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Der Brockenwicht: Seite 8

Heine gesellte sich wieder zu mir. Er hatte seinen Harz auch mit dichten grünen Wäldern und saftigen Wiesen erlebt. »Stimmt doch, Harry?«, suchte ich bei ihm nach einer Bestätigung und erinnerte mich daran, dass unser Gespräch nur in eine Richtung funktionierte. »Macht nichts. Du hast ja schon alles in der Harzreise gesagt«, fügte ich versöhnlich hinzu. »Übrigens, mein gnädiger Freund, ich habe deine Harzreise vor dem Urlaub noch einmal durchgelesen. Stell dir mal vor, während wir mit dir so durch die Gegend marschieren, kommt es mir vor, als würde ich jede einzelne verborgene Ecke wiedererkennen, die du so meisterhaft in deinen Reisebildern beschrieben hast. ›Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen wie Gespenster beim dritten Hahnenschrei‹ – das ist doch eine ganz banale Geschichte zu Beginn deines Aufstieges zum Brocken. Aber warum ist sie mir schon beim ersten Lesen ans Herz gewachsen? Kannst du mir das erklären, Harry? … nicht? Okay. Weißt du … es mutet mich zwar ein bisschen seltsam an, aber ich war neulich beim Lesen überzeugt, dass ich bei meinem Aufstieg genau das Gleiche erleben werde … Es ist jetzt natürlich etwas anders gekommen, aber das Wetter kann man nicht bestellen! Tut mir leid … und außerdem sind wir noch nicht auf dem Brocken. Vielleicht wird ja noch alles so passieren? Was glaubst du, wie lange ich schon deine Harzreise kenne? Du wirst es nie erraten, versuch's mal! Nein, es sind weit mehr als zehn Jahre, falls du an so was denkst. … zwanzig? … dreißig? Und wer bietet mehr? … nee, mein Lieber, schon seit meinem Studium vor vierzig Jahren weiß ich deine träumerischen Naturbeschreibungen zu schätzen. Und nicht zuletzt deine ironisch-sarkastischen Bemerkungen in Bezug auf deine Mitmenschen, die zum größten Teil alle Kinder ihrer Zeit waren und unglaublich viel Blödsinn in ihren Köpfen trugen, was den Sinn einer Gesellschaftsordnung angeht und den Platz und die Rolle eines Jeden in ihr. Sie waren richtig gut! Die könnte man heutzutage auch noch verwenden – ob du es glaubst oder nicht! Ja, nachdem ich deine Harzreise damals gelesen hatte, stellte ich fest, dass sich seit deiner Zeit nicht das Geringste geändert hatte. Ringsum sah ich Menschen, die alle Eigenschaften der politkorrekten Spießer besaßen, welche du so unvergesslich liebevoll als Lumpenpack bezeichnet hast. Sie folgten zu meiner Zeit konsequent der Linie der kommunistischen Partei, so wie sie zu deiner Zeit jubelnd das Publikationsverbot deiner eigenen Schriften durch die Bundesversammlung begrüßt hatten. Man konnte kaum jemanden dazu bewegen, den Verstand einzuschalten, um Veränderungen herbeizuführen. Veränderungen erscheinen dem Lumpenpack als äußerst gefährlich – nein, nein, bloß nicht. Ich fragte mich schon oft: Warum kann man so einem autoritären Despoten nicht einfach angewidert ins Gesicht spucken? Tun es mehrere zugleich, besteht eine reale Chance auf Veränderungen – auf Freiheit! Die Antwort, die ich gefunden habe, ist: Der Pöbel beschützt den Tyrannen mit seiner stillschweigenden passiven Gefolgschaft, die keine Veränderungen vorsieht. Man wird zu einem Andersdenkenden, einem Fremden, wenn man das allein durchzieht. Das Andersdenken ist bei diesen Umständen lebensgefährlich und man lässt es schließlich sein. Ist es so ein in den Menschen von Geburt an eingebauter Selbsterhaltungsmechanismus, der einen vor schlimmen Erfahrungen bewahrt? Jetzt mal ehrlich, Harry, ich bewundere Menschen wie dich, die in sich die Kraft finden, gegen die Strömung zu schwimmen und die Saat der Vernunft in den Köpfen der Zeitgenossen zu streuen – auf die Gefahr hin, bei ihnen als verrückt zu gelten und von der Obrigkeit schikaniert zu werden. Das alles habe ich seinerzeit zu meinem Bedauern nicht gemacht, dafür habe ich aber den freiheitlichen Geist der Harzreise in mich aufgesogen wie ein trockener Schwamm das Wasser und habe ihn in mir durch die Jahre getragen bis zum heutigen Tag. Ich frage mich noch heute, wie konnte die kommunistische Zensur es übersehen, dass deine Werke, die ich mir kurz nach dem Kennenlernen der Harzreise in fünf Bänden besorgte, alle Zutaten für die tödliche Mixtur enthielten, die zum Ende der verhassten Diktatur führte. Glück für mich, nicht wahr! … nebenbei erwähnt, dein Kumpel Marx war durch seine Schriften an der Errichtung der despotischen kommunistischen Tyrannei maßgeblich beteiligt. … wirklich. Glaubst du mir nicht? … ach so, du kennst ihn noch gar nicht. Gut. Aber falls du mich jetzt hörst, tu mir bitte einen Gefallen: Wenn du ihn kennenlernst, sag ihm um Himmels willen Bescheid, er soll seine Theorie nicht unter den Vertretern des Viehstandes verbreiten, wie du ihn nennst! Und noch was: Schon zu der Zeit, war es mein sehnlichster Wunsch, auf deine Spuren im Harz zu gehen, aber jenseits des Eisernen Vorhangs schien der Blocksberg so unerreichbar weit, dass ich nicht in meinen wildesten Träumen daran zu denken wagte. Aber auch nach dem Mauerfall sollte es aus irgendeinem unerklärlichen Grund noch dreißig Jahre dauern, bis es so weit war. Oder sollte man vielleicht besser sagen, bis ich so weit war? Reif für etwas, von dem ich im Moment noch nicht die leiseste Ahnung habe.«

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

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Roman von Nikolaus Warkentin
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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.819
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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