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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 70
Das konnte man vom Mercado nicht behaupten! Es war eine Markthalle mit zwei Etagen, die nicht einmal vor hundert Jahren erbaut worden war. Sie fügte sich durch ihren Baustil sehr harmonisch in den Stadtteil ein und beanspruchte einen ganzen Block. Schöne Fliesenbilder in blauweißen Tönen schmückten die Fassaden und Verkaufshallen des Gebäudes. Der Markt war nicht vollständig überdacht, in der Mitte fand man einen großen Innenhof, der von Obst- und Gemüseständen gesäumt war. Neben den Fleischständen und den Fischreihen im Erdgeschoss war vor allem das der Bereich, der von einheimischen Kunden bevorzugt wurde. Es sah hier auch eher nach einem Bauernmarkt aus als im Obergeschoss, wo das Angebot an Früchten keineswegs kleiner war, das Ganze aber vielmehr an einen gewerblich ausgerichteten Obsthandel für Touristen erinnerte, Lockburschen versuchten um die Wette Kunden anzusprechen, um sie zu ihrem Stand zu führen und ihnen ein Bündel Bananen aufzuschwatzen. Die meisten Verkäuferrinnen trugen ihre knallbunte Landestracht, sodass man sie manchmal von den roten Chilischoten, gelben Zitronen und grünen Maracujas kaum unterscheiden konnte. Lange Verkaufstafeln der Fischhalle blieben zu dieser Stunde überwiegend leer, nur ein paar Fischverkäufer versuchten noch die Reste ihrer Barracudas, Pescadas und Moreias loszuwerden und wären damit heute voraussichtlich noch erfolgreich geworden, denn hin und wieder tauchte der eine oder der andere Späteinkäufer auf und nahm bald zwei Doraden mit, bald eine Scheibe vom Tunfisch, die der Händler sorgfältig mit einem großen, säbelartigen Messer abschnitt. An den Fleisch- und Wurstständen sah das Angebot etwas vielfältiger aus, mir lief jedes Mal das Wasser im Mund zusammen, wenn ich mir appetitlich duftende Würste ansah oder vorstellte, wie lecker so ein Espetada em Pau de Lauro – ein Rindfleischspieß auf Lorbeerstock – sein musste, gegrillt über offenem Feuer. Das Mittagessen war längst überfällig. Wir verließen den Markt durch den Hintereingang, obwohl man nicht mit Gewissheit sagen konnte, wo die Halle hinten und vorne hatte, es gab mehrere Ein- und Ausgänge von allen Seiten. Auf jeden Fall war es eines der Rolltore auf der von der Hauptstraße abgewandten Seite, das uns zu einer schmalen Gasse hinausführte, die schnurgerade durch das Handwerkerviertel verlief. »Ich habe Hunger«, sagte ich, als wir uns wieder in die Zona Velha vertieften, nachdem wir beschlossen hatten, noch eine kleine Runde um die Altstadt zu machen.
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»Es gibt aber nichts in dieser Straße«, erwiderte Angelina, während sie sich umsah und nur verschlossene Türen von Lokalen sehen konnte, die ihre letzten Gäste vor zehn Jahren verabschiedet hatten. Ich sah mir den Stadtplan an und mutmaßte: »Vielleicht da vorne? Das da sieht wie eine Hauptstraße aus. Vielleicht gibt es da ein Restaurant? Komm.« »Ja, vielleicht«, erwiderte sie und wir begaben uns zum anvisierten Ziel. Die Gondeln der Seilbahn schwebten über unseren Köpfen hinweg, als wir auf der Suche nach einer Gaststätte ihre Schneise kreuzten, und ich stellte mit Genugtuung fest, dass sie nicht alle voll besetzt waren, manche sogar nur zur Hälfte. Der Rückschluss, der sich als Erstes anbot, war: Am Bahnhof gab es nicht mehr so viele Fahrgäste, die nach oben wollten. Es wirkte sehr motivierend. Jetzt mussten wir nur noch irgendeine Imbissbude finden, um unseren Hunger zu stillen, zur Talstation gehen und in die Gondel einsteigen. Ich musste feststellen, dass Restaurants oder ähnliche Einrichtungen immer noch nicht in Sicht waren, als wir die größere Straße erreichten, die ich vorhin auf dem Plan ausgemacht hatte. Es gab aber ein positives Moment: Die Straße konnte als Verbindung zum Hafen dienen, wenn man ein Stückchen weiter in eine andere abbog und sie bis zur Rua Dom Carlos I hinunterlief. Zwischen dem Bahnhof und dieser Rua lag nur eine kleine Parkanlage, eher eine Rasenfläche. Nur eine Straßenseite war mit Häusern bebaut, die andere war offen zur Seilbahnstation. Ich konnte mich noch dunkel erinnern, dort irgendwelche Tische auf dem Bürgersteig gesehen zu haben, als wir sie auf dem Wege zum Markt überquert hatten. Mein Erinnerungsvermögen war noch völlig intakt, denn schon von Weitem sahen wir in Höhe der Bahnhofanlage mehrere Lokalitäten, die am Straßenrand mit einem schattigen Plätzchen unter dem Sonnenschirm lockten. Aus unerfindlichen Gründen entschieden wir uns für eine Gaststätte in einem ziemlich schäbigen Haus, das sich mit seiner linken Seite an das Madeira Story Center schmiegte. Rechts rundete irgendein Schuppen mit verstaubten Fensterscheiben an einer breiten, torartigen Tür das Bild ab. Man konnte nicht genau sagen, ob es eine Garageneinfahrt war oder eher ein Fischladen, dessen Schaufenster von innen mit Werbeplakaten für Meeresfrüchte und Krustentiere zugeklebt waren. Bei unserem Lokal deutete ebenfalls wenig auf ein Restaurant hin, außer dass auf dem Bürgersteig drei Tische standen, an der Wand eine Speisetafel hing und in der Tür ein traurig grinsender Kellner stand. Aber irgendwas Urtümliches, typisch Madeirensisches hatte diese Wirtschaft. Ein paar Nudelgerichte, drei oder vier Variationen von Steaks und Costeletas und natürlich eine kleine Auswahl an Fischgerichten diente die Speisekarte an, die der Kellner prompt auf unseren Tisch legte, nachdem wir an einem der zwei freien Tische Platz genommen hatten. Ich setzte mich auf den Stuhl, von dem aus ich den Bahnhof im Auge behalten konnte, und Angelina mir gegenüber mit dem Rücken zur Fahrbahn.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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