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Der Brockenwicht: Seite 123
Es hatte funktioniert, stellte ich fest, als ich schon zweihundert Meter vom Kreisel entfernt war und keinen Wagen mit getönten Scheiben uns hinterherfahren sah. Trotzdem hielt ich keine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme für überflüssig, fuhr in eine Stichstraße hinein und parkte kurzerhand zwischen den Autos am Straßenrand. Wer hätte es sein können, der uns so hartnäckig verfolgte? Ich dachte da nur an einen: Von Blocksberg. Er hatte sich ja nicht ohne Grund an der Schutzhütte Hals über Kopf davongemacht – er hatte nämlich noch das Auto besorgen müssen, so vermutete ich. Sein Befehl lautete eindeutig: Mir auf Schritt und Tritt zu folgen und einzugreifen, falls ich auf dumme Gedanken kommen sollte. Diesen Befehl führte er nun aus. »Das waren sie!«, sagte Dominik, nachdem das schwarze Auto die Hauptstraße auf der Suche nach uns hinuntergerast war. »Gut«, meinte ich zu ihm. »Dann können wir uns ja auch gleich auf den Weg zum Bahnhof machen.« »Ist es dein Bekannter, der uns verfolgt?«, erkundigte sich Dominik. Woher sollte der Junge auch wissen, dass Mephisto für diese Zwecke eine Reihe von Bediensteten hatte und nie selbst die Schmutzarbeit machte? Ich sagte: »Ich denke mehr an den Typen im Lederhut. Du hast ja gehört, welche Aufgabe er bekommen hat. Mir die Knochen zu brechen.« »Ist auch egal, wer es ist«, zeigte er sich einsichtig. »Hauptsache, wir können jetzt ruhig zum Bahnhof fahren. Übrigens, alle Achtung, es war ein guter Einfall, wie man das Auto abhängen kann!« Ich wendete und fuhr auf die Hauptstraße. Die schwarze Limousine war nicht in Sicht. Noch einmal Glück gehabt, dachte ich, während wir durch Ilsenburg auf der Suche nach dem Bahnhof irrten. Falls von Blocksberg erneut auftauchte, kannte ich nun wenigstens den Kreiseltrick. Die teuflische Observierung gefiel mir überhaupt nicht, ich musste um jeden Preis versuchen, den unliebsamen Begleiter loszuwerden. Die Bande durfte auf keinen Fall erfahren, wo wir abgestiegen waren, und schon gar nicht Kenntnis davon erlangen, wo ich normalerweise wohnte. Ich musste für eine Weile untertauchen, mich unsichtbar für sie machen, denn ich hatte nicht vor, auch nur etwas von dem zu tun, was sie verlangten, und die angedrohten Vergeltungsmaßnahmen waren sehr ernst gemeint, befürchtete ich.
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»Das muss er sein, der Bahnhof«, sagte Dominik, als auf der rechten Straßenseite ein Gebäude aus rotem Backstein auftauchte. Ich hielt auf dem Seitenstreifen. Auf dem kleinen Platz war zu dieser Stunde weit und breit kein Mensch zu sehen. Das Gebäude schmückte sich mit der Aufschrift »Stellwerk« – vermutlich ein Restaurant – und besaß alle Merkmale der Bahnhofarchitektur. Wir waren hier richtig. Abschiednehmen war angesagt. Ich stieg aus, um den beiden mit ihren Rucksäcken zu helfen, und sagte, nachdem die Heckklappe wieder ins Schloss gefallen war: »Seht euch vor, Leute. Es kann Ärger geben. Ich habe nämlich nicht vor, das von mir erpresste Versprechen zu erfüllen, darauf kann der … mein Bekannter lange warten. Es kann passieren, dass er euch wieder belästigt, um an mich ranzukommen. Seid vorsichtig.« »Richtig. Ich hätte es auch so gemacht. Wollen wir doch hoffen, dass alles gutgeht«, meinte Dominik. »Und nicht vergessen, die Hexengeschichte vom Brocken«, erinnerte mich Leonie an mein Versprechen. »Ja, schicke ich«, bestätigte ich meine Absichten, während Dominik seine Freundin vorwurfsvoll ansah. »Dann sind wir erst mal weg«, meinte er zu mir. »Wir bleiben in Kontakt.« Die beiden gingen zum Eingang und verschwanden hinter der großen grünen Tür. So, jetzt war auch das abgehakt, dachte ich erleichtert. Jetzt nur noch nach Hause und endlich die Beine ausstrecken. Wahrlich, ich war so erschöpft, dass ich kaum noch stehen konnte. Hoffentlich kam jetzt nicht noch von Blocksberg angerauscht. Ich beeilte mich, stieg in das Auto ein und drückte im iPhone auf die gespeicherte Adresse der Unterkunft in Bad Harzburg. »Route wird gestartet«, meldete sich die nette Frauenstimme aus der Kartenapp. Ich ließ den Motor an, setzte den Blinker und sah in den Rückspiegel bereit loszufahren. Was war denn das? Einen Augenblick lang kam es mir vor, dass hinter uns ein Stückchen weiter oben am Straßenrand die schwarze Limousine parkte. Ich sah noch einmal hin, aber die Vision war weg, die Straße war frei. Vorsichtshalber sah ich noch auf die andere Seite zum Bahnhofvorplatz und merkte, dass sich die Eingangstür langsam schloss, als wäre gerade jemand hineingegangen. Doch konnte ich mich noch genau erinnern, dass vor wenigen Sekunden, kein Mensch auf dem Platz gewesen war, der das Gebäude hätte betreten können. War es die Erschöpfung, die meine Sinne trübte? Ich ignorierte den Vorfall, von unerklärlichen Phänomenen hatte ich schon genug, und legte den Gang ein, zumal auch die Frau im Telefon immer nerviger wurde.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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