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Der Brockenwicht: Seite 92
Geli legte ein unverkennbares Interesse am Ausgang der Geschichte an den Tag und hing an den Lippen des Gauklers. Ich hörte mit einem Ohr zu und versuchte, meinem Gesicht einen interessierten Ausdruck zu verleihen, während ich überlegte, wie wir aus dem Schlamassel herauskamen. Im Grunde war es kein großes Ding, dem Mann mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten und eiskalt mitzuteilen, dass der Vertrag aufgrund der unlauteren Methoden und der irreführenden Inhalte null und nichtig sei, und alsdann Hals über Kopf in Richtung Brockenbett zu laufen. Allein, ich wusste nicht, wie weit es noch bis zu diesem Abzweig war, der uns entlang der verdeckten Ilse nach Ilsenburg führen würde. Gewisse Zweifel kamen bei mir auf, ob wir es wirklich schaffen würden, bevor er den Vorfall nach oben melden konnte, obwohl der Scheideweg nicht mehr weit sein konnte! Aber was, wenn nicht? Okay, welche Vorteile hatte demgegenüber die Verzögerungstaktik, die ich aktuell verfolgte? Nur einen Einzigen, wenn ich es mir recht überlegte: Die gefährliche Flucht nach unten würde nur zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, denn inzwischen war ich nicht mehr davon überzeugt, dass es mir gelingen würde, den unbequemen Fragen des Mannes im Regenmantel auszuweichen, – er war verdammt gut in seinem Handwerk. Kurz, am Ende würde die Verzögerung gar keine Vorteile bringen, wenn die Lage nicht noch schlimmer machen, kam ich zu der Schlussfolgerung. Welchen Sinn machte es denn überhaupt noch, sich Gedanken zu machen und mögliche Gesprächsabläufe zu modellieren, wenn doch am Ende so oder so das Gleiche herauskam. Höchstwahrscheinlich wäre es aktuell am klügsten gewesen, das Gespräch ganz frech abzubrechen und sich im Laufschritt zu entfernen, ohne dem Mann auch nur ein Wort gesagt zu haben. Dadurch hätten wir schon ein paar Minuten Zeit gewinnen können, solange er sich von der ersten Welle der Fassungslosigkeit erholte, ehe er imstande war, mit seinem Boss zu telefonieren und den Vertragsbruch zu melden. Der Plan wäre perfekt gewesen, wenn nicht eine winzige Kleinigkeit alles zunichtemachte: Ich hätte meine Frau unauffällig in den Plan einweihen müssen, damit er funktionierte, und genau das war kaum zu bewerkstelligen. Der Typ hätte unverzüglich Verdacht geschöpft, wenn ich ihr etwas zuflüsterte oder irgendwelche Zeichen gab, und der Überraschungsfaktor wäre nicht mehr auf unserer Seite gewesen, mit unvorhersehbaren Folgen. Dennoch blieb ich dabei, dass ich – komme, was wolle – als Erster die Katze aus dem Sack lassen musste, um allen Eventualitäten zuvorzukommen, infolge derer die Ereignisse eine unangenehme Wendung nehmen konnten.
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»Da hätte ich eine bessere Idee!«, krächzte unverhofft Brockenwichts freche Stimme dazwischen. »Und denk jetzt ja nicht dran, nach mir zu suchen oder zu quatschen. Amateur!« Die Stimme des Wichts, den ich bei der ganzen Aufregung schon beinahe vergessen hatte, klang irgendwie seltsam. Sie hörte sich so an, wie sich meine eigene Stimme anhörte, wenn ich mir die Ohren zuhielt und etwas zu sagen versuchte. Es kam mir vor, als ob der Kerl irgendwo innerhalb meines Schädels saß und mit mir kommunizierte. »Sag ihm doch mal«, sprach er weiter, »du hättest vor einer halben Stunde ein altes Trödelweib am Straßenrand gesehen und auf ihrem Rollwagen lag so ein Hut wie seiner. Auf der Innenseite stand ebenfalls ein Name: Ranulf von Blocksberg. Sag ihm das!« Ich verstand nichts mehr. Wozu das Ganze? Welcher von Blocksberg? Wohin sollte es führen? Ich glaubte, der Kleine war mir noch eine Antwort schuldig, bevor ich mich aufs dünne Eis begab, und wollte mich gerade unauffällig umdrehen, um ihn leise nach dem Sinn und Zweck zu fragen, als ich von dem frechen Schalk zurechtgewiesen wurde. »Bist du verrückt geworden?«, blitzte und donnerte es gleich los in meinem Kopf. »Du machst hier noch alles kaputt! Du ahnst ja nicht, welcher Gefahr du dich selbst und deine Frau aussetzt. Amateur! Die Geschichte vom Hut ist gleich zu Ende, dann kannst du dich nicht mehr ohne Verdacht auf ihn berufen. Sag's ihm. Jetzt! Sofort!« Derweil setzte der teuflische Kollege zum finale grande seiner süßlichen Gesänge von dem schweren Schicksal während der Hutmacherlehre im Wilden Westen Kanadas an, mit denen er meine Frau zu betören suchte. »So bin ich, liebe Angelina, an meinen persönlichen Hut mit Namen und Telefonnummer gekommen«, sagte er noch zum Schluss, als ich meine volle Aufmerksamkeit wieder auf die beiden richtete. »Wissen Sie«, ergriff ich unvermittelt das Wort, »erst vor Kurzem haben wir eine Art Händlerin getroffen.« Der Regenmantel sah mich beunruhigt an.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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