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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 130
Ich war mir nicht schlüssig und überlegte, was mit mir passiert gewesen wäre, wenn ich nicht mehr hätte auftauchen können, als ein tiefes Grollen das unterirdische Gewölbe erfüllte und eine Welle der Erschütterung durch den Fels schnellte. Alsdann wurde es gespenstisch still, nur ein kaum hörbares surrendes Geräusch machte sich breit. Und noch etwas veränderte sich: In der Dunkelheit vorne tauchte ein kleiner weißer Fleck auf, der anscheinend mit jeder Sekunde ein wenig größer wurde. Mit zunehmender Größe des hellen Punktes wurde auch das Surren immer vernehmbarer. Es dauerte noch eine Weile, bis ich erschrocken realisierte, dass aus der Tiefe des Tunnels etwas auf mich mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit zuraste. Das Surren wurde allmählich zum Sausen. Zuweilen klang es wie ein U-Bahn-Zug, der an Fahrt gewann. Es war das Geräusch, mit dem sich dieses Etwas näherte. Es war nicht das Einzige, was mir äußerst seltsam vorkam. Die Felswände, die Tunneldecke, der Wasserkanal – ausnahmslos alles jenseits der unsichtbaren Mauer, an der ich stand, bewegte sich in unglaublichem Tempo mir entgegen und verschwand einfach an der Mauerlinie, so als hätte man die einzelnen Teile eines Fernrohrs ineinandergeschoben. Es war kaum zu glauben, aber der Tunnel wurde kürzer, und der weiße Fleck musste die Öffnung des Ausgangs sein, die auf mich rasend schnell zuflog. Implodierte da draußen gerade das Universum oder was war das für eine Raumdeflation, die hier vonstattenging? Vor allem: Was geschah, wenn der gleißend helle Ball mich gleich erreichte? Wäre ich von der Implosion mit erfasst worden? Sicherheitshalber ging ich einige Schritte zurück und wartete wie gebannt auf die Auflösung des rätselhaften Geschehens. Die helle Tunnelöffnung kam immer näher, das Unvermeidbare schien schon eine Frage von ein paar Sekunden zu sein, als sich mit einem Mal die Frequenz des Bewegungsgeräuschs änderte, es wurde zunehmend tiefer, als ob die U-Bahn in einen Bahnhof einfuhr. Jeder Laut verstummte, als alles zum Stillstand gekommen war. Ich sah den Ausgang keine vierzig Meter entfernt, dahinter schien die Sonne und ich glaubte sogar, das Zwitschern der Vögel zu hören. An der Stelle, wo ich an der Mauer gestanden und das Schrumpfen des Raums noch vor einigen Sekunden stattgefunden hatte, endete die Betonschulter der Levada und ging in einen Trampelpfad über, den ich kannte. Es schien jetzt der richtige Tunnel zu sein. Ich näherte mich vorsichtig dieser Linie und streckte den Arm aus. Es gab keinen Widerstand. Schnell! Es musste jetzt schnell gehen, solange das Zeitfenster zur Flucht aus diesem schrecklichen Reich der Finsternis noch offen war! Beinahe im Laufschritt stürmte ich zum Ausgang, ohne auf Schlammlöcher und scharfe Kanten an der Felswand zu achten.
(?)
Sie tat mir gut, die frische Luft, die ich einatmete, als ich endlich im Freien stand und die wunderschöne lichtdurchflutete Welt betrachtete, in der noch alles intakt war. Es war die Welt, die ich kannte und die mir lieb war. Ich erschauderte, als ich daran dachte, was mir am anderen Ende des Tunnels widerfahren war und dass ich überhaupt noch hier stehen durfte und nicht anstelle des Gefallenen Engels in der Mitte des Stahlgerüsts baumelte. »Warte doch auf mich!«, rief ich, nachdem ich gesehen hatte, wie sich meine Frau vom Tunnel entfernte, wobei mir einfiel, dass es auch meine letzten Worte gewesen waren, die ich an sie vor meiner Tunnelodyssee gerichtet hatte. Nach dem Erlebten war ich mir nicht sicher, ob es nicht eine direkte Fortsetzung der Handlung war. Dass zwischen den zwei Sätzen räumlich zwei Welten lagen, hatte ich keine Bedenken. Ob sie jedoch zeitlich nicht gleich aufeinanderfolgten oder gar ein und derselbe Satz waren, war eine große Frage. Ich zweifelte an meinem Verstand. »Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragte Angelina, nachdem sie angehalten und sich umgedreht hatte. In ihrem Gesicht und ihren Augen merkte ich keine Spur der Verwunderung, dass sie mich plötzlich wiedersah. Sie reagierte auf meine Frage und sie schaute mich direkt an. Ich war nicht mehr unsichtbar, der Spuk war endlich vorbei. Mich beunruhigte nur die Tatsache, dass sie mir keine Fragen stellte, wo ich denn die ganze Zeit gewesen war. Sie verhielt sich so, als wäre nichts Besonderes vorgefallen und ich immer an ihrer Seite geblieben war. Aber ich konnte nicht mit ihr zusammen einen Spaziergang entlang der Levada gemacht haben, ich hatte auch keine Erinnerungen diesbezüglich. Während der Zeit hatte ich mich mit ganz schrägen Dingen auseinandersetzen müssen, die sich in mein Gehirn eingeprägt hatten bis ins kleinste Detail! Ich konnte nicht an zwei Orten gleichzeitig gewesen sein! Andererseits hatte ich mir schon etwas Ähnliches gesagt, als ich mich selbst aus der Luft im Hotel auf dem Bett beim Fernsehen beobachtet hatte. Und was war dabei herausgekommen? Das Gleiche wie jetzt auch – Unsinn! »Haben wir noch Wasser? Ich brauche jetzt was zum Trinken«, sagte ich, nachdem ich Angelina eingeholt hatte. »Das musst du besser wissen!« Ich sah sie fragend an. »Die Flasche ist in deinem Rucksack. Du hast als Letzter getrunken, bevor wir zurückgingen.« Wir hatten also gewendet, deswegen gingen wir in die entgegengesetzte Richtung, zurück zum Pass. Es gab keinen Grund, meiner Frau nicht zu vertrauen und ihre geistige Präsenz anzuzweifeln. Wenn hier jemand Wahnvorstellungen hatte, so war ich es. Ich war eindeutig an zwei Orten gleichzeitig gewesen. Wie war es möglich?
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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