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OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 35

»Rauchen wir noch eine Zigarette?«, fragte Angelina friedlich, sie hatte sich wohl endgültig ihrem Schicksal gefügt.

»Ja. Gibst du mir noch mal das Wasser?«

Wir verweilten noch eine Zeit lang auf dem Pass, rauchten zu Ende und nahmen einen Schluck Wasser, die Flasche war danach nur noch zu einem Viertel voll. Ich richtete einen letzten Blick auf den riesigen Felsbrocken, der über der Gegend thronte. Die Sicht von der Passseite war frei, Nebelschwaden tummelten sich auf der anderen Seite des Gipfels. »War das alles nur, um dich von hier zu sehen?«, fragte ich den Berg. Er schwieg, nur ein leichter Wind spielte an seinen Flanken mit der kargen Vegetation. Ich hatte keine Ahnung, vielleicht lag es unter seiner Würde, idiotische Fragen zu beantworten. »Adeus, amigo«, warf ich ihm noch über die Schulter zu, ehe wir aufbrachen.

An der Kreuzung hinter dem Hügel nahmen wir den Weg nach Encumeada. Die andere Richtung gehörte Jean-Luke. Er heizte gerade in einem verrückten Tempo über den felsigen, zur Küste abfallenden Grat hinunter, sodass die französische Wandergemeinde mit ihren Stöcken aus dem Takt geriet. Der untere Saum seiner aufgeknöpften Wanderjacke flatterte im Wind hinter seinem Rücken. Er hatte mit Sicherheit auch seinen Wanderplan und musste ihn einhalten. Es war vermutlich das letzte Mal, dass wir Jean-Luke sahen.

Jetzt musste es schnell gehen. Wir standen unter Zeitdruck. Die Romantik einer Übernachtung in den Bergen reizte mich keinesfalls.

Ich wies Angelina an: »Du gehst bitte mit höchstens drei Metern Abstand hinter mir. Mach keinen Blödsinn.«

»Wann habe ich denn Blödsinn …?«

»Unwichtig. Los, gehen wir!«

Die Bilder wechselten sich wie in einem Film, der rückwärts abgespielt wurde, nachdem wir auf dem Pfad in entgegengesetzter Richtung gestartet waren. Ich kannte noch jede Kurve, jeden Felsen, jedes Hügelchen, es waren Stationen meines Leidensweges. Aus einem Feind hatte sich der Berg in einen Verbündeten verwandelt: Er trug uns nach unten, ohne dass wir uns besonders anstrengen mussten. Mich beflügelte das Bewusstsein, wieder genug Kraft zu besitzen, um zügig voranzukommen. Woher die Kraft kam, war mir ein Rätsel. Man gewann mit jedem Schritt immer mehr Schwung, sodass es alle fünfundzwanzig Meter gefährlich wurde. Man musste das Tempo verringern, um die nächste Kurve zu kriegen und nicht gegen einen Felsen zu laufen. Nur auf den Abschnitten, über die ich mich noch vor eineinhalb Stunden in höchstem Maße gefreut und das Schicksal für ihren waagerechten Verlauf gelobt hatte, merkte man sofort, wie vergänglich die Freuden einer Bergabwanderung waren.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Schon bald näherte sich der Pfad der Steilwand des Gipfels, das sumpfige Gebiet am Fuße des Pico Grande lag direkt vor uns. Es hatte sich nicht viel geändert. Die Nebeldecke hing immer noch tief über unseren Köpfen, der Pfad stand nach wie vor stellenweise unter Wasser und der rote Schlamm freute sich schon auf ein Wiedersehen mit meinen Schuhen.

»Deine Schuhe waren ja gar nicht schmutzig. Wie bist du denn hier durchgewandert?«, fragte ich Angelina, als wir vor der ersten Pfütze kurz stoppten, um Ausschau nach einer Möglichkeit zu halten, trockenen Fußes durch den Sumpf zu kommen.

»Ich bin dort an der Wand gegangen«, meinte meine Frau und zeigte auf einen grünen Streifen zwischen dem Felsen und dem schlammigen Weg.

Wenn man genau hinsah, war der eigentliche Pfad als solcher nicht mehr erkennbar. Der Wanderweg auf dem Felsvorsprung erinnerte an ein Schlachtfeld, übersät mit tiefen Kratern der Fußspuren solcher Idioten wie ich, die mitten durch den Schlamm wanderten, anstatt sich umzusehen. Der Grasstreifen lag etwas höher am Felsen und war nicht überschwemmt. Wir sprangen von Erdbuckel zu Erdbuckel und mussten manchmal improvisieren, wenn eine große Lache sich des Streifens bemächtigte oder ein vorstehender Felsen ihn unterbrach. Es ging dann auf den aus dem Schlamm ragenden Steinen weiter, jetzt hatte ich auch die nötige Energie dafür. Der Berg war uns wohlgesinnt. Wir legten eine kurze Rast ein, sobald wir festen Boden unter den Füßen gehabt hatten, die Sprünge auf den Steinen bescherten uns zwar trockene Schuhe, aber die Kraftvorräte waren aufgebraucht. Ich wusste, gleich kamen die Stufen Goliaths. Dort war erneut Springen und Klettern angesagt.

Ich fühlte mich immer noch frisch und munter, als wir aus dem Dickicht der Farne auf die kleine Lichtung vor der felsigen Treppe hinauskamen. Ich wunderte mich, mit welcher Geschicklichkeit Geli die Stufen hinunterlief. Wo hatte sie denn das geübt? Meine Frau konnte mich immer wieder aufs Neue überraschen! Sie stand schon längst unten, als ich mich noch schwerfällig auf der zweiten Stufe bewegte und auf dem Verbindungsmäuerchen zu der tieferen Ebene mit meinem Gleichgewichtssinn Friedensgespräche führte.

»Bis jetzt klappt es ja ganz gut«, teilte ich zufrieden mit, als auch die letzte Kaskade hinter mir lag. »Es ist nicht mehr weit, am Aussichtspunkt auf dem Vorsprung machen wir eine längere Rast.«

»Warum denn dort? Wenn du müde bist, können wir auch hier rasten.«

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 11.973
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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