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Der Brockenwicht: Seite 85
»Glaub mir! Es kann sie nicht jeder sehen, du auf jeden Fall nicht, doch sie sind da. Wen du sehen kannst, sind aber die Männer im Regenmantel, nicht wahr? So wie der, der uns verfolgt. Nicht zurücksehen! Guck, fast bei jeder Wandergruppe ist einer dabei. Sie gehören alle zu Mephisto.« »Zu wem?« »Du hast wirklich keine Ahnung …« Ich erschrak über den mangelnden Bildungsstand meiner Frau. »Vorhin habe ich alle Szenen der Walpurgisnacht aus der Faust-Tragödie hautnah erlebt, und noch etwas darüber hinaus. Es war absolut dunkel, als ich allein den Berg hinaufstieg, und … du glaubst nicht, was ich alles für Kreaturen gesehen habe. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch am Leben bin! Der ganze Berg ist ein Portal zur Hölle, es wimmelt hier von Hexen …« »Aber es war doch gar nicht dunkel«, entgegnete Geli. »Ich hatte dich immer im Blick. Die ganze Zeit habe ich gesehen, wie du unten läufst. Ich habe sogar Fotos von dir gemacht, ich kann es dir beweisen. Hier, guck …« Sie kramte in der Tasche und blieb stehen, um mir ihre Fotos im Telefon zu zeigen, als ich sie am Oberarm packte und hinter mir zog. »Nicht anhalten! Weitergehen. Der Typ darf uns nicht einholen.« »Was ist denn mit ihm?« Sie war nicht gerade begeistert von meiner unsanften Berührung. »Kannst du mir endlich sagen, warum du so eine Angst vor ihm hast. Er tut doch nichts!« »Und ob er was tut! Sieh mal genau hin, was der da gerade macht!« Vorne am Straßenrand stand eine kleine Wandergruppe von drei, vier Brockenbesuchern in Begleitung eines Teufelsgehilfen, der seinen Schutzbefohlenen etwas erzählte und unentwegt auf einen Trampelpfad zeigte, welcher von der Straße nach rechts abging und sich zwischen den Tannen eines dichten, dunklen Nadelwaldes verlor. »Wir könnten auch die Abkürzung nehmen«, sagte er, als wir näher kamen. »Hier geht es nach Schierke. Man spart sich einige Kilometer und kommt direkt zum Bahnhof.« Von wegen zum Bahnhof, dachte ich skeptisch, in ein paar Stunden würden sich all die gutgläubigen Leute hinter einem Spiegel auf der Hexenkonferenz wiederfinden.
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»Oder wie wäre es mit einer Kutschfahrt?«, gab der unheimliche Betreuer keine Ruhe. Er deutete auf den Planwagen auf der anderen Straßenseite in einiger Entfernung, vor den ein Paar Pferde gespannt waren. »Okay, dann nehmen wir die Abkürzung«, sagte eine Frau aus der Gruppe und sah in die Runde. Ihr Vorschlag fand die allgemeine Zustimmung und ich atmete erleichtert auf, denn auf dem Bock des Wagens saß keineswegs ein freundlicher Kutscher aus Schierke, die Zügel in der Hand hielt ein schuppiges Ungeheuer mit einer hässlichen Fratze, das einen boshaft angrinste. Ich traute mich nicht, daran zu denken, wo ein Ausflug dieser Art hätte enden können. »Gut!«, sprach der Regenmantel zufrieden mit seinen Überredungskünsten und ließ die Gruppe an sich vorbei, um die Kolonne auf dem Trampelpfad zu schließen. Er schielte zum Schluss schmunzelnd in Richtung seines Kollegen, der währenddessen mit einem älteren Pärchen die Brockenstraße hinauflief, und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Hast du es gesehen?«, fragte ich meine Frau. »Ja.« »Wie er ihm zugezwinkert hat? Es ist eine Verschwörung! Sie stecken alle unter einer Decke!« »Und was passiert jetzt mit ihnen im Wald?«, wollte Angelina wissen. Offenbar fing sie an, mir zu glauben, dass die schlimmen Vermutungen nicht aus der Luft gegriffen waren, nachdem sie nun die eindeutigen Zeichen der boshaften Absichten der geheimnisvollen Männer erkannt hatte. »Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung! Ich kann dir nur sagen, dass es ihm Wald von Kreaturen mit Hundeköpfen wimmelt, die jeden in Stücke reißen könnten, der ihnen über den Weg läuft. Vielleicht werden sie gleich gefressen und übrig bleiben nur ihre Schuhe und Wanderstöcke? Ich habe in der Dunkelheit auf der anderen Bergseite auch schon eine Trödelhexe getroffen, die allerhand Zeug verkaufte. Ihre Ware sah aber so aus, als hätten die Sachen erst vor Kurzem jemandem gehört: Telefone, Schuhe, Regenjacken, Wanderhosen. Sogar einen schicken Anzug wollte sie mir andrehen! Wo die Besitzer von den Gegenständen abgeblieben sind, weiß nur der Teufel!«
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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