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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 14
»Was willst du mit all den Eiern?«, fragte ich, als Angelina vom Büfett zurück zum Tisch kam und vier gekochte Eier auf dem Teller hatte. »Nachdenken! Du sollst nachdenken!«, antwortete sie. »Du wolltest doch etwas Essbares für die Wanderung haben oder nicht?« »Ach so! Ist es denn alles, was wir mitnehmen?« »Nachdenken!«, blieb sie bei ihrem Vorschlag. »Worüber soll ich denn nachdenken? Haben wir noch etwas oder willst jetzt das halbe Büfett mitnehmen?« »Ich nehme noch zwei Bananen«, sagte meine Frau und zeigte auf den Obstteller, »und wir haben auf dem Zimmer etwas von dem, was wir mitgebracht haben: Speck, Tomaten und Gurke. Ich mache das schon! Schau dir lieber die Berge an! Sind sie nicht schön?« Ich schmierte mir noch eine Baguettescheibe mit Marmelade und folgte ihrem Rat. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals türmten sich drei Bergketten auf: Die erste auf der Höhe des Hotels – zum Anfassen nahe, dahinter die zweite – schon etwas massiver und größer, und endlich die mächtigste – die mit dem Pico Grande! Da fing man erst richtig an zu verstehen, wie unendlich groß und Ehrfurcht gebietend die Berge waren und wie klein und hilflos ein Mensch erschien, der sich mit ihnen messen wollte. Der Gedanke klang wie eine Warnung vor Respektlosigkeit gegenüber dieser Naturgewalt und er schien nicht von mir selbst zu kommen, sondern auf eine mysteriöse Art in meinen Kopf hineingelegt worden zu sein, als ob jemand ihn für mich mit meinem Gehirn dachte. Das Restaurant füllte sich allmählich mit Gästen, es wurde immer französischer und niederländischer, aber es gab auch einige Urlauber, aus deren Richtung ich die deutsche Sprache vernahm. Wir hatten aber im Moment keine Zeit, um neue Bekanntschaften zu schließen. In Eile tranken wir noch unseren letzten Schluck Tee und begaben uns zum Ausgang mit geschmuggelten Eiern und Bananen im Gepäck. »Wir liegen gut in der Zeit«, meinte ich, während wir die Treppe zum Empfang hochgingen. »Es ist jetzt Viertel vor neun. Wir packen jetzt noch schnell unsere Rucksäcke und gehen um neun Uhr los. Dann müssten wir um spätestens halb zehn am Pass sein und gehen zu deinem geliebten Tunnel!« »Ja, Tunnel, Tunnel, Tunnel! Yeah!«, freute sich Angelina wie ein Kind.
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In der Empfangshalle an der Wendeltreppe, die zum Obergeschoss führte, hatte sich ein kleiner Kreis aus Mitgliedern der französischen Delegation versammelt. In der Mitte kauerte Jean-Luke! Es ging ihm nicht gut. Er saß auf der untersten Stufe, seine Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und die Ellbogen auf seine Knie gestützt. Seine gläsernen Augen verrieten, dass die vielen Getränke gestern Abend nicht nur seine Lippen benetzt hatten, sondern auch mit tiefer liegenden Bereichen seines Verdauungsapparats in Berührung gekommen waren. Er war noch in seinen Schlafanzug gekleidet, die luftige Hose hing tief im Schritt und das Oberteil war offen. Sein Gesicht sprach Bände. »Muss ich all die Leute heute wirklich noch auf den Berg führen?«, fragte er sich bestimmt jedes Mal, wenn ihm der nächste wanderlustige Franzose seine Frage zum Routenverlauf stellte. »Wäre es nicht besser, das Rendezvous mit dem Kissen noch für ein paar Stunden zu verlängern?« »Also, auf ein Neues!«, flüsterte ich Angelina ins Ohr und wir verschwanden im Korridor, der zu unserem Zimmer führte. * * *»So, wo ist denn die Taschenlampe?«, fragte ich, als wir wieder vor dem Eingang des Tunnels standen, in den wir schon gestern hineingeschaut hatten. Auf dem Platz vor dem Eingang hatten sich einige Tunnelliebhaber eingefunden, die ebenfalls ihre letzten Vorbereitungen trafen, um auf die Nordseite der Insel zu gelangen. Viele waren verhältnismäßig gut, wenn nicht fast professionell, ausgerüstet: Wanderstöcke, ellenlange Taschenlampen, hochwertige Wanderschuhe. Geli durchwühlte ihren Rucksack und reichte mir etwas, was ziemlich klein aussah und in keinem Verhältnis zu den Stirnscheinwerfern einer französischen Familie stand, die gerade im dunklen Inneren des Berges mit ihren zwei Teenies verschwunden war. »Ich habe auch Ersatzbatterien«, beeilte sich meine Frau mit der ergänzenden Information, um meinen kritischen Blicken und Äußerungen zuvorzukommen. »Batterien sind gut!«, meinte ich nur und sah neidisch hin, wie die Lichtkegel der französischen Stirnlampen die Gewölbe weit vorne im Tunnel ausleuchteten. Ich durfte mich nicht beschweren, denn diese Taschenlampe hatte ich schon vor einem Monat zu Hause gesehen und wenn ich sie auch nicht als gut eingestuft hatte, dann als vollkommen ausreichend, um ihren Zweck zu erfüllen. Auf jeden Fall, sie war besser als keine Taschenlampe.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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