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Der Brockenwicht: Seite 35

Nun sah ich den verkaterten Ort mit eigenen Augen. Außer der berühmt-berüchtigten Ferienanlage, die sich jenseits eines Zauns hinter einer Baumreihe versteckte, schmückten einige heruntergekommene Hütten aus morschen Brettern die Hauptstraße und als Krönung verlieh das örtliche Kino auf dem Dorfplatz dem Nest noch einen ganz besonderen Charme. »Sehen Sie demnächst: Die milde Luft der Herbstsaison«, annoncierte eine handbeschriebene Tafel an dem noch übriggebliebenen schiefen Türflügel am Eingang zu einem dämmrigen Holzschuppen die anstehende Filmvorstellung. Dem Gebäude fehlte teilweise das Dach, die Fensterläden waren dicht verschlossen und es sah nicht so aus, dass man vorhatte, sie noch jemals zu öffnen. Das Bild fand nicht nur ich einer Verewigung wert.

»Serjoga«, wandte sich Wasilij an Sergej, der einen Fotoapparat im Gepäck hatte, »knips mal grad ein Bild!«

Wasilij war ein hünenhafter korpulenter Bursche, der äußerlich Gefahr ausstrahlte, in seinem Inneren jedoch der gutmütigste Mensch in der Welt war. Nur selten nutzte er die ihm in die Wiege gelegte physische Überlegenheit und wich einer direkten tätlichen Konfrontation eher aus. Ob aus Respekt vor seiner Größe oder aufgrund seines harmlosen Naturells, aber er hatte während der ganzen Schulzeit nie einen richtigen Spitznamen bekommen, bei dessen Vergabe die Mitschüler nie besonders zimperlich miteinander umgingen und nicht an deftigen Ausdrücken sparten. Alle nannten ihn immer nur beim Vornamen – Waska. Er stellte sich bildbeherrschend vor den Eingang des abrissreifen Kinos und der Rest folgte seinem Beispiel.

»Da ist ja ein Brunnen!«, meldete sich Lembit zu Wort, nachdem unser Fotoreporter die Session beendet hatte. Er war mein alter Spielgefährte, mit dem wir in einem Hof aufgewachsen waren, trug ganz viele Dummheiten in seinem Kopf, überraschte aber gleichwohl sehr oft mit ergiebigen Ergüssen der Vernunft, wenn es um das Wesentliche ging. »Ich habe einen Megadurst! Wir könnten auch unsere Wasserflaschen wieder vollmachen.«

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Mitten auf dem Dorfplatz ragte aus dem Boden ein meterhohes zum Teil eingefallenes, in Blockbauweise aus Rundhölzern errichtetes Gefüge, das sehr an die Umrandung eines Schöpfbrunnens erinnerte: Oben war eine Winde angebracht mit einem aufgewickelten Seil, an dem ein Eimer befestigt war. Ich hätte mir noch heute gewünscht, der Eimer wäre nicht da gewesen und wir hätten uns erst gar nicht dem Brunnen genähert, denn das traurige Schicksal unseres ganzen Unterfangens nahm seinen Lauf, als Alexander den unschuldigen Behälter voll mit Wasser aus der Tiefe des Brunnens nach oben gekurbelt hatte.

»Es ist aber sehr salzig«, stellte er fest, nachdem er einen Schluck Grundwasser direkt aus dem vollen Eimer gemacht hatte.

Sascha – ein helles Köpfchen – studierte mit mir an derselben Hochschule, belegte aber einen Studienplatz mit der Fachrichtung Deutsche Literatur. Schon zu Schulzeiten hatte er als wandernde Enzyklopädie für viele Fragen gegolten, war aber für das alltägliche Leben etwas weniger geeignet gewesen und hatte bei den Mitschülern den Ruf eines Tollpatsches genossen, bei dem die einfachsten Dinge schiefgehen konnten.

Wir tranken alle etwas nach dem Zehn-Kilometer-Marsch und legten die Rucksäcke ab, um unsere Wasservorräte aufzufüllen. Meine Feldtasche, in der Karten und Kompass lagen sowie lauter wichtiges Zeug zu finden war, unter anderem die Expeditionskasse, hängte ich an einem krummen verrosteten Nagel am Laternenmast auf, der neben dem Brunnen stand, und holte unseren Wanderplan heraus.

»So! Wo müssen wir jetzt weiter?«, fragte ich, während sich der Rest der Gruppe um mich drängte, um auch einen Blick auf die Karte zu erhaschen.

»Ich glaube«, sagte Sergej schließlich, »wir müssen diese Straße entlanglaufen. Sie führt am Dendrarium vorbei und geht weiter zum nächsten Dorf.«

»An einem, was?«, erkundigte ich mich, als ich das unbekannte Wort gehört hatte.

»Dendrarium«, gab Sergej kurz zur Antwort.

»Was ist ein Dendrarium?«, gab ich keine Ruhe.

»Na ja, es ist so ein Garten, wo man exotische Bäume pflanzt.«

»Und so was wie … dieses Dendrarium, gibt es hier in diesem Kaff?«, wollte ich es immer noch nicht glauben.

»Ja, ich habe auch davon gehört«, mischte sich Sascha in das Gespräch ein.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.825
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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