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Der Brockenwicht: Seite 66
Plötzlich hörte ich einen kurzen Klingelton, der nur von einem Smartphone stammen konnte. Er klang wie eine Benachrichtigung über eine eingegangene Mitteilung. Mein Telefon war es nicht gewesen, es steckte in meiner Brusttasche und hatte immer noch keinen Empfang. Ich sah mich um und konnte niemanden entdecken, wessen Gerät den Ton hätte erzeugen können. Das Klingeln wiederholte sich. Diesmal klingelte es aber zweimal und viel lauter als zuvor. Was in aller Welt ging hier vor? Ergriffen von Panik wollte ich schon losrennen, um mich noch rechtzeitig vor irgendeinem Trupp Zerbolte, der gleich auftauchen würde, in Sicherheit zu bringen, besann mich aber wieder, als das Telefon verstummte. Erst beim dritten schrillen Läuten erkannte ich den Zusammenhang: Das Geräusch kam aus der Tasche an meinem rechten Hosenbein. Verwundert beäugte ich das Smartphone, das ich aus meiner Hosentasche herausgeholt hatte, und erkannte es wieder. Es war das Telefon, das mir die hässliche Trödelhexe hatte aufdrücken wollen. Die alte …! Sie hatte mir das Gerät heimlich in die Tasche geschmuggelt. Verflixtes Weib! Und ich hatte sie noch bemitleidet. Ich dämlicher Idiot! Auf dem Bildschirm stand: »1 Ungelesene Nachricht.« Wer hatte mir überhaupt etwas gesendet? Ich tippte auf die Mitteilung. Die Absenderkennung war unterdrückt, der Text war äußerst merkwürdig. »Bitte stimmen Sie den Allgemeinen Besuchsbedingungen der alljährlichen Unsicherheitskonferenz zu, um eine autorisierte Führung durch das Gelände zu bekommen. Anderenfalls übernimmt der Veranstalter keine Haftung. Das Betreten des Platzes erfolgt auf eigene Gefahr.« Was war das denn? Welche Besuchsbedingungen? Welche Konferenz? Unter dem Text gab es eine einzige Option: »Zustimmen« – offenbar meinten es die Leute, oder wer auch immer die Mitteilung verfasst hatte, absolut ernst. Was aber fehlte, war die Möglichkeit, die Bedingungen einzusehen.
(?)
Was sollte ich nun machen? Völlig unerwartet sah ich mich mit der undankbaren Aufgabe konfrontiert, eine schicksalhafte Entscheidung treffen zu müssen. Freies Geleit hörte sich vielversprechend an, denn irgendwie musste ich auf die andere Seite, zum Gipfel. Der Preis dafür war aber: Ich musste irgendeiner Vereinbarung zustimmen. Doch hatte ich nicht die geringste Ahnung, wozu ich mich verpflichten würde! Sich auf einen Pakt mit dem Teufel einzulassen, ohne zu wissen, was er im nächsten Schritt von dir verlangte, war äußerst gefährlich und außerdem würde der Beelzebub vermutlich jeden Vertrag brechen, der ihm nicht mehr passte. Faustus hätte davon ein Lied singen können, glaubte ich. Dass jemand anders hinter dem Ganzen stand als der Höllenfürst, zog ich gar nicht in Betracht. »Sein oder Nichtsein?« – das war hier in der Tat die Frage. Ich versuchte sachlich und rational zu bleiben. Was stand hier effektiv auf dem Spiel, fragte ich mich. Diese Welt gab es doch nicht wirklich, es konnte mir letztendlich nichts passieren, auch wenn ich die Meldung auf dem Bildschirm einfach ignorierte. Was man allerdings nicht verleugnen konnte, war die Dunkelheit – sie war absolut real. Obgleich es deutlich heller geworden war als zuvor, reichte das Licht der Feuer und der helle Streifen am Himmel hinter dem Großen Brocken bei Weitem nicht aus, um in fünf Metern Entfernung etwas auf dem Weg zu erkennen. Man stand vor der Wahl: Entweder versuchte man, ohne eine nennenswerte Lichtquelle von Feuer zu Feuer Richtung Gipfel zu wandern, und riskierte dabei, sich den Hals zu brechen, geschweige denn, Geschöpfen der Finsternis zu begegnen, oder man drückte auf »Zustimmen« und … Ja. Was, und? Was würde dann geschehen? Es war ungewiss, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund war ich geneigt anzunehmen, dass sich derjenige, der hier im Hintergrund agierte, zumindest fürs Erste an sein Wort halten würde und mich sicher über den Hexentanzplatz zum Gipfel führte. Mehr brauchte ich im Moment nicht. Dort würde ich erst einmal innerhalb des magischen Kreises sein. Es war das, was der Brockenwicht mir dringend geraten hatte: »Versuche so schnell wie nur möglich, den magischen Kreis zu erreichen.« Und der Pakt? Welcher Pakt zum Teufel? Bei Verträgen dieser Art musste man das Gleiche tun, was auch die Gegenseite insgeheim beabsichtigte: Sie hinterhältig brechen!
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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