Logo Leseecke
OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Der Brockenwicht: Seite 70

Als ich die Augen öffnete, wusste ich noch ganz genau, was passiert war. Ich war mit voller Wucht mit jemandem frontal zusammengestoßen. Noch etwas benommen richtete ich mich auf und sah nach vorne. Mein Unfallgegner lag ebenfalls auf dem Pfad mit angehobenem Oberkörper und sah mich etwas verdattert an. Ich musste ihm auf die Beine helfen, beschloss ich und fing langsam an aufzustehen. Der Mann tat es mir gleich und lächelte dabei verlegen. Was zum Henker …? – Es war das, was ich mich fragte, als ich das gleiche dämliche Grinsen auch in meinem Gesicht entdeckt hatte. Was ging hier vor? Ich stand auf und streckte ihm meine Hand aus, was er nunmehr erwartungsgemäß auch tat, aber ich spürte nicht die Wärme seiner Haut. Stattdessen berührten meine Finger eine kalte glatte Oberfläche. O großer Himmel, es war ein riesiger Spiegel, der sich scheinbar endlos in alle Richtungen hinzog, und mein Gegenüber war nichts anderes als mein eigenes Spiegelbild! Und vorhin, dachte ich den Gedanken zu Ende, vorhin war ich gegen diese Spiegelwand gelaufen! Wie konnte mir so etwas Dummes passieren?

Dennoch, neben der schmerzhaften Beule an meiner Stirn gab es auch eine erfreuliche Erkenntnis: Es sah ganz danach aus, dass ich zu guter Letzt das Ende der dunklen Welt erreicht hatte. Hinter dem Spiegel vermutete ich die Freiheit, denn ich vernahm Geräusche, die nicht zu dem Hexentanzplatz gehörten und nur von außen kommen konnten.

»Tuuut, tutut, tutut, tuuut!«, posaunte das Horn der Schmalspurbahn.

Ich hörte das Zischen der Dampflok, als wäre sie direkt hinter der Spiegelwand an mir vorbeigefahren. Verflucht, es musste hier auch einen Durchgang geben! Ich schlug einige Male wütend mit den Handflächen gegen den Spiegel. Es gelang mir zwar nicht, ihn auch nur einen Millimeter nach hinten zu bewegen, aber ich bemerkte dabei, dass er sich sehr wohl seitlich wie eine Schiebetür wegdrücken ließ. Ich legte meine Hände auf die glatte Oberfläche, stemmte mich mit meinem ganzen Körpergewicht gegen die Riesentür und drückte mit aller Kraft, die ich noch besaß, bis der Spiegel nachgab und sich so weit nach rechts bewegte, dass sich ein kleiner Spalt bildete, der gerade mal so breit war, um durchschlüpfen zu können.

(?)
Leseecke Schließen
Lesezeichen setzen
 
Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
»Jetzt lesen

Erwartungsvoll sah ich hinein und wurde enttäuscht. Statt des langersehnten Lichts der Außenwelt entdeckte ich einen weiteren Spiegel, der mir den Weg versperrte. Das Hexentelefon, das ich immer noch in der Hand hielt, gab einen kurzen Ton von sich. Auf dem Bildschirm erschien eine Nachricht: »Drücken Sie auf ›Betreten‹, wenn Sie vor dem jeweiligen Konferenzraum stehen, um an der entsprechenden Diskussionsrunde teilzunehmen. Die Liste der Themenbereiche finden Sie weiter unten.« Es folgte eine ellenlange Aufstellung von Programmangeboten, die mit einer Option zur Teilnahme versehen waren. Was sollte der verdammte Mist? Ich wollte keine Hexenkonferenzen besuchen, ich wollte nur den Ausgang finden und nicht mit Teufelsbotschaften behelligt werden! Erbost drehte ich mich um und warf das Smartphone schwungvoll in die Dunkelheit. Das Gerät flog in hohem Bogen und landete im Gras abseits der Betonplatten mit klackendem Geräusch. Noch eine Zeit lang stand ich vor Wut brodelnd da und sah mir das Leuchten des Bildschirmes zwischen den Grashalmen an, bis der Energiesparmodus einsetzte und das Display erlosch. Das war erst einmal erledigt!

Ich zwängte mich als Nächstes durch den Spalt und stand abermals vor einer Spiegelwand. Doch damit stimmte etwas nicht, ich sah mich selbst nicht mehr in diesem Spiegel, besser gesagt: Ich sah gar kein Abbild der Umgebung, denn statt der Lagerfeuer, die hinter meinem Rücken brannten und als Spiegelbild zurückgeworfen werden mussten, bot sich meinem Blick etwas ganz anderes. Faust und Mephisto entfernten sich auf der gespiegelten Verlängerung des Betonwabenweges und schritten gemächlich auf einen kleinen See zu, während der listerfüllte Höllenfürst dem ahnungslosen Philosophen sein Reich präsentierte – er sprach zu ihm und deutete mit der Hand bald nach links, bald nach rechts und hin und wieder geradeaus auf den See, um den herum es von unterschiedlichsten Kreaturen nur so wimmelte. Es war nicht irgendein kleiner See, es war ein ganz bestimmter kleiner See. Es war der Baggersee aus meiner Jugendgeschichte, an die ich mich vorhin erinnert hatte. Es war fast eine genaue Kopie der Gegend von damals: Ein schnurgerader Betonplattenweg traf auf einen geheimnisvollen Baggersee mitten in einem dichten Birkenwald und endete dort. Die graue, glänzende Wasseroberfläche wurde von keinem Lüftchen gekräuselt, das Gewässer hatte etwas von einer riesigen, in den Boden versenkten Schüssel gefüllt mit geschmolzenem Stahl, der inzwischen abgekühlt war und eine feste spiegelglatte Kruste gebildet hatte. Möglicherweise lag meine Annahme auch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, denn die beiden liefen seelenruhig über den erstarrten, silbrig schimmernden See, stellten sich in die Mitte und Mephistopheles machte Anstalten, eine Rede vor seiner Anhängerschaft zu halten. Das Höllengesindel auf den Hängen jubelte wie die alten Römer in der Arena beim Anblick ihres Imperators. Ich hatte den Eindruck, dass der Doktor nun sein langersehntes Ziel vor Augen hatte – den Quell des Bösen.

| Seite 70 von 130 |

Günstige Downloads für Ihr Gerät

Der Brockenwicht
PDF
Titel: Der Brockenwicht
PDF Dokument: Format A5, 298 Seiten, Dateigröße 4.178 KB, Ausgeführte Dowloads 0, PDF-Reader zum Lesen erforderlich! Auch zum Lesen im Ebook-Reader geeignet
5,99 € N/A
Der Brockenwicht
EPUB
Titel: Der Brockenwicht
E-Book im ePub-Format: Anzahl Seiten deviceabhängig, Dateigröße 650 KB, deviceübergreifend optimiert, Ausgeführte Dowloads 0, e-Book Reader zum Lesen erforderlich!
5,99 € »Epubli Verlag
Der Brockenwicht Titel: Der Brockenwicht
Jetzt eine Printausgabe bestellen! Sie werden gleich auf die Seite des Verlages weitergeleitet, wo Sie Ihr Exemplar bequem erwerben können.
14,99 € »Epubli Verlag

Diese Seite weiterempfehlen

»Link an Freunde senden
Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.844
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

Ihre Spende ist willkommen!

Wir stellen Ihnen gerne alle Inhalte unserer Webseite kostenlos zur Verfügung. Sie können die Werke auch in der E-Book-Version jederzeit herunterladen und auf Ihren Geräten speichern. Gefallen Ihnen die Beiträge? Sie können sie alle auch weiterhin ohne Einschränkungen lesen, aber wir hätten auch nicht das Geringste dagegen, wenn Sie sich bei den Autoren und Autorinnen mit einer kleinen Zuwendung bedanken möchten. Rufen Sie ein Werk des Autors auf, an den Sie die Zuwendung senden wollen, damit Ihre Großzügigkeit ihm zugutekommt.
Tragen Sie einfach den gewünschten Betrag ein und drücken Sie auf "jetzt spenden". Sie werden anschließend auf die Seite von PayPal weitergeleitet, wo Sie das Geld an uns senden können. Vielen herzlichen Dank!

Diese Seite weiterempfehlen

»Link an Freunde senden
Kreisende Punkte
Leseecke Schließen