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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 39

»Wir sollten aufbrechen, solange wir den Zucker noch nicht verbrannt haben«, meinte ich, nachdem ich auf die Uhr geschaut hatte. Es war zwanzig vor sieben. Wir lagen im Plan.

»Soll ich vorne gehen?«, fragte Angelina.

»Nee, nee, meine liebe Gelka. Deine Gewohnheiten kenne ich ja jetzt. Es geht wieder bergauf und ich will in dem dunklen Wald hier nicht alleine kreuz und quer laufen. Also, meine Frau, schön in der zweiten Reihe marschieren. Viel Glück, Gott ist mit uns!«

»Nein, Gott ist nicht mit uns. Er hasst Idioten wie dich!«, beendete Geli die Unterhaltung scherzhaft mit einem Clint-Spruch, als wir wieder marschbereit auf dem Königspfand standen.

Wer hätte es sich nur denken können, dass ich an diesem Tag auf einmal noch so viel Kraft in den Beinen haben sollte? Ich hatte ein Tempo vorgelegt, von dem ich selbst nicht mehr glaubte, dass es noch lange zu halten gewesen wäre. Wie eine schnaufende Dampflokomotive bei voller Fahrt folgte ich dem Pfad wie einem Gleis. Der Fahrtwind kräuselte meine Haare und in meinem Windschatten heftete sich Geli an meine Fersen wie ein gekoppelter Wagen. Wir mussten – komme, was wolle – in möglichst kurzer Zeit so viel Strecke machen wie nur möglich, der erste flachere Abschnitt eignete sich gut dafür. Ich konzentrierte mich nur auf den Pfad und meinen Schrittrhythmus, die Welt rings herum hatte aufgehört zu existieren. Ich hörte gelegentlich in meinen Körper hinein – nein, der Zucker aus den Bonbons war noch nicht vollständig verheizt. Ich hatte zwar fast kein Gefühl mehr in den Beinen, konnte sie aber trotzdem schnell und sicher bewegen. Mein alter Freund, der bittere Speichel im Mund, meldete sich wieder, er gab mir zu verstehen, dass meine Kraftreserven schon gezählt waren. Ich musste von Zeit zu Zeit saftig links und rechts spucken, hielt aber nicht an, um den Schwung nicht zu verlieren. Ich hatte mich bis jetzt auch kein einziges Mal umgedreht, es war auch nicht nötig gewesen – Angelina ging es offenbar gut, denn ich vernahm das Stampfen ihrer Wanderschuhe auf dem Pfad direkt hinter mir.

Das Gefälle nahm zu. Langsam und gemein. Es wurde immer schwieriger die Füße vom Boden zu kriegen. Ich versuchte anfangs noch, das Tempo zu halten, gab aber nach zehn Minuten auf. Wir verloren an Geschwindigkeit und wurden mit jeder Minute immer langsamer, bevor unser Zug ganz zum Stillstand kam. Eine kurze Pause war bitter nötig.

»Was ich jetzt für einen Schluck Wasser geben würde?«, fragte ich rhetorisch.

»Du bist eine Heulsuse!«, erwiderte meine Frau barsch.

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Der Brockenwicht

Der Brockenwicht

Novelle von Nikolaus Warkentin
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»Ja, und du bist … Du bist eine Ich-nehme-kein-Wasser-mit-Suse!«

»Hör auf! Es gibt kein Wasser. Schluss! Aus! Es ist vorbei!«

»Vorbei? Ich glaube, alles fängt grade erst an!«, brachte ich das Gespräch auf den Punkt zurück. »Hast du gemerkt, dass ich meine Brille nicht mehr putzen muss? Wir sind zum Umfallen müde und strengen uns aus letzter Kraft an, aber wir schwitzen nicht. Ich glaube, der Körper hat keine Flüssigkeit mehr für den Schweiß. Wir sind dehydriert.«

»Und wennschon, es ist nicht mehr weit! Es ist einfach kühl geworden«, versuchte Geli immer noch, die Schuld für unsere missliche Lage von sich zu weisen.

Merklich kühler war es wirklich geworden, da hatte sie recht. Mit dem schwindenden Tageslicht sanken auch die Temperaturen. Stand man länger ohne Bewegung da, überzog leichter Schüttelfrost den ganzen Körper, vor allem unbedeckte Körperteile. Die Härchen auf meinen zerkratzten Beinen sträubten sich und die Oberarme bekamen Gänsehaut. Es war aber nicht so kalt, dass man die lange Jeans aus dem Rucksack holen und sich die Jacke überziehen musste. Der Zustand war eher der Erschöpfung und der Dehydrierung zuzuschreiben, dachte ich, denn eine andere Erklärung gab es nicht.

»Da! … da sind wieder Stimmen!«, wechselte meine Frau abrupt das Thema und schaute interessiert nach vorn am Pfad entlang.

»Wo?«, fragte ich und hörte auch kaum vernehmbare Laute aus dem Wald, die sehr an menschliche Stimmen erinnerten. »Bist du sicher? Wer ist denn das wieder zu dieser späten Stunde? Unsere Franzosen können es nicht sein.«

»Dann sind es andere! Es ist doch egal«, meinte Geli, als wir nach der kurzen Verschnaufpause einigermaßen fit waren, um unseren Marsch fortzusetzen.

Als Wanderung konnte man das, was wir machten, nicht mehr bezeichnen. Es war stupides Marschieren, automatisiertes Bewegen der Beine, das nur eins zum Ziel hatte, vom Punkt A zum Punkt B zu kommen. Aber wir kamen immerhin voran. Nach meiner Schätzung waren wir irgendwo auf halbem Wege zwischen der alten Brücke und der Passstraße – mit windelweichen Knien und bleiernen Füßen. Bald mussten wir die Mündung dieser Schlucht in den Kessel von Ribeira Brava passieren, dort änderte der Pfad seine Richtung und führte an der Flanke des Turmberges nach Norden, bevor er sich in die breite Schotterpiste mit zwei Spurrillen für Autos verwandelte. Ich war mir aber nicht sicher, man konnte sich ganz schlecht orientieren, dichter Eukalyptuswald verhinderte die Sicht.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.973
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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