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Des Teufels Steg: Seite 15

Die Ereignisse drohten jeden Augenblick, eine dramatische, unumkehrbare Wendung zu nehmen, als Pfarrer Lukas zum Ort des Geschehens eilte, um das Schlimmste zu verhindern. Er versuchte so gut es ging, die aufgeregten Menschen zu beruhigen: »Liebe Brüder und Schwestern«, sprach er mit tiefer, besänftigender Stimme, »es ist nicht im Sinne unseres Herrn, dass jemandem Unrecht widerfährt. Hexerei ist eine schwere Beschuldigung, welche untersucht werden muss. Nun vernehmen meine Ohren aber, dass nur eine einzige Schwester Zeugnis darüber ablegen kann, dass Gerlinde im Auftrage des Teufels handelt. Es steht uns bei Gott nicht zu, die Beschuldigte zum Tode auf dem Scheiterhaufen zu verurteilen, solange nicht der eindeutige Beweis erbracht ist und solange nicht ihr eigenes Geständnis ihrer Schandtaten vorliegt. Sie muss zuerst gehört werden. Ich werde noch heute einen Boten nach Quedlinburg entsenden und den Vorfall der hochwürdigsten Äbtissin, der Prinzessin Hedwig von Sachsen zutragen lassen. Sie soll mit dem hohen Stadtrat gemeinsam darüber richten, ob die Vorwürfe begründet sind. Nun geht aber in Frieden zu euren Häusern zurück, verrichtet eure tägliche Arbeit und preiset Jesus Christus, unseren Herrn im Himmel.«

Die kurze Predigt zeigte Wirkung. Die meisten sahen beschämt zu Boden und der Rest rätselte darüber, wie sie sich alle derart hatten gehen lassen. Schweigsam machten sich die Ersten auf den Weg zu ihren Häusern.

»Meine Tochter«, wandte sich der Pfarrer an Irmel, nachdem sich die Reihen der Protestierenden merklich gelichtet hatten, »ich bin erfreut, dass auch du Jesus in deinem Herzen gefunden hast. Das werden wir alle am Sonntag in der Kirche gebührend feiern und dem Herrn dafür danken! Aber sag mir doch mal: Was genau ist gestern Nacht im Wald vorgefallen, dass du die Frau der Hexerei beschuldigst?«

»Vater, sie ist eine Hexe. Glaubt mir!«

»Ja, mein Kind, ich glaube dir. Aber was ist denn nun passiert gestern Nacht?«

»Ich sah zwei große gelb leuchtende Augen in der Dunkelheit, als ich im Wald nach Kräutern suchte. Ich bekam eine Todesangst und wollte den Augen entrinnen, doch sie folgten mir und bald erkannte ich, wem sie gehörten: Einer schwarzen Katze, aber so groß wie ein Mensch! Und sie sprach zu mir mit menschlicher Stimme! ›Fürchte dich nicht vor mir, Irmel‹, sagte sie, ›ich nenne dir alle Kräutlein, die du für deinen Zaubertrank brauchst.‹ Doch fürchtete ich mich noch mehr als zuvor und lief weiter, aber die Katze verfolgte mich mit großen Sprüngen und ich konnte ihr nicht entkommen. Und als sie mich einholte, verwandelte sie sich in eine hässliche Hexe und diese Hexe war Gerlinde! Ich habe sie erkannt!

»Was gibt dir diese Sicherheit, meine Tochter?«, erkundigte sich der Pfarrherr.

»Ihre Stimme!«, antwortete Irmel, ohne zu zögern. »Sie sprach zu mir, ich sei in ihren Zauberkreis eingedrungen und müsse ihr nun auf den Berg folgen, wo sie mich zu ihresgleichen machen würde.«

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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»Und was geschah dann?«, versuchte der geistliche Vorsteher weiterhin, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

»Ich flehte Gott um Hilfe an! Ein Sturm brach aus, Vater, sodass sich die Bäume bis zu Erde beugten. Blitze zuckten im Himmel! Und ich sah, wie die Hexe in die Luft gehoben und gegen einen Felsen geschleudert wurde, dann rannte ich geschwind zum Dorf!«

»Hm …« gab der Pfarrer nachdenklich von sich. »Das alles beweist ein weiteres Mal, mein Kind, dass Zauberkräuter zu pflücken, eine Sünde ist, und Zaubertränke daraus zu machen, ein Teufelswerk! Danke Gott, dass er sich deiner Seele erbarmt hat.«

»Ja, Vater, ich bin jetzt geheilt und werde nie wieder ein Kräutlein anfassen!«

»Mit Gottes Hilfe möge es dir gelingen«, gab der Pfarrer Irmel seinen Segen für ihr Vorhaben und richtete seine Schritte zu Gerlindes Haus. »Zu den erhobenen Vorwürfen muss ich nun Gerlinde befragen.«

Was der geistliche Mann mit Gerlinde besprochen hatte, blieb Irmel für immer ein Geheimnis, aber noch am selben Tag verließ die vermeintliche Hexe spät abends das Dorf, um nie wieder zurückzukehren.

Cecilia folgte heute demselben Weg, den auch ihre Großmutter damals bei ihrer Flucht genommen hatte, dem kaum erkennbaren Trampelpfad durch die Schlucht zu der geheimnisvollen Brücke. Gerlinde hatte schon zu der Zeit um den seltsamen Steg gewusst und ihre Wahl der Fluchtrichtung war alles andere als zufällig gewesen, denn auf der anderen Seite der Klamm, in der die Bode wild zischend gegen die Felswände schlug, verbarg sich eine noch seltsamere Welt, von der keiner etwas wusste, jedenfalls hatte Cecilia noch nie jemanden im Dorf darüber sprechen hören. Nur ihre Mutter und sie, wie es schien, kannten dieses Geheimnis und es war ratsam – sie spürten es mit jedem Tag immer deutlicher –, es für sich zu behalten.

Es gab nur noch eine Handvoll Leute im Dorf, die sich an die alten Sitten und Bräuche hielten und den Naturgöttern huldigten, aber auch diese kleine Gemeinschaft wurde von den Christen stets schief angeschaut. Trotzdem nahmen es sich die »Heiden« noch nicht zum Anlass wegzuziehen. Vor aller Augen wurden sie zwar mit Misstrauen behandelt, ja geächtet, aber andererseits klopften ausnahmslos alle braven Kirchengänger, und es war das Merkwürdige an der Sache, bei Nacht und Nebel heimlich an der Tür bei Cecilia und ihrer Mutter und fragten nach einem Heilmittel, sobald jemand aus ihrer Familie von einem körperlichen Leiden heimgesucht wurde. Das gab den naturverbundenen Dörflerinnen Hoffnung und nebenbei ein Auskommen, denn nur sie kannten noch die alten Rezepte. Nein, es gab doch noch eine Ausnahme, musste Cecilia sich selbst korrigieren. Irmel. Sie klopfte nie bei ihnen an. Ob es an der alten Geschichte mit Gerlinde lag oder das »törichte Weib« sich selbst zu behelfen wusste, vermochte Cecilia nicht zu sagen, aber ganz ahnungslos im Umgang mit Kräutern war sie nicht. Irmel ignorierte einfach sie und ihre Mutter. Es war jedoch eine ganz besondere Art von Ignoranz: Während Irmel die beiden niemals eines Blickes würdigte, verbreitete die »fromme« Christin im Dorf hinterrücks ungeheure Lügen über Mutter und Tochter. Sie hatte sich in Bezug auf Gerlinde ihre eigene Geschichte zusammengesponnen und behauptete schon jahrelang, die Großmutter von Cecilia sei damals auf den Berg geflohen und treibe dort seitdem ihr Unwesen. Gefährliche Hexen strömen nur so aus der ganzen Gegend zu dem Berg, um an den wilden Orgien auf dem Hexentanzplatz teilzunehmen, die die Oberhexe Gerlinde regelmäßig veranstalte. In ihrer Geschichte hatte sie Ursel und Cecilia eine besondere Rolle zugedacht: Sie seien Gesandte im Auftrage der Oberhexe im Dorf und wollen unschuldige Jungfrauen vom rechten Wege abbringen. Man gehe regelmäßig zum Tanzplatz, wollte sie allen weismachen, um der Oberhexe Bericht zu erstatten und von ihr die nötigen Kräuter für einen Jungfrauentrank zu bekommen. Das war alles ein großer Unsinn! Wer konnte es noch besser wissen als Cecilia? Aber die Leute glaubten es zum großen Teil. Mit der Oberhexe wurden von den Eltern schon Kinder eingeschüchtert, wenn sie nicht artig sein wollten.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Wolfgang Breitscheid, ein Handelsreisender in Sachen Wein aus Hannover, findet sich plötzlich in der Zeit des Spätmittelalters wieder, während er eine ungeplante Verkaufsreise in den Harz unternimmt. Sein neuer Bekannter, ein Schriftsteller namens Richard Knöpfle, besitzt diese Fähigkeit nicht, aber während er nach dem unerwartet verschwundenen Weinvertreter sucht, stößt er auf eine Zusammenkunft von Rechtsradikalen aus Jena, die im Harz ein Hexenfeuerfest feiern. Derweil sich Richard mit der arischen Vereinigung auseinandersetzt, macht Wolfgang Bekanntschaft mit der Heiligen Inquisition. Es kommt zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Gut & Böse und das Edle gewinnt – vorerst, denn das Übel ist nur schwer zu besiegen.
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
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Online Seiten: 233
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PDF Seiten: 518
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EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 1107796
Druckwörter: 202846
Buchseiten: 711
Erschienen: March 2024

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