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OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Das Geheimnis des vernebelten Passes: Seite 106

Der Beitrag zeigte eine schöne Berglandschaft aus der Vogelperspektive. Der Kameramann nahm die Zuschauer mit an Bord eines Hubschraubers, um ihnen die facettenreiche Welt eines Gebirgszuges von oben vorzustellen. Es musste ein Helikopter sein, denn für ein Flugzeug wäre der Flug so nah an den Gipfeln zu schnell und zu gefährlich gewesen. Vielleicht war die Dokumentation auch aus dem Korb eines Heißluftballons gedreht worden. Scharfkantige, schroffe Felsen und tiefe Schluchten zogen gemächlich und lautlos an einem vorbei, was bei rotierenden Blättern der Auftriebsschraube kaum denkbar gewesen wäre. Vorstellbar waren auch Luftaufnahmen, bei denen die Kamera auf dem Rücken eines Vogels befestigt wurde. Solche Filme, wo Vogelperspektive wörtlich zu verstehen war, hatte ich auch schon mehrfach gesehen.

Wir flogen eindeutig über einer Insel, denn von allen Seiten umgab ein endloses tiefblaues Meer die Landmasse, die einsam aus dem Wasser gen Himmel ragte. Nein … nicht einsam. Ich sah in der diesigen Ferne am Horizont noch eine Insel, als der Kameramann das Objektiv zur Seite schwenkte. Sie war aber viel kleiner und die Berge waren bei Weitem nicht so hoch wie die mächtigen Formationen unter uns. Wo waren wir? Was war das für ein Archipel? Ich fragte mich, warum der Streifen ohne Ton gesendet wurde.

Wir überflogen gerade eine Höhe, die nach oben hin eine fast perfekte weiträumige ebene Fläche bildete, wie wenn man die Bergspitze mit einem Messer abgeschnitten hätte, als ich den ersten leisen Verdacht schöpfte, das Ganze schon einmal gesehen zu haben. Dieser Eindruck verflüchtigte sich auch dann nicht, als vorne einige Windräder auftauchten, die am Rande des Plateaus standen, und hinter ihnen sich ein riesiges tiefes Tal auftat, dessen Sohle ich von dieser Kameraposition aus nicht erkennen konnte. Im Gegenteil: Das Bild kam mir so bekannt vor, dass es mir den Atem verschlug. Ich wartete gespannt darauf, welche Aussicht sich hinter der Plateaukante öffnete, und war nicht sonderlich überrascht, als die Kamera in Kürze unser Hotel am Hang heranzoomte und im Vollbildformat zeigte.

Das war ein geheimnisvoller Zufall und ein ganz seltsames Gefühl überkam mich. Die Szene empfand ich als Wirklichkeit. Ich blickte aus der Luft auf unser Hotel, ein Gebäude, in dem ich selbst gerade fernsah, aber gar nicht dort sein konnte, denn: Wer sah sich anderenfalls das Hotel aus der Luft an? Gewisse Bedenken plagten mich. Was war nun real? Saß ich im Hubschrauber? Oder lag ich auf dem Bett im Zimmer? Oder tat ich beides zugleich?

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Indessen ging der Flug weiter, über den Talkessel, vorbei am Pass und direkt auf den Turmberg zu. Er hüllte sich heute nicht in Nebelschwaden, die Sonne lachte vom Himmel, in der kristallklaren Morgenluft war der Bergkamm bis hin zum Pico Ruivo deutlich zu sehen. Auf der Passstraße unter mir fuhr ein Auto zum Pass hinauf und eine Wandergruppe bog an der höher gelegenen Kehre auf den Königspfad ab – vermutlich die nächste Mannschaft leistungsstarker Franzosen. Ich wollte ihnen mit einem Wink viel Glück wünschen, aber sie beschäftigten sich mit ihren eigenen Sachen und nahmen von mir keine Notiz. Der Turmberg kam immer näher und näher, schon bald konnte ich jede einzelne Ritze an seiner verwitterten Felswand sehen. Aber der Pilot drehte nicht ab! Panik ergriff Besitz von mir, als wir direkt auf die Spitze des Berges zuflogen, und es schien keine Rettung mehr vor dem kommenden Zusammenprall zu geben. Ich schloss fest die Augen in Erwartung der Kollision und öffnete sie erst dann, als wir knapp am Gipfel vorbeigeschrammt waren – wusch! Ich sah verärgert in die Richtung, wo ich den Piloten vermutete, um ihm meine Meinung zu sagen, und stellte erschrocken fest: Es gab keinen Piloten – abgesehen davon, dass es auch keinen Hubschrauber gab, geschweige denn einen Heißluftballon oder einen Märchenvogel, der mich auf seinem Rücken trug. Der Vogel war ich selbst!

Lautlos schwebte ich über dem Bergkamm und sah mir den Wanderpfad an, auf dem wir erst vor wenigen Stunden in der Dunkelheit herumgeirrt waren. Mein federleichter Körper bewegte sich wie in der Schwerelosigkeit, ich nutzte gekonnt den Auftrieb der aufsteigenden Luftströme, um in der Höhe zu bleiben. Wie die Flügel eines Vogels waren meine Arme zu beiden Seiten ausgestreckt. Ich spürte mit den Handflächen jede kleinste Veränderung der Windrichtung und versuchte damit wie mit einem Höhenruder zu arbeiten, obgleich es zuweilen wenig Wirkung zeigte. Eine mysteriöse unsichtbare Kraft hielt mich in der Luft und lenkte meinen Flug, mal folgte sie meinem Wunsch des Richtungswechsels, mal trug sie mich gegen meinen Willen, wohin sie wollte. Auf irgendeine geheimnisvolle Art und Weise konnte ich Einfluss auf diese höhere Gewalt nehmen, um die gewünschte Flugrichtung einzuschlagen und die Geschwindigkeit zu bestimmen, aber ich wusste noch nicht, was genau ich dafür tun musste.

Unerwartet ließ die Wirkung der magischen Energiequelle nach, mein Körper wurde schwer. Ich verlor an Geschwindigkeit und sank unaufhaltsam. Es schien sicher zu sein, dass ich gleich den Pfad mit der Nase pflügte, als sich meinem Blick das kleine Plateau öffnete, wo wir mit Geli gerastet hatten. Ich sah deutlich das Steintürmchen mit der Routenmarkierung neben dem Pfad. Vielleicht war es auch ein anderes, denn ich bemerkte von oben noch weitere kleine Pyramiden, die wir zuvor im Nebel übersehen hatten. Es spielte auch keine Rolle – sie alle dienten mir jetzt als Landebahnmarkierung. Es gelang mir unerklärlicherweise, in der Einflugschneise zu bleiben, und ich wusste zu meinem Erstaunen im Detail, wie das Landen ging. Als die Flughöhe zwei bis drei Meter über dem Boden betrug, ließ ich langsam die Beine hinunterhängen, die bisher waagerecht nach hinten ausgestreckt gewesen waren, gespannt wie die Sehne eines Bogens bis zu den Zehenspitzen. Sie funktionierten wie Landeklappen eines Flugzeugs, der Luftwiderstand erhöhte sich und die Geschwindigkeit nahm ab.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Ein Ehepaar macht Urlaub auf der Insel Madeira, bewandert Bergpfade und Levadas, macht Ausflüge zu den lokalen Sehenswürdigkeiten und besucht zahlreiche Orte. Als Ausgangspunkt für die Entdeckungstouren dient das Berghotel "Encumeada" am gleichnamigen Pass an der Wetterscheide in der Mitte der Insel. Oft wolkenverhangen und in Nebelschleier gehüllt, birgt der Bergpass, wie es scheint, ein Geheimnis, das vor allem dem Ehemann keine Ruhe lässt. Es passieren merkwürdige Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Mysteriöse Visionen aus einer parallelen Wirklichkeit plagen ihn. Sie werden auf eine geheimnisvolle Art immer dann ausgelöst, wenn er sich in der näheren Umgebung des vernebelten Passes befindet. Ungeahnte Fähigkeiten und über die menschliche Geisteskraft hinausgehende Erkenntnisse werden ihm zuteil. Seine Hoffnungen, dass die seltsamen Ereignisse mit der Abreise von der Insel ihr Ende haben werden, erfüllen sich nicht. Die Parallelwelt holt ihn während des Heimfluges ein. Der Handlung im Roman liegen wahre Erlebnisse während eines Urlaubs zugrunde, den der Autor zwischen dem 14. und dem 30. Juli 2014 auf der Insel Madeira verbracht hat. Mit ein wenig Fantasie entstand aus dem Reisebericht eine spannende Geschichte.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 12.012
Online Seiten: 145
PDF Downloads: 54
PDF Seiten: 340
EPUB Downloads: 41
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 665482
Druckwörter: 122463
Buchseiten: 504
Erschienen: January 2021

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