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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 57
»Hi! Can I have a medium beer please?«, fragte ich nach einem mittelgroßen Bier, als der junge Mann hinter der Theke auf mich aufmerksam wurde und mir entgegenlächelte. »Of course, Sir!« Er nahm ein frisches Glas vom Tablett und stellte es unter die Zapfsäule. »Gutn Tage«, sagte er in gebrochenem Deutsch und sah mich freundlich an, während das Bier sprudelnd das Glas füllte. »Oh, sprechen Sie Deutsch?«, wunderte ich mich, denn auf Madeira traf man wirklich selten auf Leute, die sich auf Deutsch verständigen konnten. »Ich … Deutsch lernen … versuche«, antwortete er auf meine Frage und stellte das Bierglas vor mir auf die Theke, welches er mit einer hübschen Schaumhaube versehen hatte. »Deutsch Bier … Deutsch spreche!«, setzte er die Unterhaltung fort. Ich sah genauer hin und stellte fest, auf dem Zapfhahn stand das Logo einer deutschen Brauerei. Eigentlich zog ich immer vor, in fremden Ländern lokale Biersorten zu probieren. Deutsches Bier konnte ich zu Hause trinken. Für den Jungen hatte es aber offenkundig auf irgendeine Weise den gleichen Wert wie die deutsche Sprache, die er fleißig übte. Diesen Burschen sah ich heute zum ersten Mal und er war mir auf Anhieb sehr sympathisch. Manche Menschen besaßen eine Art Ausstrahlung, mit der sie sofort die Sympathie anderer gewannen, durch ihre natürliche Offenheit, Aufrichtigkeit, ihre ungezwungene Freundlichkeit und andere kaum wahrnehmbare Eigenschaften, die sich nur schwer in Worte fassen ließen. Dieser Mann gehörte dazu! »Warum lernen Sie Deutsch, wenn ich fragen darf?«, fragte ich neugierig, um das Gespräch nicht ausklingen zu lassen, und nahm einen Schluck aus dem Glas. Ein paar Fetzen Schaum blieben an der Oberlippe hängen und tropften auf mein Hemd, als ich versuchte, sie mit der Hand wegzuwischen. »Please take this serviette!« Der Rezeptionist reichte mir schnell ein Tuch über die Theke. Er sah voller Mitgefühl zu, wie ich das Hemd putzte, und bedauerte laut, dass sich der Fleck auf dem neuen Hemd nicht so gut machte. »The shirt is new and too good to put a stain on it.« »Ach, das macht nichts! Das Hemd ist zwar nicht schlecht, aber schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr neu.« Ich trug mein buntes Hawaiihemd, das meine Frau mir schon vor langer, langer Zeit für irgendeinen Urlaub gekauft hatte. Allerdings hatte es Petrus damals nicht gut mit uns gemeint, das Hemd war nicht zum Einsatz gekommen, in Vergessenheit geraten und tauchte im Laufe der Jahre immer dann auf, wenn der nächste Urlaub in südlichen Breiten anstand. Bequemer, weiter Schnitt machte es besonders urlaubstauglich, aber grüne Palmen vor dem Hintergrund einer Südseeinsel denkbar ungeeignet für den täglichen Gebrauch. Es war kaum getragen worden und sah wie neu aus. »Isch mochte«, kam der junge Mann wieder auf das Thema zurück, »nach Deutschland … studieren … nach Goethe-Universidade.« Ich schaute ihn überrascht an und meinte: »Das ist sehr lobenswert!«
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Es war mir gerade nicht geläufig, was die Goethe-Universität war und wo sie sich befand, aber die Tatsache, dass ein junger Mann in einem verlorenen Berghotel auf Madeira sich ein Studium in Deutschland zum Ziel seines Lebens gemacht hatte und dazu noch ganz viel tat, um es zu erreichen, beeindruckte mich schon. »Isch angemeldete zum Test. … im Herbst. Isch musse gehen nach Frankfurt«, weihte er mich in seine Pläne ein. »Jetzt musse viele Arbeit … Test kosteten zweihundert Euro.« »Verstehe. Wäre es dann nicht sinnvoller, ein Studium in Portugal zu machen? Es gibt ja bestimmt gute Universitäten in der Heimat. Dann wäre der finanzielle Druck nicht so groß und Sie wären quasi zu Hause. Wie heißen Sie?« »Isch bin João Paulo.« João Paulo … João Paulo. Ich artikulierte gedanklich seinen Namen mehrmals, um ihn richtig auszusprechen, und stellte mich ebenfalls vor: »Okay, João Paulo, ich heiße Klaus! Ein Studium zu Hause in Portugal ist für Sie keine Option?« »Eu não sou português! Isch kein Português! Isch nischt zu Hause in Madeira … Isch komme aus Brazil, Rondonópolis meine Stadt. Wisse Sie, Klaus, isch … wolltet immer Deutschland kennenlernen, … deutsche Menschen und deutsch cultura. Wir hatte in Stadt eine deutsche … família, von mein Freund in Schule. Isch habe Bucher gelest und Sprache gehort.« Der Kerl gefiel mir immer mehr! Ich stellte mir vor, dass ein kleiner brasilianischer Junge aus bitter armen Verhältnissen eine Vision hatte, dem tristen Dasein endlich zu entkommen, etwas aus seinem Leben zu machen und nicht auf der Straße in einer Drogengang zu enden, diesen Teufelskreis aus Armut, Verbrechen und aussichtslosem Kampf ums Überleben zu durchbrechen. Er hatte einen Traum und nur er zählte. Er träumte von einem fremden, fernen Land, wo er sich Respekt und Anerkennung der Mitmenschen versprach. Er hatte unter anderem einen Plan und war auf dem besten Wege, ihn zu verwirklichen. Er versuchte auf einem Umweg seine neue Wahlheimat zu erreichen, über die Insel Madeira, wo er in einem Hotel kellnerte, um die nötigen Mittel herbeizuschaffen, und fleißig die Sprache erlernte. War es nicht bewundernswert? Ob seine Eltern in Brasilien ihm eines Tages gesagt hatten: »Junge, geh hier weg von diesem grausamen Ort. Mach was aus dir!«, wollte ich ihn nicht fragen, das wäre etwas zu persönlich gewesen. Aber vermutlich sah sein Abschied von Zuhause so oder ähnlich aus.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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