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Der Brockenwicht: Seite 81
»Alles wird gut!«, sagte ich nur sanftmütig. »Statt der Eier hast du jetzt eine leckere Erbsensuppe bekommen.« »Ja, sie war sehr gut«, bestätigte sie, nahm noch einen Schluck Kaffee und stocherte mit dem Löffel in dem Stück Streuselkuchen auf dem Teller. »Aber ab jetzt geht es nur nach unten. Es wird wesentlich leichter«, behauptete ich. Selbst glaubte ich kaum daran, was ich gesagt hatte. Angesichts der Begegnungen beim Aufstieg, war ich eher geneigt anzunehmen, dass mich statt einer gemütlichen Wanderung ins Tal weitere Horrortrips erwarteten. Aber Gott sei Dank war Angelina dafür nicht anfällig, bei ihr hätte es mit dem entspannten Spaziergang durchaus klappen können. Auf was sollte ich mich denn gefasst machen, fragte ich mich, während wir noch eine Zeit lang am Tisch saßen und zum Fenster hinausschauten. Finstere Nacht mit wandernden Irrlichtern? Ein weiteres Spiegellabyrinth? Der leuchtende Betonwabenweg? Nein, der Letzte hätte in meinem Albtraum nicht mehr vorkommen können, ihn gab es nur an der Bergflanke, an der wir hochgekrochen waren. Soweit ich mich daran erinnern konnte, was im Wanderführer geschrieben stand, führte auf der anderen Seite des Brockens eine geteerte Straße hinunter nach Schierke – die Brockenstraße. Diesen Weg mussten wir möglichst schnell hinunterlaufen bis zum Brockenbett, dort wartete die Rettung auf uns. Zumindest hatte es der Brockenwicht versprochen und aus unerfindlichen Gründen glaubte ich ihm, obwohl ich noch gar nicht sicher war, dass er überhaupt existierte. Aber irgendwas musste man glauben in dieser irren Welt! Der Glaube konnte bekanntlich Berge versetzen, dann hätte er uns auch wenigsten zurück nach Ilsenburg bringen können. Wo war eigentlich indes mein zweiter geisterhafter Begleiter abgeblieben? Was trieb Harry gerade so? Ich vermutete, er »rekreierte« sich derweil. Ein erlebnisreicher Abend stand ihm bevor, an dem »der Wein das Bier vom Tisch verdrängte«, »die Flaschen leerer und die Köpfe immer voller wurden« und die gesellige Tafelrunde »brüllte«, »fistulierte«, »deklamierte«, »predigte« und »dozierte«! Wie sie alle nach diesem Bacchanal am nächsten Morgen auf die Turmwarte heil hinaufgestiegen waren, um den Sonnenaufgang zu beobachten, blieb mir ein großes Rätsel, Heine hatte es verschwiegen. Konnte er denn nicht mal kurz auftauchen und es verraten? Sonst würde ich es nie in meinem Leben erfahren. Unsere Wege würden sich gleich trennen, sobald wir den Gipfel verlassen hatten, denn Harry brach erst am nächsten Tag nach Ilsenburg auf. Zu guter Letzt hätte ich ihn gerne noch einmal zu Gesicht bekommen, doch er ließ sich nicht mehr blicken.
(?)
Hinter dem Fenster erstrahlte plötzlich alles im goldenen Licht! Ja, die Sonne kam endlich wieder heraus. Es war so weit, wir konnten unsere Zelte abbrechen und weiterziehen. Was auch immer uns erwartete, wir mussten da durch, es gab keinen anderen Weg, um nach Ilsenburg zu kommen, ohne den magischen Kreis zu verlassen und vom Brocken hinunterwandern zu müssen. Mein kleiner Freund hatte mit keinem Wort gelogen, zumindest nicht in Bezug auf den Kreis. Ich hatte diesseits des Spazierweges bisher keine Aktivitäten feststellen können, die auch nur im Entferntesten auf ihre dämonische Natur hindeuteten. Obwohl … Mir fiel auf einmal der merkwürdige Mann im langen Regenmantel ein, der mich irgendwie seltsam anmutete und, wenn ich an seine Aktion mit dem Handy und den Coronaleugnern dachte, offenbar auch etwas Unanständiges im Schilde führte. Mir fehlte aber jeder Beweis. Es würde schon gutgehen, entschied ich. »Kannst du unsere Sachen aus dem Fach holen?«, bat mich Angelina, als wir wieder unten am Empfang waren. »Ich gehe noch eine Ansichtskarte an der Kasse kaufen. Ach ja, gibst du mir noch den Reiseführer? Da ist auch die Brockenstempelstelle.« »Okay«, brummte ich etwas unzufrieden, ehe ich im Gang zu den Schließfächern verschwand. »Das Buch ist noch im Rucksack. Und bitte mach nicht so lange, es ist schon zwei Uhr und wir sollten bald aufbrechen.« Es war wieder sehr voll in der Empfangshalle. An der Kasse drängten sich Ausflügler, die mit der letzten Bahn gekommen waren, sodass Geli anstehen musste, während ich mich unter der Treppe marschbereit machte. In der Ecke predigte wieder jemand im langen Regenmantel vom gleichen Schnitt wie vorhin, aber es war ein anderer Mann und sein markantes Kleidungsstück hatte eine andere Farbe, der Westernhut auch. Doch auf dem Fenstersims bemerkte ich auch noch den Lederhut seines Vorgängers, also konnte er ebenfalls nicht weit sein.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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