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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 137
»… Angelina?«, fragte er endlich, nachdem er eine Weile seine Auftragsliste kontrolliert hatte. »Ja. Holen Sie uns ab?« erkundigte sich Geli. Zum Glück war sie bei der Buchung als Hauptreisende eingetragen und ich musste mit dem Mann kein Wort wechseln. Der Fahrer gab mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er kein Deutsch sprach. Das traf sich sehr gut, man konnte es sogar Glück nennen. Er machte die Klappe des Kofferraums auf und fing an, unser Gepäck zu verstauen. Ich machte Platz und verfolgte alles von der Seite, als sich ihm beim Anheben des Koffers mit einem Mal der Hosenbund löste und die Hose bis zum Boden hinunterrutschte. Er stand plötzlich unten ohne mit dem großen Gepäckstück in der Hand auf dem Parkplatz. Ein junger Mann mit heruntergelassener Hose – es war das letzte Bild von ihm, das sich mir eingeprägt hatte, als ich das Pärchen gestern hinter den Paletten beim Liebesakt ertappt hatte. Angelina merkte nichts von alledem, sie stand seelenruhig neben dem Fahrer und legte die leichteren Sachen in das Auto. Ich drehte mich weg und schloss die Augen. Als sich der Kofferraum mit einem klackenden Geräusch schloss und ich die Augen öffnete, war die Hose wieder an ihrem Platz. Ich mied den Beifahrersitz und stieg mit Geli hinten ein. Sie sah mich leicht verwundert an, sagte zu meiner Erleichterung aber nichts, und wir fuhren los. Wir waren die einzigen Fahrgäste und ich war mit meinem Sitzplatz im Moment ganz zufrieden. Ich konnte das Gesicht des Fahrers nicht sehen, denn ich saß hinter ihm, und nur sein Hinterkopf über der Rückenlehne des Fahrersitzes erinnerte an seine Anwesenheit. Ich schaute konzentriert zum Seitenfenster hinaus, um meinen Blick nicht zufällig nach vorn auf den Rückspiegel zu richten. Die unangenehmen Erinnerungen häuften sich ohnehin schon in meinem Kopf, obwohl ich ununterbrochen versuchte, mich von den wirren Gedanken abzulenken. Was wenn dieser Mann gar nicht vom Reiseveranstalter beauftragt wurde, fragte ich mich die ganze Zeit. Wohin fuhren wir überhaupt, wo brachte er uns hin? Wirklich zum Flughafen oder steuerte er abermals irgendein mysteriöses Tor inmitten eines Nirgendwos an? Ich bereute bereits ungemein, dass gestern kein einziger Tropfen Schnaps übrig geblieben war, den hätte ich jetzt gut gebrauchen können, aber im nächsten Augenblick klärte sich mein Urteilsvermögen erneut und ich sah die Welt mit anderen Augen. Ich nahm die Umgebung wieder so wahr, wie ich sie kannte. Wir befanden uns nach wie vor auf der Passstraße und fuhren talwärts nach Ribeira Brava. Das war doch der normale Weg zum Flughafen. Gleich kam auch das Bergdorf, wo die »Seidenen Blusen« an der Bushaltestelle in Warteposition verharrten. Warum regte ich mich denn so auf? Alles war richtig und es gab keinen Grund zur Beunruhigung. »Um wie viel Uhr kommen wir nach Hause?«, meldete sich Geli zu Wort, während wir in Ribeira Brava auf die Autobahn fuhren. »Werden die Geschäfte noch auf sein? Wir müssen was einkaufen!« »Wenn wir Glück haben, ungefähr um sechs«, antwortete ich widerwillig. Mir war nicht nach Smalltalk, aber ich musste mich ablenken. »Die Frage ist: Ob wir am Flughafen in Frankfurt gleich einen Anschluss kriegen oder noch eine Stunde auf den Zug warten müssen? Man weiß nie, wie lange der Flug dauert!«
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Ich hatte mir schon vor der Abreise alle Bahnverbindungen ausgedruckt, die für uns infrage kamen, aber ob sie auch alle pünktlich waren, stand in den Sternen und es hing wirklich alles davon ab, wann das Flugzeug letztendlich landete. Aus einem vierstündigen Flug konnte leicht ein fünfstündiger werden, je nachdem wie günstig der Wind stand. Man hätte es nicht vorhersagen können. »Ich hoffe, dass unser Flug keine Verspätung hat«, fuhr Geli fort. »Ich auch«, gestand ich. »Es sieht nicht so aus, dass sich der Flieger aus Deutschland verspätet. Wir haben ruhiges sonniges Wetter, die Flugzeuge können starten und landen ohne Verzögerungen.« »Was hat es damit zu tun?«, fragte sie ahnungslos. »Eine ganze Menge! Der Flughafen gehört zu den Schwierigsten in der Welt. Bei stürmischem Wetter kriegen die Piloten gar keine Landeerlaubnis. Die Landebahn ist extrem kurz, ich habe es ge…«, verriet ich mich schon fast wieder. »… gesehen in einer Dokumentation.« »Ach so?« »Ja.« Ich wandte mich wieder zum Fenster ab. Egal welches Thema man auch ansprach, jedes Gespräch führte unausweichlich auf irgendeine schmerzhafte Erinnerung hinaus, die ich krampfhaft zu unterdrücken suchte. Vor meinen Augen spielten sich wie in Zeitlupe erneut die Szenen meines Fluges über der Insel ab. Ich näherte mich dem Flughafen und betrachtete aus der Luft aufmerksam die Landebahn, um abzuschätzen, ob eine Landung bei den aktuellen Wetterverhältnissen gelang. Es fehlte nicht mehr viel und ich hätte damit begonnen, mit meinem Blick nach dem Briefträger auf der Besucherterrasse des Terminals zu suchen, als der Fahrer kräftig auf die Bremse trat und meinem Wahn ein jähes Ende setzte. Der Verkehr staute sich vor einer Ausfahrt. Wir waren in Funchal. Bis zum Flughafen verlor ich kein einziges Wort mehr und starrte den ganzen Weg stupide auf die graue nach hinten fließende Fahrbahn hinter dem Fenster, damit nichts in mein Blickfeld geriet, was gleich dumme Gedanken hervorgerufen hätte. Das Auto hielt im Ausstiegsbereich nicht weit vom Eingang in das Flughafengebäude. Der Fahrer machte den Motor aus, zog den Schlüssel und sagte etwas auf Portugiesisch – vermutlich, dass wir das Ziel unserer kurzen Reise erreicht hatten. Er stieg aus und ging zum Kofferraum, Geli machte ebenfalls Anstalten zum Aussteigen, während ich geduldig den Moment abwartete, bis das Gepäck auf dem Bürgersteig stand. Ich rückte auf die rechte Seite der Sitzbank, um dem jungen Mann nicht noch einmal auf seinem Rückweg zur Fahrertür zu begegnen. Der Plan ging auf. Ich stieg aus und brummte leise etwas Ähnliches wie einen Abschiedsgruß in seine Richtung, als der Fahrer den Kofferraum zuklappte, zu seinem Platz eilte und schon nach wenigen Sekunden sein Auto in die stockende Verkehrsschlange einreihte.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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