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Der Brockenwicht: Seite 67
Ich tippte mit dem Finger auf »Zustimmen«. Das Gerät schluckte den Befehl und generierte einen bestätigenden Ton. Gleich darauf erleuchtete sich der Betonwabenweg und lag nun vor mir wie eine Landebahn. Er führte unbeirrt fast schnurgerade an allen Lagerfeuern vorbei, bis er sich irgendwo in der Ferne am Brockengipfel verlor. Man konnte wirklich weit sehen. Das Gelände war verhältnismäßig flach und die verkrüppelten Tannen verdeckten nicht die Sicht. Doch hatte ich das Gefühl, dass etwas mit meiner räumlichen Wahrnehmung nicht stimmte. Wenn ich den phosphoreszierenden Weg bis zum Fuße des Gipfelhügels verfolgte und dann die Entfernung zu den roten Warnleuchten des Sendemastes auf dem Gipfel schätzte, kam er mir doppelt so lang vor, wie er hätte sein sollen. Ich hatte dafür keine Erklärung, es konnte auch eine optische Täuschung sein. Das Smartphone piepte erneut. »Vielen Dank für Ihr Vertrauen, über das weitere Vorgehen in Ihrer Sache werden Sie in Kürze unaufgefordert benachrichtigt. Folgen Sie nun dem Weg, um an einem der Themenbereiche der Konferenz teilzunehmen!«, lautete die Meldung. Es wurde immer skurriler. Wie es sich herausstellte, hatte Mephisto sein dunkles Geschäft mittlerweile automatisiert und digitalisiert, denn offenbar war mein Einverständnis irgendwo gespeichert worden und würde früher oder später eine Rolle in meinem Leben spielen. Ich verdrängte es zunächst einmal. Von der Hexenkonferenz wollte ich ebenfalls nichts wissen, aber ich konnte mich wohl unbehelligt auf dem Hirtenstieg bewegen – das war die einzige Information, die für mich im Moment zählte. Ich beeilte mich. Der erkaufte Vorteil musste genutzt werden, solange es sich der Anführer der Unterwelt nicht anders überlegt hatte. Das Licht der Handytaschenlampe war nicht mehr zwingend erforderlich und ich schaltete es aus, um nicht unnötig das Augenmerk der teuflischen Anhängerschaft auf mich zu lenken, denn dann und wann blitzten in der Dunkelheit abseits der Feuerstellen rote Punkte auf, und ich wusste nur zu gut, wer sich dahinter verbarg. Der Weg war flach, ich kam gut voran und näherte mich dem ersten Lagerfeuer, das dreißig Meter von den Betonplatten entfernt rechts neben dem Hirtenstieg am Rande einer Waldung brannte, als mein Schritt stockte und ich wie angewurzelt stehen blieb, weil ich etwas recht Ungewöhnliches und Unerwartetes erblickte.
(?)
Aufs Äußerste verwundert sah ich zum Feuer hinüber. Statt nackter Hexen, die ausgelassen im Kreise tanzten, sah ich einige Reihen von langen Bürotischen, auf denen Computerbildschirme flimmerten. Abscheuliche Hexen, ekelhafte Trolle und noch nie gesehenes Höllengesindel saßen an den Tischen, blickten konzentriert auf die Monitore und tippten etwas unheimlich schnell auf ihren Tastaturen. Sie hatten nach wie vor dieselben hässlichen Fratzen, aber gekleidet waren sie in feinste Businessanzüge und Geschäftsblazer mit schneeweißen Blusen. Neben dem Feuer war eine riesige Satellitenschüssel installiert, die gen Himmel ragte, und das ganze Ambiente erinnerte eher an ein Raumfahrt-Kontrollzentrum als an einen Hexensabbat. Alles war auf den Brockengipfel ausgerichtet, als wären all diese Ausgeburten der Finsternis hier positioniert worden, um von dort Anweisungen zu empfangen und sie unmittelbar in die Tat umzusetzen. Und tatsächlich, hin und wieder änderte sich plötzlich wie auf einen Befehl die Anzeige auf allen Bildschirmen gleichzeitig und eine Welle hektischer Bewegungen ging durch die Reihen – auf einmal stürzten sich alle jauchzend auf ihre Keyboards und hackten auf den Tasten herum wie ein Schwarm wild gewordener Möwen, bis der Text geschrieben und abgesandt wurde. »Haha!«, meinte ein widerliches reptilienartiges Wesen im schicken Anzug, das mir am nächsten saß, zu seiner Nachbarin. »Die Alte kriege ich heute noch rum! Sie wird schon tun, was wir von ihr wollen.« »Was glaubst du denn«, fragte ihrerseits die Frau mit entstelltem Katzengesicht neben ihm, »wie viel der Blödmann, mit dem ich heute Morgen geschrieben habe, auf ein Fake-Konto überwiesen hat? Ich denke schon, dass wir diesmal das Parlament richtig aufmischen können, wenn es mit den Spenden so weitergeht. Ich muss nur noch den einen oder anderen Idioten überzeugen! Wir kriegen 'ne Prä-mi-e, Kleiner!« »Was ist eigentlich aus deinem Projekt mit den Kids geworden?« Das Reptil wandte ihr seine schuppige Schnauze zu. »Keine Ahnung. Habe ich vor ein paar Monaten abgegeben. Mephi meinte, es sind Wahlen und so …, wir müssten alle Kräfte darauf werfen.«
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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