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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 53
Mit zwei Flaschen aus dem Souvenirladen angenehm beschwert, stand mein Rucksack neben mir auf einer Sitzbank, die wir am Rathaus unter einem Akazienbäumchen gefunden hatten, um hier noch die Zeit bis drei Uhr zu verbringen. »Du siehst aber müde aus. Geht es dir gut?«, fragte meine Frau. »Ich sehe nicht nur so aus, ich bin es!«, erwiderte ich. Pico Grande wollte mich immer noch nicht loslassen. Meine Beine waren schwer und das angeschlagene Knie hatte sich wieder in Erinnerung gebracht. »Ein Mittagsschläfchen wäre jetzt nicht schlecht!«, träumte ich von dem Bett im Hotelzimmer. »Nach dem deftigen Essen vorhin will ich nichts anderes!« »Kannst gleich im Bus dein Nickerchen machen.« »Das ist nix! Aber mit dem Bus hast du recht, wir müssen langsam zur Haltestelle – den Bus anhalten, sonst fährt er weiter!« Der Bus kam pünktlich und wir mussten dem Busfahrer auch keine Zeichen geben, denn an der Haltestelle standen schon zahlreiche Fahrgäste, die viel besser mit den örtlichen Gepflogenheiten des öffentlichen Nahverkehrs vertraut waren. Die Vordertür ging auf und der Busfahrer, ein stämmiger, grauhaariger Portugiese um die fünfzig, dem eine Reihe Schneidezähne fehlte, verkündete auf die altbewährte Art das Reiseziel. »Funchal!«, rief er laut aus dem Bus. Er verstand kein Englisch und machte einen etwas verwirrten Eindruck, wenn Touristen ihn beim Bezahlen nach den Ticketpreisen fragten. Ich wollte mich vergewissern, dass es auch der richtige Bus nach Funchal war, der über den Pass fuhr. »Encumeada?«, fragte ich so einfach, wie es ging, ohne mich in englische Grammatik zu vertiefen. »Encumeada, Encumeada!«, antwortete er bereitwillig und drückte pflichtbewusst einen Knopf an seiner Bordkasse, die prompt zwei Tickets ausspuckte.
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![]() Warten auf den Bus in São Vicente Der Bus fuhr los, aber an ein Nickerchen war nicht zu denken. Wir mussten eine Zeit lang stehen, denn die Sitzplätze waren schnell vergriffen. Erst als der Bus von der Tunnelstraße abbog, wurden einige Plätze frei und wir konnten uns setzen, nachdem die Einwohner der umliegenden Ortschaften an der alten Passstraße ausgestiegen waren. Der Busfahrer brachte uns zuverlässig von einer Kurve zur anderen durch den dichten Nebel im Gebirge der Nordseite, bis ich die vertrauten Umrisse des Ladens oben am Pass erkannte. Der Bus hielt an, obwohl keiner aussteigen wollte und an der Haltestelle kein Mensch zu sehen war. Der Fahrer öffnete die Tür und schaute uns fragend an. »Encumeada!«, sagte er schließlich. Er hatte sich wohl gemerkt, dass wir uns Tickets bis Encumeada gekauft hatten. »Hotel Encumeada!«, beeilte ich mich mit meiner Korrektur des Reiseziels. »Hotel Encumeada, Hotel Encumeada!«, wiederholte er den Satz auf seine unnachahmliche Art, schloss die Tür und steuerte seinen Bus durch den Durchbruch auf die Südseite, nachdem das Missverständnis ausgeräumt worden war. Wir holten unsere Rucksäcke unter dem Sitz heraus – Hotel Encumeada war der nächste Haltepunkt. * * *Unser abgelegenes Hotel am Hang des Talkessels von Ribeira Brava war nicht nur Herberge für Wanderer und Bergsteiger, sondern auch Veranstaltungsort von Events verschiedenster Art. Wie es sich herausgestellt hatte, gab es in der Anlage zwei Restaurants: In dem ersten wurden Hotelgäste bewirtet, die ein Zimmer bezogen, und das andere war reserviert für Hochzeiten, Geburtstage und Betriebsfeiern. Es war viel größer und nobler eingerichtet. Man konnte die Räumlichkeiten mieten und vermutlich lief das Geschäft auch recht gut, denn der Hoteldirektor ließ sogar dafür sorgen, dass auf jedem Zimmer ein Infoblatt zu finden war, das die Gäste in Form einer Entschuldigung über mögliche Lärmbelästigungen, vor allem an Wochenenden, unterrichtete. Hotelbewohner merkten von dem Ganzen wahrscheinlich nicht viel, denn das Eventrestaurant hatte einen separaten Eingang, nur dass auf dem Parkplatz vor dem Hotel plötzlich sehr viele Autos parkten. Gestern hatte schon irgendeine große Familienfeier stattgefunden. Wir hatten ein bisschen Musik gehört, die man auf dem Fest gespielt hatte, aber sie war keineswegs störend gewesen. Als wir das Hotel nach unserem São-Vicente-Ausflug um vier Uhr betraten, fiel uns gleich eine große Bekanntmachung an der Rezeption ins Auge. Die Hotelleitung bedauerte in bitteren Worten den Umstand, dass das Abendessen heute nicht im Restaurant, sondern hier im Aufenthaltsbereich serviert werden sollte. Es fanden heute also gleich zwei Hochzeiten statt. Es störte etwas meinen gewohnten Tagesablauf, denn ich nutzte gerne die Zeit für meine Arbeit, während noch alle im Restaurant mit dem Essen beschäftigt waren und die Sitzgruppen vor der Rezeption frei blieben. Es war aber nicht allzu schlimm – ich musste sie einfach erledigen, bevor die Kellner mit Umräumen und Anrichten begannen. Es war ärgerlich, dass ich kein Internet auf meinem Smartphone hatte, es wäre in dieser Situation ganz nützlich gewesen. Mein Provider sandte immer noch alle zwei Tage eine Nachricht mit der Aufforderung, eine entsprechende Leistung hinzuzubuchen, meine bisherigen Bemühungen waren aber alle im Sand verlaufen. Es tat sich einfach nichts, wenn ich es versuchte.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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