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Der Brockenwicht: Seite 101

Die Wand des dunklen, dichten Nadelwaldes rückte umso näher, je weiter wir uns vom Brockenbett entfernten. Die verspielte Ilse machte gerade einen Ausflug und floss irgendwo links vom Weg durch die Gegend, ihr Flüstern war nicht mehr zu hören. Nun verstand ich, warum der Wicht dieses Dickicht den Schwarzen Wald nannte. Das tiefe Grün der Fichten und Tannen ging tatsächlich stellenweise in ein undurchdringliches Schwarz über, vor allem, wenn man die Wand aus einiger Entfernung betrachtete. Der Wald erinnerte mich sofort an den Hexenwald von heute Morgen, zumal es auch laut Brockenwicht dieselbe Waldung war. Der feine Unterschied bestand jedoch darin, dass wir nicht auf einem verwurzelten Hexenpfad wanderten, sondern auf einer breiten ebenen Schotterstraße, sodass man die gemeinen Wurzeln, die einen dauernd versuchten, an den Füßen zu packen, Gott sei Dank von der Gefahrenliste streichen konnte. Es blieben natürlich noch die unheimlichen Schattenzwerge und ein paar andere reizende Kollegen, die mich aus dem Walddickicht, wie ich mich erinnerte, angeknurrt hatten, aber ich verließ mich auf den Wicht, er hatte mich schon einmal durch diesen Wald geführt und er würde es auch ein weiteres Mal schaffen. Noch eine gute Nachricht war: Wenn es derselbe Hexenwald war, dann konnten wir nicht mehr sehr weit von der Bremer Hütte und von den Ilsefällen sein. Von dort brauchten wir höchstens noch eine Stunde bis zum Parkplatz.

Die Straße führte übergangslos in den Wald hinein, in das dunkle Reich der Schattenwesen, und diesmal versperrten auch keine Wächter des Waldes den Weg. Wir hielten kurz an vor dem Anfang der Waldschneise und verharrten einen Augenblick wie vor einem Tor ins Ungewisse. Lauter Gedanken von »Sein oder Nichtsein« füllten meinen Kopf.

Es fing an zu tröpfeln. Die dunklen Schwaden, die vorhin über dem Hexenberg entstanden waren, hatten ihren Weg nach unten gefunden, das Brockenbett überquert und regneten nunmehr über unseren Köpfen ab. Tiefhängende schwarze Wolkenfetzen bedeckten den Himmel und lieferten ununterbrochen Nachschub für den anhaltenden Niederschlag.

»Verflixt«, sagte ich schließlich, »wir brauchen wieder unsere Regenjacken!«

»Und zwar schnell«, sah Geli es auch ein und nahm ihren Rucksack ab. Es regnete immer heftiger!

In großer Eile zogen wir uns die Jacken über, während der Regen zunahm, und suchten Schutz am Rande des Schwarzen Waldes. Der plötzliche Wolkenbruch machte die Entscheidung leicht: Entweder vor dem Wald stehen und nass werden oder in den Wald hineingehen und trocken bleiben. Wir entschieden uns einstimmig fürs Trockenbleiben, ohne miteinander auch nur ein Wort gewechselt zu haben, und betraten den unheimlichen Wald.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Die Späher, von denen mir der Brockenwicht an der Verdeckten Ilse berichtet hatte, waren vermutlich zwei Profis gewesen und hatten den Zeitpunkt unseres Eintreffens offenkundig genaustens berechnet, denn die Schattenzwerge erwarteten uns bereits ungeduldig. Es waren noch keine drei Minuten vergangen, als ich die ersten Zeichen ihrer Anwesenheit wahrnahm – es raschelte, es knisterte, es flüsterte und fauchte leise aus allen Ecken, und es war nicht der Regen, der irgendwo oben in den Wipfeln der Fichten gleichmäßig rauschte. Die grauen Knäuel trauten sich aus den Verstecken und verfolgten uns mit ihren boshaften Blicken vom Straßenrand, bildete ich mir ein, denn sehen konnte ich aus den Augenwinkeln lediglich hektisches Getue entlang des Weges, wenn sich die Tierchen blitzartig von Stein zu Stein bewegten.

Wir waren abermals angekommen in der unwirklichen Welt des Unheils. Die Realitäten hatten sich erneut getrennt, oder waren miteinander verschmolzen – ich wusste nicht mehr so recht, was schwarz und was weiß war oder wo sich links und rechts befand. Es war mir mittlerweile alles gleichviel, ich wollte nur eins: Dass es so schnell wie möglich zu Ende ging.

»Es sieht hier so aus wie in dem Wald heute Morgen, gruselig«, bemerkte meine Frau vollkommen berechtigt.

»Ja«, bestätigte ich ihre These. »zumal es auch der Wald von heute Morgen ist.«

»Wie meinst du das?«

»Es ist der Wald.« Auf die Umstände meines guten Informationsstandes wollte ich nicht näher eingehen. Ich hatte Geli schon die Geschichten von Zerbolten, und Hexen anvertraut, und gar Faust mit Mephisto erwähnt, aber die Sache mit dem Brockenwicht wollte ich aus irgendeinem Grunde für mich behalten, genauso wie die beschämende Unterschrift unter dem teuflischen Vertrag.

»Das glaube ich dir nicht. Guck mal …« Sie machte Anstalten zum Anhalten, um mir irgendwas zu zeigen, was ihrer Meinung nach nicht dem entsprach, was sie in dem anderen Wald gesehen hatte.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.859
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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