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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 144

Ich schaute mich um. Es sah nicht danach aus. Auf dem Mittelgang liefen keine Flugbegleiterinnen hin und her ergriffen von panischer Angst, es kam auch keine Durchsage mit der Frage nach einem Arzt in den Reihen der Fluggäste. Im Gegenteil, alles blieb ruhig und friedlich, während unser Vogel immer tiefer flog und schon bald mit seinem Bauch die überstehenden Schleier der Wolkendecke berührte. Keiner schien die plötzliche Änderung der Flugroute bemerkt zu haben. Die aufgetakelten Stewardessen waren mit ihren Trolleys unterwegs und teilten Getränke aus, die Passagiere machten das, was Passagiere während eines mehrstündigen Fluges so machten: Einer las die Bordzeitschrift, der andere setzte Kopfhörer auf und hörte Musik und jemand fand keine bessere Beschäftigung, als auf seinem Smartphone Tetris zu spielen, um irgendwie die Zeit zu überbrücken.

Ein seltsames Naturschauspiel zog mich in seinen Bann, als ich irritiert zum Fenster hinaussah. Die Wolkendecke riss ab, durch die klare Luft konnte man ganz deutlich die Schaumkronen der brechenden Wogen auf der Oberfläche des Ozeans beobachten. Die Schwaden waren aber nicht ganz verschwunden, sie bildeten vielmehr einen riesigen Kreis, der sich viele Kilometer weit von einem unsichtbaren Mittelpunkt aus in alle Himmelsrichtungen ausdehnte. Der Rand der Wolkendecke wirkte wie abgeschnitten, so als wenn man mit einer Form ein Plätzchen aus einem Stück ausgerollten Teig ausgestochen hätte. Wir bewegten uns zur Kreismitte, wo sich eine Landmasse aus den Untiefen des Ozeans wie ein Trugbild gen Himmel erhob. Ich hatte die Insel nicht sofort erkannt, aber es war Madeira. Wir näherten uns dem Eiland aus westlicher Richtung, sodass mir die Umrisse der Küstenlinie unbekannt vorgekommen waren – Madeira hatte sich in mein Gedächtnis als das Abbild einer Landkarte eingeprägt und alle Karten waren seit vielen Jahrhunderten von Süd nach Nord orientiert. Der Pilot richtete die Maschine aus und steuerte geradewegs auf die Mitte der Insel zu. Es gab keinen Zweifel mehr, er hatte vor zu landen, denn er ließ die Landeklappen ausfahren und kurz darauf hörte ich, wie das Fahrwerk mit einem dumpfen Geräusch in Landeposition gebracht wurde. Doch wo um Gottes willen wollte er landen? Der Flughafen und die Landebahn befanden sich auf der gegenüberliegenden Seite der Insel!

Bei mir schrillten die Alarmglocken. Ich sah zurück in den Kabinenraum, um festzustellen, was das Flugpersonal von den ungewöhnlichen Flugmanövern ihres Kapitäns hielt, und mir blieb die Luft weg vor Staunen. Ich war allein. Dort, wo vorhin noch der Mann auf dem Sitz neben dem Mittelgang gesessen hatte, lag nur einsam der verschlossene Sicherheitsgurt. Angelina war ebenfalls nicht da. Auf der anderen Seite unserer Sitzreihe war gleichfalls keiner. Alle Tische waren hochgeklappt, als hätte dort während des ganzen Fluges noch nie einer gesessen, obwohl ich überzeugt war, dass die Passagiere sich Getränke bestellt und die Trinkbecher auf den Tischen abgestellt hatten. Das gleiche Bild bot sich mir, als ich mich aufrichtete und einen Blick auf die anderen Sitzreihen warf. Es fehlten sämtliche Flugbegleiter. Ich war in der riesigen Flugmaschine absolut allein, nur das Jaulen der Turbinen erfüllte den Fluggastraum, verstärkt durch die Geräusche der ausgefahrenen Klappen, die den Luftwiderstand brachen. Ich setzte mich wieder in Eile und schnallte mich fest an. Ich war mir nicht sicher, ob im Cockpit noch ein Pilot anwesend war, um nicht zu sagen, ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass das Flugzeug kein einziger Mensch mehr lenkte. Es raste derweil in knapper Höhe über der Hochebene, der Bodenkontakt in wenigen Sekunden war unvermeidbar. Ich senkte meinen Kopf und hielt ihn fest zwischen den Händen, meine Augen schlossen sich instinktiv in Erwartung des Aufpralls.

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Der Brockenwicht

Der Brockenwicht

Novelle von Nikolaus Warkentin
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Der Aufschlag war heftig. Die Federbeine des Fahrwerks brachen ab, nachdem die Reifen den höckerigen Boden des Plateaus berührt hatten und einige Meter mit voller Belastung über die Erdbuckel gerollt waren. Ich hörte nur, dass das Flugzeug auf dem Bauch über die holprige Wiese donnerte wie eine alte Blechkiste mit Werkzeug, die rasselnd die Treppe hinunterschlitterte. Ein furchtbarer Lärm betäubte meine Ohren, ringsum knarrte und ächzte jeder Niet, der den Rumpf noch zusammenhielt. Ich befürchtete, dass unser Flugzeug gleich in Flammen aufging, wenn einer der Flügel einen Riss bekam, denn sie waren noch fast bis zum Rand mit Kerosin vollgetankt. Doch es kam anders: Ich vernahm einen lauten dumpfen Knall, der aus dem hinteren Bereich kam und von Geräuschen platzender Kabinenverkleidung begleitet wurde – vermutlich brach das Heck der Maschine ab –, und ein heftiger Seitenschlag erschütterte das Flugzeug, ehe der Trümmerhaufen zum Stillstand kam. Mein Sitz wurde in Mitleidenschaft gezogen, er verformte sich dermaßen, dass die rechte Armlehne beinahe meinen Brustkorb durchbohrte. Ich saß eingeklemmt zwischen zwei Armlehnen und rang nach Luft, der Druck auf meine Rippen war unerträglich. Es wurde gespenstisch still, ich hörte kein Knistern von brennenden Wrackteilen und kein Gepolter von auseinanderfallenden Trümmern drang in mein Ohr. Nur ein leises aber penetrantes Läuten einer Glocke hielt mich bei Bewusstsein und rief mich zurück in die Realität. Etwas stimmte aber nicht mit dieser Glocke, die Töne erinnerten eher an die Geräusche aus einem Computerspiel als an die Schläge einer Gussglocke. Alsdann erklang eine weiche Frauenstimme, die ich ganz deutlich hörte, aber die Wörter, die sie sprach, leider nicht verstehen konnte.

»Kö… s… b…e …allen … Ti… …lappen. …ir wer… Kür… landen«, sagte die Stimme.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 12.014
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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