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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 52

Wir mussten nicht allzu lange warten, bis unsere Bestellung auf dem Tisch stand. Zuvor hatte der Kellner schon das Bier serviert, sodass wir entspannt das Geschehen hatten beobachten können. Es roch herrlich. Die frisch zubereitete Fischsuppe hatte ein leichtes, angenehmes Aroma von Meeresfrüchten, in der etwas rötlichen Brühe schwammen ein paar Krevetten und Tintenfischringe, der Fisch war in kleine Stückchen zerteilt. Ich hätte schwören können, dass alle Zutaten fangfrisch waren, denn der penetrante Geruch, der beim Kochen von Fischprodukten entstand, die schon länger im Gefrierfach lagen, ließ nichts von sich merken. Bolo de caco, wie das selbstgebackene madeirensische Fladenbrot hieß, veredelt mit Kräuterbutter aus einem der kleinen Näpfchen, die der Ober zum Brot gebracht hatte, zerging auf der Zunge und machte erst recht Appetit auf die Suppe.

Madeirenser liebten Eier! Ich hatte keine Ahnung, ob sie sie auch gerne selbst aßen, aber in jedem erdenklichen Gericht, das Touristen serviert wurde, war immer mindestens ein Ei dabei. Es gab sie gekocht, gebraten, gerührt und gedünstet. Auch im Restaurant unseres Hotels übte man sich gerne in der Kunst der Eiergerichte. Es gab sie zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend in verschiedensten Formen: Bald als Frühstücksei mit Salz und Pfeffer oder Spiegelei mit Speckstreifen, bald als Omelett mit Tomaten oder Rührei mit Spinat. Für besonders anspruchsvolle Eierliebhaber, denen mit einem Eierkuchen nicht mehr gedient werden konnte, gab es noch die gehobene Version in der Gestalt von Eiersalat mit Mayonnaise. Als Zeichen außerordentlicher Zuneigung dem Gast gegenüber diente oft ein saftiges Rumpsteak mit einem Spiegelei oben drauf. Vielleicht dachten die Leute, dass der Gast vor Freude in Tränen hätte ausbrechen müssen, wenn er zu seiner Überraschung unter dem Ei auch noch das Stück Fleisch gefunden hätte? Ich wusste es nicht! Wenn schon gar nichts mehr funktionierte und der Einfallsreichtum des Kochs zur Neige ging, schnitt er einfach ein hartgekochtes Ei in zwei Hälften und legte eine davon als zusätzliche Beilage mit dem Eigelb nach oben auf den Teller, fein geschmückt mit einem Petersilienblatt.

Es wäre nicht die Wahrheit gewesen, wenn ich gesagt hätte, dass ich in meinem Leben noch nie eine Suppe mit Eiereinlage gegessen hatte. Bei uns zu Hause hatte es zur Sommerzeit immer eine Sauerampfer-Suppe gegeben, wo ein hartgekochtes Ei, geschnitten in Würfel, ein fester Bestandteil des Gerichts war. Außerdem kannte ich ein chinesisches Restaurant, wo der Koch in seine Hühnersuppe immer ein rohes Ei einschlug, sodass verklebte Eiweißflocken ziemlich unappetitlich zwischen Chinakohl und Bambussprossen schwammen und die Suppe meiner Meinung nach verunstalteten. Unter der schattenspendenden Plane einer Wirtschaft in São Vicente machten wir eine ganz neue Erfahrung mit Suppengerichten.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Schon als ich den Inhalt der Tonschüssel umrührte, um die Suppe nicht so heiß essen zu müssen, fiel mir etwas Merkwürdiges auf: Der Löffel schürfte nicht am Boden der flachen Schüssel, das vertraute Geräusch fehlte! Erst nachdem meine Suppe zur Hälfte gegessen worden war, verstand ich auch den Grund dafür. Aus dem Teller ragte plötzlich ein Eidotter und schaute mich neugierig an! Ich war etwas irritiert, so eine Suppe hatte ich noch nie in meinem Leben gegessen. Noch wollte ich meinen Augen nicht richtig trauen und kippte die Schüssel leicht auf die Seite, um den Boden sichtbar zu machen. Tatsächlich, unten lag ein ganzes hartgebratenes Spiegelei! Wie Spiegelei und Fischsuppe zusammenpassten, vermochte ich nicht zu sagen und wollte auch keine Rückschlüsse auf madeirensische Essgewohnheiten ziehen, ich blendete das Ei einfach aus und ließ es in der Schüssel liegen, nachdem ich mit der Suppe fertig gewesen war.

»Ich glaube, dass war jetzt schon etwas zu viel mit dem Ei«, beschwerte ich mich bei meiner Frau, die nun ihrerseits mit dem Spiegelei in der Fischsuppe kämpfte.

»Ich habe es auch noch nie so gesehen!«, gestand sie und versuchte noch die Reste der Garnelen unter dem Ei mit dem Löffel hervorzuschaben.

»Aber ansonsten war es eine sehr gute Fischsuppe, finde ich. Ich bin satt geworden!« Ich sah mit Bedauern auf das Brot im Körbchen. Es war noch so viel übrig und es schmeckte so gut, dass es einem leid tat, nichts mehr essen zu wollen.

Wir tranken noch unser Bier aus und rechneten mit dem Kellner ab. Er schaute sich die in den Tellern zurückgelassenen Eier verständnisvoll an, als er das Geschirr abräumte, und verschwand auf dem Weg in die Küche, ohne dumm danach zu fragen, ob mit den Eiern etwas nicht stimmte! Offenbar musste er öfter mal die Suppeneier seinem Chef zurückbringen.

Wir hatten noch eine Stunde Zeit bis zum Bus und entschlossen uns zu einer kleinen Runde im Stadtzentrum. Die Gasse zwischen der Kirche und dem städtischen Friedhof war noch weitgehend unerforscht geblieben und es bot sich einfach an, diesen Zustand in der restlichen Zeit zu ändern. Die Straße führte geradewegs zu einem moderneren Viertel der Innenstadt, vorbei an geschlossenen Shops und Blumenläden, bis wir uns in einer großen Parkanlage wiederfanden, die sich neben der Câmara Municipal – so bezeichnete man das Gemeinderathaus – mit einem riesigen gepflasterten Platz in der Mitte präsentierte. Dahinter sah man schon Autos die Hauptstraße entlangfahren, das Städtchen war wirklich klein. Ich wunderte mich etwas, wozu so ein kleiner Ort so einen großen öffentlichen Platz in der Mitte brauchte. Naheliegend war der Gedanke, dass hier vielleicht irgendwelche örtlichen Festivitäten mit großen Menschenmengen stattfanden, aber heute sah es eher nicht danach aus. In den Gässchen rund um das Rathaus reihte sich ein Souvenirgeschäft an das andere, sie luden zu einem Schaufensterbummel ein und wir nahmen die Einladung an. Wir waren sehr überrascht, als wir plötzlich eine geöffnete Tür sahen! Ein Laden hatte auf und im Schaufenster lagen etliche Flaschen Madeirawein, mal als Geschenk verpackt, mal einfach so. Sie hatten zwar alle Souvenirpreise, aber man durfte jetzt nicht besonders wählerisch sein.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.995
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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