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Der Brockenwicht: Seite 74
Ich lachte auf und meine Frau rechtfertigte sich: »Du hast mir nie etwas gesagt! Woher sollte ich denn wissen, dass sie kaputt ist? Du sollst noch dankbar sein, dass ich eine eingepackt habe! Dass ich an alles denke, an was du nicht denkst!« »Mhm«, gab ich spöttisch von mir, »und deswegen hast du an meine Ausgehhose zwar gedacht, aber nicht mitgenommen! Nun kann ich morgen in dieser nassen, dreckigen Wanderhose einen kleinen Stadtbummel machen, nicht wahr? Oder abends ins Restaurant ausgehen!« »Welchen Stadtbummel? Wir sind hier zum Wandern! Also wandere und rede keinen Blödsinn! Du brauchst keine Ausgehhose.« »Ah ja«, nörgelte ich weiter, »es kommt mir bekannt vor!« »Was denn?« »Es muss bei euch in der Familie liegen! Weißt du noch, als wir mit deinen Eltern einen Strandurlaub auf der Krim gemacht hatten …? Was hat deine Mutter zum Schwiegervater gesagt, als sich herausstellte, dass sie für ihn gar keine Hemden mitgenommen hatte, und seine Wäsche hatte sie auch zu Hause liegen lassen?« »Hör jetzt auf damit!«, versetzte meine Frau. »Nee, nee! Ich möchte es mal festhalten! ›Hemden brauchst du sowieso nicht!‹, hat sie gesagt. ›Wir sind den ganzen Tag am Strand!‹ Erinnert dich das nicht an jemanden, der hier anwesend ist?« »Na und?« Sie drehte sich eingeschnappt weg und sah schmollend zurück entlang des Hirtenstiegs, während ich mich dem Studium des Inhaltes der Infotafel widmete und etwas über Peter I. las, den russischen Zaren, der angeblich hier geweilt hatte. »Da kommt jemand«, sagte sie schließlich. Mir wurde mulmig zumute, als ich mich an die drei Zerbolte erinnerte, die ich vorhin am Bahnübergang gesehen hatte. Ich hatte sie erfolgreich verdrängt, aber deswegen waren sie keineswegs verschwunden. Sie holten uns ein. Die Gestalten zeichneten sich immer deutlicher ab im feuchten Dunst aus Regentropfen und Wasserdämpfen, die vom Boden aufstiegen, der Wind hatte sich weitgehend gelegt. Würde sich die Prophezeiung des Brockenwichts erfüllen, dass sie die Grenze des magischen Kreises nicht überschreiten würden, fragte ich mich beunruhigt. Wir standen nämlich genau auf der Kreislinie.
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Nein, dachte ich entsetzt, als die Gruppe näher kam. Eine neue Erkenntnis traf mich wie ein Blitz: Es waren keine drei Zerbolte, sondern nur einer. Allen voran hechelte er sich den Pfad nach oben. Die beiden anderen waren Mephisto und eine nackte Hexe – ihre bloßen Brustwarzen konnte ich von hier deutlich erkennen! Das änderte alles! Sollten wir lieber gleich losrennen und oben ein Versteck suchen? Das hätte nichts gebracht, überlegte ich, der Kreis war für die beiden kein Hindernis. »Da bin ich aber froh, dass wir noch vor dem Sturm hier waren!«, sagte meine Frau fröhlich. »Sonst würden wir aussehen wie die da.« Moment, irgendwas stimmte nicht. Wieso konnte meine Frau die Unterweltler sehen, wo sie nicht einmal etwas von dem Brockenwicht mitbekommen hatte? Das dunkle Reich war ihr vorhin auch verborgen geblieben. Warum nahm sie jetzt die Figuren auf dem Hirtenstieg wahr? Ich strengte meine Augen an, so gut es ohne Brille ging, die ich während des Sturms in der Innentasche meiner Regenjacke versteckt hatte, damit die Gläser nicht bespritzt wurden, und begriff endlich, dass ich mich schon die ganze Zeit geirrt hatte. Es waren gar keine Zerbolte oder Hexen, es war ein bis auf die Knochen durchnässtes Wanderpärchen mit einem riesigen Hund. Das Tier war ohne Übertreibung riesig groß und wenn ich Arthur Conan Doyle gewesen wäre, hätte ich den Hund von Baskerville genau so beschrieben, wie die Dogge von der Größe eines Kalbes aussah, die gerade auf uns zulief. Der Mann war für die aktuellen Wetterverhältnisse denkbar unpassend gekleidet. Es war mir ein Rätsel, was er sich dabei gedacht hatte, als er heute Morgen vor der Brockenbesteigung in seine rote kurze Hose und das helle T-Shirt geschlüpft war, – darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Die nackte Hexe entpuppte sich zum Schluss doch noch als eine bekleidete Frau mittleren Alters. Allerdings war ihr Top, das mit dünnen, kaum sichtbaren Trägern ausgestattet war und ohnehin schon aus tüllartigem luftigen Stoff bestand, in dem Maße nass, dass es völlig mit ihrem Körper verschmolz und deutlich mehr als nur tiefe Einblicke erlaubte. Es entstand der Eindruck, die Frau würde nichts an ihrem Körper haben – Unterwäsche unter dem Oberteil trug die Frau offenbar nicht. »Ein ausgesprochen schönes Wetter heute, nicht wahr?«, konnte ich mich nicht zurückhalten, als das Paar die Kreuzung passierte.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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