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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 94
»Was? Stimmt es etwa nicht? Dort haben wir auch unseren vorletzten Schluck Wasser getrunken! Und alles gegessen hatten wir schon drei Stunden davor! Natürlich sieht es heute anders aus: Wir haben genug Proviant und Wasser mit. Wir könnten hier drei Tage Überlebenstraining machen!«, scherzte ich weiter auf die Gefahr hin, eins auf die Schnauze zu bekommen. »Du … Du … Weißt du …«, verschlug es Geli die Sprache vor Entrüstung. Ich änderte den Ton. »Jetzt im Ernst: Es gibt an der ganzen Felswand keine Stelle mehr, wo es gewesen sein konnte. Nur da! Die nächste Möglichkeit wäre rechts vom Berg, da ist auch so ein Sattel. Siehst du? Aber dort waren wir noch nie!« »Es ist mir egal, wo es war. Lass uns jetzt weitergehen!« Sie hatte recht. Es war schon nach eins und wir mussten zusehen, dass wir endlich auf den Grat hinauskamen, der uns zum Pass von Encumeada führen sollte. Der Wanderführer berichtete etwas von einer kleinen Lichtung, die nach zwei Stunden erreicht werden sollte, wo man gemütlich rasten konnte, auf Wunsch sogar kampieren, aber das passte heute nicht in unsere Pläne. Außerdem war zu erwarten, dass der Pfad in sehr naher Zukunft sein Gefälle änderte und durch ein Gelände führte, wo auf einen Abstieg unvermeidlich ein Gegenanstieg folgte. Allem Anschein nach begann jetzt der ernste Teil der Wanderung, wir verließen endgültig die Flanke des Pico Ruivo.
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Der Weg verlor sehr bald seine feste Oberfläche aus Pflastersteinen und verwandelte sich teils in einen staubigen Trampelpfad, teils in einen Steig, der über nackten Fels lief und zuweilen kaum noch auszumachen war. Der ausgebrannte Wald wich allmählig grünen Sträuchern und saftige Gräser überwucherten stellenweise den Weg. Wer auch immer in der Direcção Regional do Turismo da Madeira diese Wanderroute betreute, machte seine Arbeit gut und war auch vermutlich regelmäßig vor Ort, denn jedes Mal, wenn der Pfad über ein Geröllfeld oder dichte Vegetation führte und man manchmal nicht weiterwusste, fand sich immer irgendein Felsvorsprung oder ein großer Stein, auf dem die Routenmarkierung gut sichtbar angebracht war. Dass wir schon auf dem schmalen Grat zwischen Süd und Nord wanderten, bemerkte ich, als wir uns plötzlich auf einem wenig bewaldeten Wegabschnitt wiederfanden, von wo aus man links und rechts ungehindert den blauen Ozean sehen konnte. Man hatte freie Sicht in alle Richtungen. Die Kammlinie konnte man ganz deutlich erkennen, die Wolken zogen sich vorübergehend auf die Nordseite zurück und warteten etwas unterhalb des Gebirgskamms auf ihre Stunde. Der Bergrücken traf vorn auf einen größeren Hügel und setzte sich höchstwahrscheinlich auf der anderen Seite fort, bis der nächste Berg seinen Verlauf unterbrach. Jeder Hügel in dieser Bergkette war ein bestimmter Gipfel, der in seinem Name das stolze Wort Pico führte. Es waren aber zu viele, um sich die Namen zu merken. Nur der Name des letzten Berges dieser Kette war mir bekannt: Der Turmberg über unserem Hotel, den wir schon seit zwei Wochen bewunderten. Offenbar verlief der Pfad auf dem vielleicht fünf Meter breiten Grat zwischen den Gipfeln, um hin und wieder auf eine der Seiten eines Hügels zu wechseln, wenn er im Wege stand, bald auf die Nord- und bald auf die Südflanke. Laut Wanderführer wechselte der Pfad mehrmals die Seite des Rückens. Bis jetzt waren wir immer auf der Südseite geblieben, es änderte sich aber, nachdem wir den Rastplatz auf der Lichtung erreicht hatten. »Hier könnte man tatsächlich ein Zelt aufschlagen! Und ich glaube, viele haben diese Gelegenheit schon genutzt«, sagte ich, als ich eine große Feuerstelle mitten auf der Lichtung entdeckte. Sie sah so aus, als wäre sie erst vor Kurzem benutzt worden, verkohlte Äste waren noch sehr frisch und daneben lag ein kleiner Vorrat an Brennholz. »Wir können ja ein Feuer machen!«, rief Angelina fröhlich. »Ich denke, wir sollten es lassen«, entgegnete ich. »Du musst dann auch bleiben, bis es aus ist. Sonst bekommst du hier genau solchen Wald wie vor zwei Stunden beim Mittag. Außerdem musst du dann vielleicht auch Kleinholz sammeln für den nächsten Besucher. Wer weiß, vielleicht liegt das Holzbündel nicht einfach so da! Vielleicht gibt es hier auch ein ungeschriebenes Gesetzt wie in der Wildnis. In Alaska verlässt man eine Waldhütte erst dann, wenn der Ofen bestückt ist und Streichhölzer darauf liegen. Ein kleiner Essensvorrat wird in der Hütte zurückgelassen, für den Fall, dass Leute, die Not leiden, das Häuschen im Wald finden.« Ich war noch nie in der Wildnis Alaskas gewesen, aber ich hatte seinerzeit ganz viele Romane und Geschichten von Jack London gelesen. Wer, wenn nicht er, konnte etwas über echte Kameradschaft erzählen, von der oft sein eigenes Leben abhängig gewesen war? Durch die Hauptfiguren seiner Erzählungen vermittelte er sehr kunstvoll eine ganz einfache, aber grundlegende Lebensweisheit: Allein kam man in der Wildnis garantiert um, wenn es keine Menschen gab, die dir in einer schweren Lage zu Hilfe eilten. Wer wusste noch mehr darüber Bescheid, wie lebenswichtig es am Yukon River gewesen war, einem Unbekannten, der vielleicht in Not war, etwas Rettendes dazulassen? Ein vertrocknetes Stück Brot entschied oft über Leben und Tod. Zu London fiel mir auch eine Geschichte ein.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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