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Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 109
Ich näherte mich dem Flughafen. Er lag auf einem kleinen Landvorsprung, der ein wenig in den Ozean hinausragte – direkt an der Küstenlinie, so schien es zumindest von oben. Man hätte sogar annehmen können, dass die mächtige Brandung an stürmischen Tagen die Landebahn flutete und das Rollfeld in einen See verwandelte. In Wirklichkeit war jedoch alles anders. Das ganze Gelände ruhte auf Betonpfeilern einige Meter über dem Meeresspiegel, fand ich heraus, nachdem ich ein Stückchen aufs Meer hinausgeflogen war, um landenden Flugzeugen nicht in die Quere zu kommen. Es war einerseits überraschend, denn ich sah so etwas zum ersten Mal in meinem Leben persönlich, andererseits war es die einzige logische Erklärung der Tatsache, dass das Flughafenareal eine perfekte ebene waagerechte Fläche bildete. Den Terminal, die Startbahn und das Rollfeld baute man einfach auf Betonplatten über der zerklüfteten Küste, anstatt einen halben Berg abzutragen, um genug Platz zum Landen von modernen Flugzeugen zu haben. Die Landebahn war ohnehin schon extrem kurz, Passagiere mitsamt ihrem Flieger wären alle gleich baden gegangen, hätten die Bremsen bei der Landung einmal versagt, denn am Ende der Bahn gab es nichts außer einem tiefen Abgrund, der in die tosenden Wogen führte. Ich machte eine Runde über dem Flughafengebäude und bemerkte, dass sich auf der Dachterrasse viele Zuschauer versammelt hatten, die auf das Flugfeld hinaussahen und jedes Mal laut jubelten und Beifall klatschten, wenn ein Pilot seine Maschine meisterhaft zum Stillstand brachte. Ich bezweifelte, dass hier die ganz großen Überseejets hätten landen können, aber mit den Touristenflugzeugen der mittleren Klasse funktionierte es ganz gut. Erneut sah ich ihn, den Mann mit der Briefträgertasche. Er stand mitten in der Menschenmenge auf der Terrasse und lächelte mich von Weitem an. Was sollte es? In Eile änderte ich die Flugrichtung – bloß weg von der Erscheinung, die mich wie eine Zwangsvorstellung verfolgte. Meine Flugroute folgte dem Verlauf der Küstenlinie, die immer mehr nach Norden abdrehte, bis sie einen großen Bogen um eine schöne Bucht machte. Ein Verkehrsschild auf der Autobahn unter mir informierte die Autofahrer, dass die roten Dächer der Häuser und die Parkanlagen an der Strandpromenade zu dem Ort Machico gehöhrten. Es fiel mir siedend heiß ein, dass ich wieder viel zu tief flog, wenn ich schon die Autobahnschilder lesen konnte. Die tückischen Stromleitungen konnten überall sein und auf einmal wie aus dem Nichts auftauchen. Das wusste ich schon und stieg auf eine sichere Höhe, um mich nicht in den Drahtseilen zu verfangen. Außerdem bot sich von hier eine viel schönere Sicht. In der Ferne sah ich, wie eine lang gezogene Landzunge rechts von mir in den Ozean hinausragte. Sie bestand aus einigen kleineren Inselchen und war allem Anschein nach nicht besiedelt, nur ein einziger Ort am Anfang der Halbinsel erinnerte daran, dass sich auf Madeira vieles verändert hatte seit dem ersten Betreten des Eilands durch João Zarco. Der Name des Städtchens war mir nicht bekannt, aber es lag ohnehin auf meinem Weg, sodass ich ihn bald erfahren hätte. Ich ließ meinen Blick zurück zu Machico wandern und sah in einer Ecke der Bucht einen gelben Fleck. Er passte nicht in die Umgebung. Die Linie, wo die blauen Wellen des Ozeans auf das Grau der Basaltsteine der Küste schäumend trafen, wurde hier unterbrochen. Ein Abschnitt aus feinem, weichem Sand, der auf keinen Fall von dieser Insel stammen konnte, veränderte erheblich das ganze Bild. Natürlich! Ich erinnerte mich an die Beschreibung der Bademöglichkeiten im Reiseführer – das war einer der wenigen Sandstrände Madeiras, der Strand von Machico! Abgesehen davon, dass der Strand eher wie ein in die Oberfläche der Insel eingepflanzter Fremdkörper wirkte, musste man auf so eine Idee erst kommen: Ein paar Schiffsladungen Karibiksand lockten Touristen, füllten die Stadt mit Besuchern und die Hotelzimmer mit Gästen.
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Noch jemand passte nicht hierher. Mitten auf dem leeren Strand stand Mister Postman in seinem dunklen Anzug und kontrastierte mit dem gelben Sand. Offenbar war er mir vom Flughafen bis nach Machico gefolgt, seine Schuhe waren noch mit rötlichem Staub bedeckt, der überall auf Wanderwegen lag. Er blickte nach oben und grinste mich an. Existierte er nur in meinem Kopf oder gab es ihn wirklich? Diesmal gab ich mit einem kurzen Wink zu erkennen, dass ich ihn auch bemerkt hatte. Sein Grinsen wurde noch breiter und er fing an, energisch mit den Händen zu fuchteln, und auf etwas Unsichtbares in nördlicher Richtung zu zeigen. Seltsam. Es sah so aus, als wollte er mir die Flugrichtung vorgeben. Höflich nickte ich bejahend zur Antwort. Ich flog auch so schon nach Norden, eine Kursänderung war nicht geplant! Die Flugrichtung hätte ich auch nicht geändert, wenn er nach Westen gezeigt hätte. Was wollte er also von mir? Das kleine Städtchen Caniçal, das ich vorhin am Anfang der Landzunge – der östlichen Spitze von Madeira – ausgemacht hatte, war schnell überflogen. Ich nahm Kurs nach Westen. Die schroffen Felswände der Nordküste trotzten den Wogen, die weither über den Ozean rollten und die Insel mit voller Wucht trafen. Ich glitt über dem Meer und betrachtete neugierig unbekannte Orte auf den Klippen, die ich noch nie gesehen hatte, aber auch diejenigen, die uns schon von gestern bekannt waren. Steilküstenabschnitte wechselten sich mit flacheren Stränden ab, die sich im Laufe der Jahrhunderte dort gebildet hatten, wo eine Klamm von oben zur Küste hinunterlief und den Wildbach in den Ozean münden ließ. Santana lag auf einem Plateau am Fuße des Pico-Ruivo-Massivs und war vom Meer aus nicht zugänglich. Ich stieg noch etwas höher, um einen besseren Überblick zu bekommen, und befand mich jetzt auf der Höhe des Hauptberges der Insel. Die Straße, die wir mit dem Taxi hochgefahren waren, schlängelte sich oberhalb der Stadt bis zum Berghof Abrigo da Heidi, man konnte sie ganz deutlich sehen, trotz der Vegetation.
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KurzinhaltEin Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.Über den Autor
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