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OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Der Brockenwicht: Seite 103

»Wen hast du denn gerade angebrüllt?«, wollte Geli wissen, nachdem sich meine Aufregung gelegt hatte.

»Hmm? Ja … es gab hier so einen … kleinen Zwischenfall mit den … Wichten, würde ich sagen.«

Sie sah mich misstrauisch an. »Mit wem?«

»Na mit den Tierchen, von denen ich dir erzählt habe«, tischte ich ihr ein Ammenmärchen auf, um nicht in Erklärungsnot zu geraten. »Sie hatten uns fast überrannt, und wenn ich sie nicht angebrüllt hätte …«

Sie glaubte kein einziges Wort von dieser Geschichte, entstand bei mir der Eindruck, und ich wechselte schnell das Thema.

»Sag noch mal: Aus welcher Richtung kam der Hilferuf?«

Geli zeigte nach vorn, wo die Straße in eine leichte Rechtskurve ging und sich der Wald hinter der Biegung zu lichten schien. Man konnte aber noch nicht mit Gewissheit sagen, ob dort schon der Hexenwald aufhörte, was aber definitiv feststand, war die Tatsache, dass weit und breit unverändert kein Mensch zu sehen war.

Es regnete unaufhörlich weiter. Das stachelige Gewand der Fichten, deren Zweige sich oben beinahe berührten und ein löchriges Dach über dem Weg bildeten, hatte sich bereits mit Wasser vollgesogen und es tropfte von den Nadeln mit gleicher Intensität, mit der es vermutlich auch ohne den Schutz der Bäume geschüttet hätte. Die nassen Steinchen des Schotters auf der Straße glitzerten im schwachen Licht, das noch von oben fiel, wie fein geschliffene Diamanten und zeigten uns den Weg durch den Wald.

Nur auf den ersten Blick kam es einem so vor, dass die Schattenwesen endgültig verschwunden waren, bei genauem Hinsehen bemerkte man aber nach wie vor, wie ab und zu ein grauer Schatten in gehöriger Entfernung vorne über den Weg huschte. Der Wichtzauber, sein sogenanntes Schutzfeld, was auch immer er darunter verstand, funktionierte zuverlässig. Keine Kreatur traute sich in unsere Nähe. Von mir aus hätte es auch gerne so weitergehen können, bis wir das Ende des Hexenwaldes erreicht hätten, das möglicherweise schon hinter der Biegung lag, denn die Abstände der Tannen zueinander wurden allmählich größer, wir wanderten tatsächlich auf eine Lichtung zu.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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Doch meine Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Hinter der Kurve mündete von links nur ein Waldweg in die Schotterstraße. Woher er kam und wohin er führte war nicht zu ersehen. Rund um die Stelle, an der sich die Wege kreuzten, hatte sich ein größerer waldfreier Bereich gebildet, an dessen Ende im weiteren Verlauf des Weges nach Ilsenburg eine Schutzhütte neben der Straße stand. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war die Idee, in der Hütte Schutz zu suchen und das Ende des Regens abzuwarten. Doch merkte ich bereits im nächsten Augenblick, dass meine Absichten kaum noch Chancen auf ihre Umsetzung hatten. Die Ereignisse folgten Schlag auf Schlag mit rasender Geschwindigkeit, sodass ich meine Mühe hatte, auf jedes einzelne entsprechend zu reagieren.

Als Erstes hörte ich ein gedämpftes Kreischen einer Frau, als ob sie versuchte, mit zugehaltenem Mund laut zu schreien. Es kam von der Hütte und hörte sich an wie ein verzweifelter Hilferuf.

»Hiiiilfe«, gab sich die verzagte junge Frau alle Mühe, mit ihrer Stimme auf sich aufmerksam zu machen. »Helfen Sie uns bitte!«

Ich konnte ihre Worte nicht genau auseinanderhalten, aber etwas Ähnliches musste die Frau geschrien haben, wenn man es nach den gurgelnden Lauten, die sie von sich gab, zu beurteilen versuchte.

»Es ist das junge Pärchen!«, flüsterte Geli entsetzt. »Warum haben sie keine Sachen an und wieso stehen sie auf den Knien?«

Ich stand da wie vom Blitz getroffen und konnte kein Wort über die Lippen bringen, schockiert von dem haarsträubenden Anblick. Das Bild erinnerte eher an eine Szene aus einem Gangsterfilm mit Geiselnahme als an eine harmlose Wanderung im Harz, die sich die jungen Leute heute vorgenommen hatten. Es war das Pärchen, das uns an der Verdeckten Ilse überholt hatte, aber ich erkannte die beiden kaum wieder. Sie knieten auf den spitzen Schottersteinen vor der Schutzhütte unter den Regengüssen, ausgezogen bis auf ihre Unterwäsche. Die Hände waren hinter dem Rücken zusammengebunden und an den Fußknöcheln ließen sich ebenfalls festgezogene Kabelbinder erkennen. Um ihren Kopf war Klebeband gewickelt, das den Mund bedeckte und sie am Schreien hindern sollte. Nur die Augen blieben noch frei und das Mädchen sah mich damit unter den nassen Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht fielen, flehend an. Die Kleider und die Rucksäcke lagen im Regen neben ihnen und darüber erhob sich eine bekannte Figur: Mephistopheles! Ich erkannte ihn sofort an seinem schielenden Blick, obgleich er diesmal in der Gestalt eines Försters erschienen war.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.859
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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