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Der Brockenwicht: Seite 88

Nicht abbiegen, weitergehen! Ich wollte die Leute noch von ihrem Vorhaben abbringen, aber es war zu spät. Sie waren einer nach dem anderen im Gebüsch verschwunden, ehe ich michs versah. Mit ihnen löste sich auch der Wegweiser an der Straße spurlos auf. Nichts deutete mehr darauf hin, dass hier noch vor kurzer Zeit eine Wandergruppe gestanden hatte, als wir der Stelle an der Straße näher kamen. Die Nebelblase mit den zwei Hexen schwebte noch eine Zeit lang über den Sträuchern in einiger Entfernung, bis sie sich ebenfalls verflüchtigte, während aus dem Dickicht abstoßende knurrende und schmatzende Geräusche erklangen, die einen erschaudern ließen.

»Was war das?«, überraschte mich meine Frau mit ihrer Frage.

»Ähm … Hast du es etwa gehört?«

»Da kam doch gerade ein Grunzen aus dem Wald, oder?«

»Ja … ein Grunzen … sozusagen«, meinte ich nachdenklich. »Weißt du … die Wanderer, die du vorhin gesehen hast, sie existieren nicht mehr, zumindest nicht in der Form von Menschen. Das Grunzen hat sie verändert, für alle Ewigkeit, nehme ich mal an. Es sind Zerbolte, die du gehört hast.«

»Hör auf«, sagte sie ängstlich. »Kommen sie uns jetzt holen?«

»Keine Ahnung, aber wir sollten uns dringend aus dem Staub machen. Los, gehen wir!«

Es war äußerst bemerkenswert, überlegte ich, während wir im Höllentempo die Brockenstraße hinunterhetzten. Es war eine ganz neue Erkenntnis. Geli konnte die Hexen und andere Kreaturen nicht sehen, aber so ganz unempfindlich zu dem Teufelswerk war sie offenbar nicht, denn sie konnte eindeutig etwas akustisch wahrnehmen, zumindest teilweise. Das änderte alles. Denn wer konnte da noch sicher sein, dass sie auch visuell nicht das eine oder andere mitbekommen würde in dieser bizarren Welt des Blocksbergs. Somit wäre ihr Leben in gleichem Maße gefährdet gewesen durch die Angriffe der dunklen Mächte wie mein eigenes. Statt nur auf mich aufzupassen, musste ich darüber hinaus ab sofort darauf achten, dass meine Frau nicht zum ahnungslosen Opfer in diesem teuflischen Spiel wurde.

Die Nachmittagssonne gab ihr Bestes. Der Himmel wurde umso blauer, je weiter wir uns vom Gipfel entfernten. Die Straße war schon fast trocken, nur hier und da glänzte auf dem Asphalt noch eine dunkle feuchte Stelle, die unter den sengenden Sonnenstrahlen wie ein Wassertropfen auf der heißen Herdplatte vor unseren Augen schrumpfte und in Dampf aufging. Während wir noch vor einer halben Stunde wie Espenlaub gezittert hatten, trieb nunmehr die schnelle Bewegung und der warme Sonnenschein die ersten Schweißperlen auf die Stirn. Die dicken Regenjacken waren nicht nur überflüssig geworden, man empfand sie sogar als äußerst hinderlich, um zügig vorankommen zu können. Sie waren in der Sonne schon weitgehend getrocknet und konnten zurück in die Rucksäcke. Bereits nach einer Viertelstunde hielten wir an, um uns der schweren Sachen zu entledigen und den Durst zu stillen – die rustikale Erbsensuppe lag schwer im Magen.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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»Wie sieht es denn mit deinem Knie aus?«, fragte ich, während ich die Jacke wieder in den Rucksack stopfte.

»Es geht«, gab Geli zur Antwort. »Es ist ja nicht so steil!« Sie hielt die Flasche an ihre Lippen und trank ein paar Schluck Wasser.

»Das ist gut. Wir dürfen nämlich das Tempo nicht verlieren, bis wir am Brockenbett sind.«

»Was ist dieses Brockenbett?«

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich das Bett, wo der Brocken liegt! Die Bergbasis also. Die Grundlinie von diesem Hügel.«

»Und warum ist es so wichtig?«

»Da wird es ruhiger. Zerbolte sind nur auf dem Berg.«

»Woher weißt du es denn?«

»Lass deine Fragerei!«, verlor ich die Beherrschung. »Ich weiß es einfach!«

»Lass gut sein!«, konterte meine Frau. »War ja nur eine Frage.«

»Lass uns jetzt lieber weitergehen«, unterbreitete ich ein Friedensangebot und wir machten uns auf den Weg.

Unendlich zog sich die Straße nach unten, kein Knick und keine Biegung unterbrach ihren Verlauf. Kein einziger Mensch kreuzte unseren Weg, es gab nicht einmal jemanden, den wir überholen konnten, und niemand kam uns entgegen. Es war gespenstisch still. Es gab nur uns und die unendliche schnurgerade Straße, die von beiden Seiten von einem dunklen Nadelwald gesäumt war. Die Schneise führte unbeirrbar geradeaus so weit das Auge reichte, bis sich der Wald in der Ferne wieder zu einer Wand schloss. Dennoch, die grüne Einöde hatte auch eine gute Seite! Es gab zu meiner großen Freude keine übernatürlichen Aktivitäten, sofern ich es beurteilen konnte. Im Wald leuchteten keine roten Augen, entlang der Straße huschten keine grauen Schatten, in der Luft schwebten keine Hexen. Und was mich am meisten freute, war der Umstand, dass wir unseren unheimlichen Begleiter vorerst losgeworden waren. Unterbewusst realisierte ich, dass der Spuk noch nicht an dieser Stelle endete, gleichwohl war es aber eine Atempause, die einem erlaubte, seine Gedankten zu ordnen, bevor man wieder auf Faust und Mephisto traf und die heile Welt erneut aus den Fugen geriet. Und was noch wichtiger war: Jeder Augenblick und jeder Schritt, den wir in Abwesenheit der Unterweltbewohner machten, brachte uns näher zum Brockenbett.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.851
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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