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Der Brockenwicht: Seite 47

Die blonde Schönheit schwieg, aber man konnte ihr ansehen, dass ich sie bitter enttäuscht hatte. Ihre Augen bekamen einen feuchten Glanz, ihre Arme hingen rat- und willenlos am Körper hinunter. Sie stand neben dem Weg wehrlos und verletzlich und sah mich vorwurfsvoll an durch den Schleier der fließenden Tränen, die zusammengepressten Lippen zitterten. Mit stockender Stimme sprach die zierliche Halbhexe zu mir, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte:

 

»Mein Glück find' ich bei meinesgleichen!

Auch ohne Eure Hand erreichen

Werd' ich den Gipfel. Schämet Euch

Und ziehet weiter. Das Geläut

Der Satansglocke wird mich führen,

Bis ich beim neunten Schlage spüre

Das Böse unter meiner Haut.

Der Höllenfürst nimmt mich zur Braut!«

 

Ihr war nicht zu helfen, stellte ich mit Bedauern fest. Sie war besessen von der Idee, sich dem Junker Voland hinzugeben. Wer um Gottes willen hatte den ganzen geistigen Müll in ihren kleinen Kopf hineingetrichtert? Das Fräulein konnte doch nicht von alleine schon als Kind darauf gekommen sein!

Ich wollte mich schon in aller Form von ihr verabschieden und meine Wanderung fortsetzen, als sich plötzlich die Ereignisse überschlugen. Schon während des dichterischen Vortrags der jungen Dame, hatte ich ein seltsames Gefühl bekommen, dass sich in der Dunkelheit irgendwelche Schatten bewegten. Jetzt nahm ein Schatten hinter dem Rücken der unglücklichen Hexe Gestalt an. Er hatte blutrot leuchtende Augen einer Bestie und hechelte wie ein erschöpfter Hetzhund nach einer Verfolgungsjagd. Es war ein Zerbolt. Und wo einer war, musste es noch mehr geben, vermutete ich und stellte im nächsten Augenblick mit Entsetzen fest, dass sich der armen Frau von allen Seiten rote Punkte aus der Dunkelheit näherten. Es war nicht mehr die kleine Einheit von vorhin, es musste eine ganze Hundertschaft sein. Sie hatten die noch menschliche Hälfte der werdenden Hexe sofort gewittert und durchkämmten nun die Gegend auf der Suche nach ihrer Beute. Das Mädchen befand sich nicht auf der sicheren Seite der schützenden Mauer des Hirtenstiegs und war diesen Werwölfen ausgeliefert! Es knirschte, es schmatzte, es grunzte und es knurrte aus allen Richtungen in freudiger Erwartung der anstehenden Vergnügung. Ich wusste nicht, wie mir geschah, als sich schon im nächsten Moment eine Gruppe von Zerbolten um die Frau drängte.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Es waren die abstoßendsten Kreaturen, die ich je gesehen hatte: Ein abscheulicher Hundekopf, aufgesetzt auf einen menschlichen Torso, die Arme waren kräftig und muskulös und die Hände schienen Schuppen zu haben. Die grausamen Ausgeburten der Schattenwelt hatten eine Art Hühnerbeine, übermäßig dick am Oberschenkel und unnatürlich dünn am Fußgelenk, dafür hatten aber die vierzehigen Füße rasiermesserscharfe Krallen von der Größe eines Bäreneckzahns. Sie trugen keine Bekleidung, ihr Körper war stellenweise bedeckt mit kurzem, dichtem Fell. Ihr männliches Körperteil wies alle Merkmale einer Erregung auf.

Die Bestien begrapschten wollüstig die blonde Schönheit mit ihren schuppigen Klauen. »Pack sie an der Schulter und ziehe sie durch die unsichtbare Mauer!« war das Erste, was ich bei diesem Anblick gedacht hatte, aber ich war wie gelähmt und rührte mich nicht von der Stelle, obwohl ich sie zu dem Zeitpunkt noch hätte retten können. Durch eine wagemutige Aktion wäre die Schöne unversehrt geblieben.

Im nächsten Augenblick war es schon zu spät. Die brünstigen Zerbolte zerrten die Halbhexe beiseite, warfen sie auf den Boden und stellten sich um sie im Kreis auf. Bald flog ihr weißes Nachthemd in hohem Bogen über die geschlossenen Reihen der Ungeheuer und ich vernahm ein leises, wimmerndes Jammern des Mädchens aus der Kreismitte. Sie vergingen sich an ihr. Was im Einzelnen geschah konnte ich nicht sehen und wollte es auch nicht erleben. Man hätte es sich aber denken können, denn in gewissen Zeitabständen erfüllte ein lautes Grunzen die Gegend als Zeichen tiefer animalischer Befriedigung, wonach es wieder ruhig wurde – es ging in die nächste Runde mit einem neuen Teilnehmer. Als dem allgemeinen Wunsch nach Belustigung Genüge getan worden war, zerfiel der Kreis der Zerbolte in seine Einzelteile und ich erblickte den regungslosen, geschundenen nackten Körper auf dem Boden, befleckt mit zerboltschen Körperflüssigkeiten. Ich nahm zunächst an, die Arme war bewusstlos, begriff aber meinen Irrtum, nachdem ich gesehen hatte, dass ihre weit aufgerissenen Augen mit abwesendem Blick in den Himmel starrten. Ihr teilnahmsloser Gesichtsausdruck veränderte sich auch dann nicht, als zwei kräftige Zerbolte sie an den Armen und Beinen packten und wie ein erlegtes Stück Wild wegbrachten. Der Rest der widerwärtigen Schänder folgte ihnen entlang des Betonwabenweges. Ich begleitete sie mit meinem Blick, bis sie sich alle in der Dunkelheit aufgelöst hatten. Es wurde ohrenbetäubend still.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.825
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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