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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 89
Nicht dass es mir auf irgendeine geheimnisvolle Art entgangen war, dass Spaziergänge über Kieselsteine ohne festes Schuhwerk in aller Regel sehr schlimm ausgingen, aber vom Steg bis zum Wasser waren es vielleicht fünf Meter und zwischen den großen Kieseln gab es stellenweise Lücken, die mit kleineren Steinen gefüllt waren, sodass ich törichterweise annahm, ich hätte diese Entfernung in drei, vier Sprüngen schaffen können, wenn ich diese Stellen benutzt hätte. Das Unterfangen endete so, wie es enden musste! Die kleinen Steine in den Zwischenräumen waren alles andere als harmlos. Ich stand barfuß direkt an der Wasserlinie, die Füße konnten mein eigenes Gewicht kaum noch tragen, ich tänzelte wie auf glühenden Kohlen. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass das rettende Wasser, erst einmal keine Rettung bringen konnte: Unter dem Wasser setzte sich die steinige Landschaft fort und als ob es noch nicht genug gewesen wäre, waren die Steine mit Algen bedeckt. Zurück konnte ich nicht. Zum einen konnte ich den Schmerz kaum noch ertragen, zum anderen war es mir peinlich, Geli um meine Schuhe zu bitten, denn ich hätte damit meine eigene Dummheit zugegeben. Ich entschied mich für das Wasser. Mit Mühe und Not erreichte ich den Punkt, wo das Wasser mir bis zum Knie reichte, und klatschte ungebremst mit dem Bauch auf die Wasseroberfläche. Mit meinen Händen zog ich mich an den Steinen in tiefere Gewässer und wartete im Sitzen darauf, dass meine Fußsohlen ein wenig abkühlten. Es war aber erst die Hälfte der Geschichte! Aus dem Meer konnte ich nur auf allen Vieren kriechen. Solange das Wasser mich bedeckte, war es auch kein großes Problem. Ich richtete mich auf, sobald ich das Ufer erreicht hatte, und musste mich wieder hilflos bücken und auf meine Hände abstützen. Es war äußerst peinlich: Ich stand einsam und bewegungslos da, in einer Stellung, die in manch einer prüden Gegend des nordamerikanischen Kontinents schon eine Anzeige wegen unsittlichen Verhaltens zur Folge gehabt hätte. Ich rief Geli zu: »Kannst du mir bitte die Schuhe bringen?« Danach saß ich noch eine ganze Zeit lang auf dem Holzsteg, gedemütigt und niedergeschlagen. Geli witzelte und machte sich über mich lustig, während der stolze Besitzer der Schwimmflossen unbekümmert seine Tauchgänge in einiger Entfernung absolvierte. Der Taxifahrer wurde etwas gesprächiger, nachdem wir am Ortsschild von Santana vorbeigefahren waren. Er erzählte etwas umständlich und verwirrend über irgendwelche Häuser, die der ganze Stolz der Stadt zu sein schienen. »Casas tipicas de Santana!«, nannte er schließlich die Sehenswürdigkeit beim Namen, als auf der linken Seite ein paar bunt bemalte Hütten mit spitzen Strohdächern auftauchten, die fast bis zum Boden reichten. Die Häuschen standen mitten in der Stadt auf einem grünen Rasen rund um das Rathaus und waren Teil irgendeiner Freilichtausstellung. Sie sahen wirklich schön aus, ich konnte allerdings nicht ganz nachvollziehen, warum sie so typisch für Santana sein sollten. Als ich mich auf der Straße umsah, fiel mir kein einziges casa tipica auf, das in Sichtweite war. Offensichtlich hatten die Bewohner von Santana ihre Gründe dafür, warum sie die Hütten so nannten. Typisch für Madeira war ohne jeden Zweifel ihre Größe. Sie unterschied sich in keiner Weise von der Größe der Häuser, die ich schon zuhauf in den Bergdörfern gesehen hatte. Man dachte dabei eher an Puppenhäuser als an menschliche Behausungen.
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Ich bekam den Eindruck, dass wir uns auf direktem Wege zum Ziel unserer Reise befanden, als das Taxi in eine der Seitenstraßen abbog und nach einigen Minuten steil bergauf durch einen dichten Wald fuhr. Auch in diesem Teil der Insel durchzogen Wanderpfade die Gegend, denn hin und wieder querte eine Route die geteerte Straße, man erkannte sie an einem Wegweiser, der am Straßenrand stand. Anscheinend verbrachten Madeirenser gerne mal einen Wochenendtag in ihren Bergen mit ihren Angehörigen oder Freunden. Es war Sonntag und ich bemerkte auf einem Picknickplatz, der dem am Pass Encumeada sehr ähnlich sah, mehrere Gruppen von Wochenendausflüglern, die dort den Tag beim Grillen und wahrscheinlich Trinken von Madeirawein verlebten. Die Straße endete an einem unbefestigten Parkplatz. Es war eine größere freigeschaufelte und geebnete Fläche auf einer Bergkuppe. Der Platz war bis zur Hälfte zugeparkt mit Autos und Reisebussen, sonst aber menschenleer. Rötlicher Staub, der den Parkplatz bedeckte, ließ vermuten, warum der Berg eigentlich Pico Ruivo – roter Gipfel – hieß. Der Taxifahrer hielt an, zeigte auf die Preisanzeige und sagte stolz: »You can see!« Ja, freilich, ich konnte es sehen. »Okay, okay!«, erklärte ich mich mit dem Betrag einverstanden. Auf dem Taxameter standen zweiundsechzig Euro und dreißig Cent. »The rest is for you!«, verzichtete ich auch auf das Wechselgeld, nachdem ich dem Mann fünfundsechzig Euro in die Hand gedrückt hatte. Schließlich verdiente er ein paar Euro Trinkgeld, allein schon dafür, dass er den wahren Preis verlangt und nicht versucht hatte, ahnungslose Touristen abzuzocken. Wir waren da, am Ausgangspunkt unserer Wanderung auf dem schmalen Grat des Zentralmassivs. Zum Gipfel ging es dort, wo am anderen Ende des Parkplatzes ein gelber Wegweiser stand, mit dem meine Frau schon die ganze Zeit liebäugelte, seitdem wir ausgestiegen waren. Ein Hotel oder ein Café auf einer Anhöhe über dem Parkplatz, das geheimnisvollerweise »Abrigo da Heidi« hieß, lud von einer Werbetafel zum Kaffee ein. Wer auch immer diese Heidi war, wir hätten ihre Dienste heute nicht mehr in Anspruch nehmen können, unser Weg führte in die entgegengesetzte Richtung, über den Pico Ruivo zum Pass von Encumeada.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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