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Der Brockenwicht: Seite 77
Die Dame zeigte auf ihre ungewöhnliche Kopfbedeckung, die in mehrere Schichten Alufolie eingewickelt war und eher an ausgefallene Faschingsverkleidung erinnerte als an einen Hut. Alles stand da mit offenem Mund und beäugte staunend die neuartigen Schutzhelme. »Nun«, fuhr sie fort, »versucht diese globale Schattenregierung die Menschheit so weit zu dezimieren, dass die Leute sich problemlos lenken lassen. Was eignet sich denn dafür noch besser, als ein Gerücht in die Welt zu setzen, dass eine Seuche im Anmarsch ist und alle geimpft werden müssen. Hier kommt«, sie sah den Man im Basecap an, »auch dieser Bursche Bill Gates ins Spiel mit seinem Überwachungschip! Er wollte ohnehin schon immer die Welt entvölkern, das hat er mal selbst zugegeben – meine Schwester hat es persönlich gehört! Und ja, Sie haben natürlich recht«, zollte sie Anerkennung der jungen Frau, die die Diskussion angestoßen hatte, »wenn Sie sagen, die Pharmaindustrie und die Regierungen gehören zu dieser Verschwörung. Selbstverständlich, sie sind schon längst von dem Geheimbund unterwandert worden und machen nur das, was ihnen aufgetragen wird.« »Was wollen sie denn überhaupt damit erreichen?«, flüsterte die junge Frau hinter vorgehaltener Hand sichtlich mitgerissen. »Das ewige Leben!« »Ehrlich?«, fragte die Rote Mütze ungläubig. »Ja«, meinte die Rentnerin unbeeindruckt, »das ist das eigentliche Ziel der Weltentvölkerung! Bei den verbliebenen, gefügigen Menschen wollen sie ihre Kinder wegnehmen. Wozu, fragen Sie? Nun, Kinder tragen in sich das reine Adrenochrom, das als Verjüngungsmittel eingesetzt werden kann, und sie wollen es gewinnen, indem sie die Kinder töten und ihnen das Blut absaugen. Den Eltern werden nur so viele Kinder überlassen, wie es zur Beibehaltung einer konstanten Population erforderlich ist.« »Neeee!«, hauchte kaum hörbar der korpulente Brockenausflügler. »Das gibt's nicht!« »Doch. Es passiert jetzt und auch vor Corona war es nicht anders! Die Kinder in der ganzen Welt verschwinden nicht einfach so. Sie werden entführt, in unterirdischen Lagern gehalten und dann eins nach dem anderen umgebracht, wenn die nächste Portion des Lebenselixiers gebraucht wird.« »Woher wissen Sie es?«, fragte die junge Frau misstrauisch. »Das weiß doch jeder, zumindest in Amerika, wie meine Schwester mir erzählte. Eine anonyme Quelle aus der Trump-Regierung hatte es seinerzeit berichtet, Mister Q.« »Wer soll das sein?«
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»Das ist geheim. Geheim sind auch die Insiderinformationen, mit denen er die Menschheit vor der Gefahr warnen wollte. Sie beweisen eindeutig, dass Donald Trump der Einzige von den Mächtigen dieser Welt war, der nicht der Geheimloge angehörte, den Tiefenstaat bekämpfte und letztes Jahr auf die übelste Art und Weise abgesetzt wurde.« »Ja!«, jubelte der Mann in der roten Kappe, »Ich wusste es. Richtig! So ein Mann fehlt uns.« An dieser Stelle zog ich vor, das Feld zu räumen, noch bevor der Radfahrer seine unterbrochenen Ausführungen zu den Tücken des 5G-Funknetzes abermals aufgegriffen hätte. Andererseits hatte ich erst einmal genug Stoff zum Nachdenken über die unglaublichen Berichte, die ich gerade gehört hatte. Weitere Informationen hätten meinen Verstand womöglich sprengen können, so realitätsfremd und gleichzeitig einleuchtend klangen sie alle. Ja, was sagte man zu dem Ganzen? Mein Urteilsvermögen weigerte sich noch, die kruden Theorien zu verdauen, aber eins stand fest: Die Geschichten hörten sich so fabelhaft schön an und waren so überzeugend und schlüssig formuliert, dass ich mich kaum noch halten konnte, um nicht gleich einem Verein der Verschwörungstheoretiker beizutreten. Der Regen hatte aufgehört und die meisten Besucher hatten den Vorraum des Brockenhauses inzwischen verlassen. Meine Frau, die auch sonst wenig für Verschwörungstheorien übrig hatte, begutachtete die Souvenirs in den Vitrinen und ging zum Stand mit den Brockenansichtskarten hinüber, als ich bemerkte, dass außer ihr und noch ein paar Gästen, die sich mit den Angeboten des Besucherzentrums auseinandersetzten, noch ein Mann zwischen zwei Glasschränken stand und abwechselnd mal auf den Bildschirm seines Smartphons, mal auf die Diskussionsrunde schielte. Es war der Cowboy im braunen Regenmantel. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, wie er sich nach seiner feurigen Rede weggeschlichen hatte. Er diskutierte gar nicht mit, obwohl die hitzige Debatte, die derweil, wie ich hörte, die Gestaltung der Protestbewegung und des bevorstehenden Widerstandes gegen die Coronamaßnahmen der Regierung zum Thema hatte, erst überhaupt dank seiner provokanten Thesen zustande gekommen war. Etwas stimmte mit ihm nicht, ich glaubte, sein listiges Schielen heute schon einmal gesehen zu haben, aber ich war mir nicht sicher. Der »Westernhut« tippte zum letzten Mal mit dem Finger auf das Display, steckte das Handy in die Tasche und grinste hämisch in Richtung der Coronaleugner-Gemeinde. Plötzlich kam Bewegung in die Reihen der Verschwörungstheoretiker. Einer nach dem anderen griffen sie in ihre Taschen, denn mit einem Mal surrten und piepsten bei allen die Telefone. Verwundert zeigten sich alle gegenseitig die empfangene Nachricht und wechselten geheimnisvolle Blicke miteinander. Alsdann packten die Gruppenmitglieder ihre Sachen und begaben sich in Eile zum Ausgang. Was auch immer der Grund für ihren überstürzten Aufbruch war, er hatte etwas mit dem unheimlichen blonden Cowboy zu tun. Es bestand kein Zweifel.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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