig, denn meine Befürchtungen hatten sich als richtig erwiesen. »Und was hat es mit dem plätschernden Wasser auf sich?«, erkundigte ich mich. »Ach das? Das ist einfach die Verdeckte Ilse«, bestätigte der Wicht ebenfalls meine ursprüngliche Vermutung. »Sie hat mit den Zwergen nichts zu tun.« Also doch. Es existierte noch etwas von dem, was Heine seinerzeit so begeistert hatte. Nämlich die Ilse, die hier, als Tochter des Großen Berges geboren, der sie liebevoll und großzügig mit Wassernachschub von seinen Hängen versorgte, wie ein leichtherziges Mädchen unbeschwert und fröhlich zwischen den riesigen Steinen mit den Passanten Verstecken spielte und immer wieder von jemandem entdeckt wurde, der wirklich genau hinsah und zuhören konnte, weil das verräterisch gluckernde Wasser den Ort ihres Verstecks preisgab, wenn sie unbeholfen von Stein zu Stein springen musste. Aber das Versteckspiel dauerte nicht ewig, immer neue Rinnsale gesellten sich zu ihr und erfüllten sie mit der nötigen Kraft, damit sie eine weite Reise antreten konnte, noch nichts davon ahnend, wie schwer oder wie leicht sie sein würde. Schon bald wuchs das verspielte Kind zu einem bildhübschen Fräulein heran, das sich traute, hinter den Steinen hervorzuschauen, um sich die weite Welt anzusehen, als wenn sie sich noch nicht ganz schlüssig war, ob es an der Zeit sei, sich in all ihrer jugendlichen Lieblichkeit zu präsentieren. Alsdann machte sie den alles entscheidenden Sprung ins Freie und es gab kein Halten mehr. Sie war zauberhaft schön und brauchte sich vor keinem mehr zu verstecken. Sie rauschte fröhlich und unbekümmert davon, neuen Ufern entgegen. »Da steht etwas auf dem Schild geschrieben«, machte mich Angelina auf eine kleine Holztafel neben der Straße aufmerksam. »Ja, das ist die Ilse, die unter den Steinen rauscht«, teilte ich ihr mit, nachdem ich mich mit dem Text vertraut gemacht hatte. An dieser Stelle musste die Kleine sogar einen ganzen Wasserfall in den Fels gegraben haben, während sie sich im dunklen unterirdischen Gewölbe versteckt hatte, geschützt vor den spitzen Pfeilen neugieriger Blicke durch die riesigen Steine wie von einem magischen Schild, denn das Getöse war groß. Man ahnte schon hier, wie viel Kraft die schüchterne Prinzessin Ilse besaß, die sie aber erst später an den Ilsefällen voll zur Geltung kommen lassen würde.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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