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Der Brockenwicht: Seite 34

»Was ist denn das hier?«, rief ich verwundert, als ich den Rastplatz erreicht hatte, wo sich Geli an der Infotafel bereits Heines Zeilen aus der Harzreise zu Gemüte führte.

Die Hermannschaussee kreuzte ein Weg, der aus Betonplatten bestand, welche sich wie aneinandergelegte Dominosteine in die Tiefe einer finsteren Waldung zogen, wohin auch der Wegweiser mit der Aufschrift »Heinrich-Heine-Weg« zeigte. Der schlecht in die Gegend passende geheimnisvolle Betonplattenweg kam von unten, den Hang herauf, von dem wir gerade noch die Aussicht genossen hatten, sein Anfang war nicht auszumachen. Kritisch unterzog ich den Wegweiser einer gründlichen Prüfung. Er fühlte sich sehr echt an. Nachdem ich heute schon einmal eine seltsame Erfahrung mit dieser Art von dunklen Wäldern gemacht hatte, wollte ich zu hundert Prozent sicher sein.

»Ein Militärweg«, informierte mich meine Frau, als sie ihre Lektüre beendet hatte.

»Was für ein Mi…?«, wollte ich schon fragen, als ich mich auch an die Beschreibung im Wanderführer erinnerte und zurückruderte: »Ach so, stimmt!«

So etwas hatte ich auch in der Broschüre gelesen. Der Autor schrieb über einen Betonwabenweg für Militärfahrzeuge aus der Zeit des Kalten Krieges. Man hätte sich kaum noch eine effizientere Methode vorstellen können, um die Menschen von einer Brockenwanderung im Sperrgebiet abzuhalten, da waren, wie es mir schien, auch keine Volksarmisten mit Maschinengewehren erforderlich gewesen. Wirklich, meine romantische Stimmung verflüchtigte sich mit einem Mal, sobald ich die fantasievolle Lösung des Problems in ihrer bestechenden Simplizität zu Gesicht bekommen hatte. Die klugen Köpfe hatten die Platten in der unverwechselbaren, geradlinigen militärischen Art einfach über den Hirtenstieg legen lassen.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Erinnerungen überfluteten plötzlich meinen Kopf, denn eine zum Verwechseln ähnliche Straße aus Betonplatten hatte ich schon vor vielen, vielen Jahren gesehen. Sie befand sich in einem ganz anderen Land, aber militärische Baukunst sah in allen Teilen dieser Welt gleich aus. Der Anblick versetzte mich noch einmal in die Zeit meiner Jugend, als wir, fünf achtzehnjährige unbedarfte Möchtegernentdecker, eines Tages auf gut Glück zu einer mehrtägigen Wanderung durch die Weiten der westsibirischen Tiefebene aufgebrochen waren. Die Expedition hatte mich unerklärlicherweise für mein ganzes Leben maßgeblich geprägt, und obgleich es nur fünf Tage gewesen waren, hatten sie die gefühlte Bedeutsamkeit von mindestens fünf Lebensjahren.

 

Wir wanderten nach Norden, wenigstens am Anfang, denn so lautete unser Plan – eigentlich mein Plan, den ich schon seit einem halben Jahr im Kopf trug und die restlichen vier ihn für gut befunden hatten. Warum nach Norden? Die Frage hätte ich wahrscheinlich nicht einmal mir selbst beantworten können. Einfach nach Norden! Der Beschluss stand fest, seitdem ich im Bereich der naturwissenschaftlichen Fakultät der Hochschule eine Landkarte an der Wand gesehen hatte, auf der ein großräumiges Gebiet nördlich von der Stadt abgebildet war, das meinen Blick mit seinen grün eingefärbten Waldflächen magisch anzog.

Es war ein weiter Weg und wir hatten uns schon in aller Herrgottsfrühe in Lembits Garageneinfahrt mit unseren großen, schweren Rucksäcken eingefunden, um danach mit dem Bus zum anderen Ende der Stadt zu fahren, wo der ins Auge gefasste Ausgangspunkt für unsere zweiwöchige Expedition lag, bei der es um eine beachtliche Strecke von beinahe zweihundert Kilometern ging. Ach, wie naiv und romantisch wir doch waren!

»Wir können auch gleich hier für ein paar Tage das Zelt aufstellen und uns prächtig volllaufen lassen!«, sagte Sergej und schmunzelte spitzbübisch, als wir den ersten Ort erreichten, der auf unserem Weg lag, ein kleines Dorf, das nur zehn Kilometer von der Stadt entfernt war. »Die Kumpels von der Möbelfabrik sind hier seit gestern Abend auf Sauftour im Betriebserholungszentrum. Sie müssen jetzt einen gewaltigen Kater haben.«

Sergej war – wie auch alle anderen Teilnehmer der Wandergruppe – mein Schulkamerad, mit dem wir während der Schulzeit im Grunde gar nicht so eng befreundet gewesen waren, was aber eine recht warme Freundschaftsbeziehung in späteren Jahren in keiner Weise störte. Er hatte nach der Schule keinen Studienplatz an der polytechnischen Hochschule bekommen, rutschte in irgendein merkwürdiges Abiturientenprogramm und arbeitete schon seit einem Jahr für einen Apfel und ein Ei in einer Möbelfertigung mit der Option, im kommenden Jahr eingeschrieben zu werden. Er hatte schon zur Genüge über die alkoholischen Eskapaden der Belegschaft erzählt, die hier regelmäßig feuchtfröhliche Wochenendaufenthalte in der betriebseigener Ferienanlage buchte.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.825
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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