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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 21
»Ohne mich?«, fragte sie kurz und presste beleidigt die Lippen zusammen. »Wenn sich jemand so viel Zeit zum Duschen nimmt und der andere so viel Durst hat! … und warum eigentlich ohne dich? Das Hotel hat ja das Zimmer mit zwei Gläsern ausgestattet, deins steht auch noch da«, meinte ich gutmütig und füllte beide Gläser mit dem Zaubertrank aus der Flasche, die nunmehr bis zur Hälfte leer wurde. Wir tranken nach und nach den Seco zu Ende und kriegten einen ordentlichen Schwips, der leere Magen und die Erschöpfung nach dem Wandertag forderten ihren Tribut. Ich duschte auch, das warme Wasser tat den angespannten Muskeln gut. Ich ließ den Wasserstrahl mir ins Gesicht spritzen und entspannte mich so lange, bis ich eine kleine Überschwemmung im Bad verursachte. Das Duschbecken war ziemlich flach, sein Rand erhöhte sich nur einige Zentimeter über dem Fußboden und wenn der Abfluss mit der Wassermenge nicht fertig wurde, lief das Wasser ungehindert über. Zum Glück gab es noch einen Abfluss in der Mitte des Bads, aber abtrocknen musste ich mich trotzdem noch mitten in einer großen Pfütze! »Hast du was entdeckt?«, fragte ich Angelina, als ich aus dem Bad kam. Sie saß auf dem Bett, blätterte im Reiseführer und versuchte den Weg nach Curral das Freiras zu finden. »Ja! Der Königspfad, frisch gepflastert!«, jubelte sie beim Zitieren einer Überschrift. »Das ist genau der Wanderweg, wo wir heute standen, als ich Wadenkrämpfe bekommen habe.« »Zeig mal«, sagte ich interessiert und machte mich an der Flasche Meio Seco zu schaffen. »Ich habe dort nichts Gepflastertes gesehen«, fügte ich hinzu und füllte die Gläser mit dem edlen Rebensaft. »Mmm … Der ist ja noch besser als der Erste!«, definierte meine Frau die Qualitätsstufe des Tröpfchens, nachdem sie einen Schluck aus ihrem Glas genommen hatte, und hielt mir den Reiseführer hin. Ich sah mir das Kapitel über den Königspfad an und nahm auch einen Schluck – tatsächlich, der halbtrockene war noch fruchtiger, noch intensiver, noch kräftiger. Ein kleiner Kartenausschnitt im Reiseführer illustrierte den Verlauf des Pfades, der allerdings nichts über die Höhenunterschiede im Verlaufe der Wanderung aussagte. Ich verglich die Angaben im Reiseführer mit meiner Karte, die ich heute bei dem Levadaausflug benutzt hatte, dort war unglücklicherweise kein Königspfad eingezeichnet. Die Wanderziele Boca da Corrida und Curral das Freiras waren beschriftet, aber der Weg war nicht zu finden. »Mist! Warum habe ich heute den Wanderführer oben im Laden nicht gekauft?« »Gab es da Wanderbücher?«, fragte Geli etwas verwundert. »Ja, klar gab es da Wanderführer. Nur ich, alter Esel, war zu dumm, um einen zu kaufen!« »Wir gehen morgen aber trotzdem nach Curral das Freiras. Oder? Man kann da auch übernachten oder mit dem Taxi zurück fahren!«, schmiedete meine Frau ihre Pläne für morgen.
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»Was? Bist du verrückt? Mit dem Taxi! Wo willst du denn da«, ich zeigte mit der Hand auf die mächtigen Bergrücken hinter dem Fenster, »ein Taxi finden?!« »Es ist aber eine Stadt! Da fahren bestimmt Busse und Taxen und Hotels gibt es da auch! Das steht im Buch. Die Holländer machen es ja auch so.« »Es steht im Buch, es steht im Buch …! Keine Ahnung, was da in deinem Buch steht! Keine Übernachtungen. Wenn wir deinen Königspfad überhaupt langgehen, dann müssen wir auch zusehen, dass wir bis zum Abend wieder zurück sind.« »Also gehen wir?«, drängte mich meine Frau zu einer Entscheidung. Sie konnte manchmal ein großes Durchsetzungsvermögen an den Tag legen. Ich überlegte: Was sprach eigentlich dagegen? Die Ungewissheit, was uns erwartete. Die Entfernung von dreizehn Kilometern – für unerfahrene Wanderer in den Bergen durchaus eine beachtliche Leistung. Im Großen und Ganzen konnte ich auf Anhieb keine weiteren Gründe finden, um die Wanderung auf dem Königspfad nicht zu machen. Vielleicht noch der fehlende Wanderplan, für den Fall, dass wir uns verliefen. Andererseits, dachte ich den Gedanken zu Ende, war es denn nicht der Sinn und Zweck einer Entdeckungstour, aus der Ungewissheit eine Gewissheit zu machen? Was bewog die Menschen seit Jahrhunderten zu ihren unglaublichen Anstrengungen, Neues zu erfahren und Unbekanntes zu entdecken? War es nicht genau dieser Wunsch? Sechsundzwanzig Kilometer hin und zurück wären ganz sicher nicht zu schaffen gewesen, aber heute hatten wir auch kehrtgemacht, um rechtzeitig im Hotel zu sein. Warum konnte man es morgen nicht genauso clever machen? Ein genauer Wanderplan war natürlich etwas, was von größtem Vorteil gewesen wäre! Doch allem Anschein nach war dieser Wanderweg gut ausgebaut und vielfach genutzt, sodass man ihn kaum aus den Augen verlieren konnte. Außerdem erinnerte ich mich, wie einladend flach der Weg von der Passstraße abging, nichts kündigte große Überraschungen an. »Du hast mich überredet«, sagte ich mit leiser Stimme, die noch den einen oder den anderen Zweifel erkennen ließ. Die Zeit bis zum Abendessen vertrieben wir uns auf dem Balkon. Die angebrochene Flasche Madeira stand auf dem Tisch und sorgte für fröhliche Stimmung. Ich holte mein Notebook heraus, stellte es daneben und schob die Speicherkarte von der Kamera hinein. Die Sonne berührte mit ihren letzten Strahlen den Turmberg, als wir die Diashow der heutigen Aufnahmen starteten, und verschwand bald hinter den Bergen im Westen. Es blieb aber noch lange hell, da keine einzige Wolke den Himmel trübte. Wir lachten laut, wie angetrunkene Menschen es zu tun pflegten, und machten uns gemeinerweise über die Leute lustig, denen wir heute begegnet waren.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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