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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 64

Was zog eigentlich die Leute bei all den Kirchen, Moscheen und Tempeln so magisch an? Ich richtete meinen Blick auf die Kathedrale von Funchal. Diese hier sah für meine Begriffe nicht einmal schön aus. Ja, sie hatte einen verhältnismäßig großen Glockenturm, ich konnte mir vorstellen, dass es im fünfzehnten Jahrhundert einer großen Leistung bedurft hatte, ihn zu errichten. Zu der Zeit musste das Gebäude ein Wunder der Baukunst gewesen sein. Es hatte aber vor allem die Aufgabe gehabt, bei den Bewohnern der umliegenden Hütten und Scheunen Gefühle der Ehrfurcht vor der Größe des Gotteshauses hervorzurufen. Dass ein Gott dort je ein Zuhause fand, hatte ich so meine Bedenken! Gestern wie heute waren dort überwiegend vornehme Herrschaften zu Hause, die liturgische Gewänder trugen, sich Diener Gottes nannten und den ungebildeten Leuten Unsinn erzählten, um sie dorthin zu bewegen, wo sie sie haben wollten – im Schoße der heiligen Kirche. Dieses Gebäude im Zentrum von Funchal repräsentierte etwas, was nur als große Schande der Menschheit bezeichnet werden konnte. Hätte ich auch nur ein wenig nachgeforscht, hätte ich – da war ich mir ziemlich sicher – mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt, dass genau in dieser Kirche die Gottesdiener vor ein paar hundert Jahren so manch einem portugiesischen Welteroberer den Segen für seine Raubzüge entlang der afrikanischen Westküste und in der Neuen Welt gegeben hatten, der nebenbei auch noch den einen oder den anderen Missionar auf seine Reisen mitnahm, welcher mit seinen Offenbarungen den dortigen Menschen das Gehirn weichreden und zu einem verdaulichen Brei formen sollte. Im Vordergrund stand immer Geld oder Macht, was am Ende ein und dasselbe war. Das wollten alle haben, vom hohen Priester im Alten Ägypten bis zum letzten Auditor bei den Scientologen. Sie versprachen leichtgläubigen Menschen entweder die ewige Freude nach dem Tod, wenn man sich sein Leben lang erniedrigen ließ, oder zweiundsiebzig Jungfrauen, mit denen sich ein heiliger Krieger vergnügen durfte, wenn er im Kampf gegen die Ungläubigen fiel, oder den andauernden inneren Frieden bei einer nie endenden Meditation. Nach ihren Predigten gingen sie aber einer sehr irdischen Beschäftigung nach: Entweder standen sie vor dem Ausgang mit einem Klingelbeutel und sammelten die Kollekte ein oder kassierten am Ende des Jahres die Zakat. Dazwischen nahmen sie alle miteinander jederzeit unglaublich gerne auch bargeldlose Zuwendungen entgegen. Ich hätte es nicht besser als Heinrich Heine formulieren können: »… sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser.« Nüchtern betrachtet waren es nur Einrichtungen, die um die Wette versuchten, den Geist der Freiheit im Menschen zu unterdrücken und sein Bewusstsein zu ihrem Nutzen zu manipulieren. Allen voran die Christen, die aus einer biblischen Geschichte ihre Berechtigung zur Weltherrschaft und Unterdrückung anderer Weltanschauungen ableiteten. Erstaunlich, wie sie darauf gekommen waren, wo doch meines Wissens in ihrer Heiligen Schrift nichts Derartiges stand! Dass die Anderen statt Jesus den Allah verehrten, spendete nur wenig Trost. Sie waren ebenfalls alles andere als abgeneigt, einen weltweiten religiös geprägten Staat zu etablieren, um über die Gedanken und vor allem die Mittel der Menschen Macht zu erlangen. Mit Vertretern der ostasiatischen Glaubensrichtungen, die ich persönlich auf der Reise nach Sri Lanka nur flüchtig kennengelernt hatte, war es komplizierter. Ich kannte sie zu wenig. Was mich allerdings damals gewundert hatte, war die Menge der Opfergaben in einer Tempelanlage, die als Naturalien geleistet wurden. Ich war mir nicht ganz schlüssig, welcher Gemeinschaft der Tempel angehörte, denn neben Buddhastatuen fanden dort auch andere Gottheiten Platz, und es war mir schleierhaft, warum jeder Altar mit Bananen, Melonen, Mangos und Trauben überschüttet war, es leuchtete mir aber ein, dass weder Buddha noch eine der anderen Figuren von den Früchten in irgendeiner Weise Gebrauch machen konnten. Dass sich örtliche Mönche mit den Opfergaben der Anhänger die Bäuche vollschlugen, konnte ich nicht beobachten, ich hatte nur so ein Gefühl, dass es auch hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Außerdem sagte mir keiner, dass Opfergaben in Form von Geld oder Sachleistungen nicht gestattet waren. Vermutlich waren genau sie die begehrtesten! Denn was sollten die Tempelbewohner nach zwei Tagen mit dem ganzen verfaulten Obst machen?

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Die Anhänger der zahlreichen Glaubensgemeinschaften mochten mir verzeihen, dass ich bei einem kühlen Bierchen in einem Café in Funchal so abfällig über ihre Heiligtümer herzog. Es war mir bewusst, dass die meisten aufrichtig daran glaubten, was ihnen seinerzeit eingetrichtert worden war. Sie wurden gelenkt, nicht etwa durch eine göttliche Vorsehung, wie die vornehmen Herrschaften schworen, sondern durch die Herrschaften selbst. Mit süßen Worten drangen sie in das Gehirn der Ahnungslosen ein, malten ihnen trügerische Bilder vom Himmel auf Erden ins Bewusstsein und suggerierten Erlösung von allen Sorgen und Problemen, wenn man das machte, was sie lehrten. Es funktionierte, der Mensch war zu schwach, um dieser Verlockung zu widerstehen. Es wirkte wie eine Droge: Erlebte man einmal die Wirkung der Glückshormone, die ungehindert in die Blutbahn flossen, wollte man den Zustand immer und immer wieder erleben. Sie waren gefangen wie hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Loches, wo es kein Zurück mehr gab. Die meisten traf keine Schuld, bis auf eine: Beim ersten Mal hatten sie alle aus freien Stücken die Droge auf sich wirken lassen!

War das vielleicht schon dein erster Schritt auf dem Weg in die seelische Abhängigkeit, Junge? Das war eine Frage, die ich gedanklich an einen jungen Mann richtete, der sich gerade von einer Gruppe Jugendlicher vor dem Eingang in die Kathedrale trennte, kurz hinter der Tür der Kirche verschwand und wieder herauskam, sichtlich verwundert, dass der Rest ihm nicht gefolgt war. Er sah ziemlich modern und aufgeklärt aus, ihm stand auch die Erfahrung eines bedeutenden Teils der Menschheit zur Verfügung, zumindest ging ich davon aus, dass er mit ihr im Geschichtsunterricht schon ausreichend in Berührung gekommen war, um zu wissen, welchen Sinn eine katholische Kathedrale hatte und welchem Zweck sie diente. Dennoch! Irgendetwas zog ihn dort magisch an.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.995
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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