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OPEN DIGITAL LITERATURE PROJECT
Der Brockenwicht: Seite 61

»Ach so. Na ja, das werden wir wahrscheinlich überleben.«

Da war ich mir nicht so sicher, als ich wieder an die Bestien denken musste, und bekräftigte noch einmal meine Auffassung zu dem Thema, denn eine Erkenntnis mehr als der Brockenwicht hatte ich gewonnen: Die Betonplatten hatten eine rätselhafte Schutzfunktion.

»Schön auf dem Hirtenstieg bleiben. Der Wald ist dort um einiges dichter als hier, nicht dass Sie sich verlaufen!«

Alle saßen wortkarg am knisternden Lagerfeuer, sahen fasziniert auf die rote Glut und warteten darauf, dass die improvisierten Fackeln genug Feuer fingen, um als Lichtquelle bei der bevorstehenden Nachtwanderung zu dienen. Ich dachte immer noch darüber nach, woher ich den sportlich aussehenden Wanderer kannte, und fand endlich das fehlende Glied der Erinnerungskette in meinem Bewusstsein. Es hätte Sascha Balachnitschev sein können aus meiner Zeit als Schullehrer. Sein Gesicht war schon fast verblasst in meinem Gedächtnis, aber er war es meiner Meinung nach. Wenn ich mir ihn von der Seite im flackernden Schein der Flammen anschaute, tauchte vor meinen Augen ein Bild auf, wo ich klar und deutlich einen jungen untersetzten Mann neben einem großen blauen Zelt auf einer Wiese an einem kleinen Fluss stehen sah, gekleidet in eine sportliche Wind- und Regenjacke, neben ihm mich selbst in jungen Jahren mit einer Gitarre in der Hand und eine Frau, die damit beschäftigt war, etwas über einem Lagerfeuer zu kochen.

 

Eigentlich hatte ich ihn kaum gekannt. Er zählte weder zu meinem engen Freundeskreis noch zum Lehrerkollegium der Schule, noch kam er auf irgendeine andere Art und Weise mit mir in Berührung als die, dass wir uns regelmäßig bei zahlreichen sportlichen Wettkämpfen begegneten, die die örtliche Bildungsbehörde zwischen den Schulbelegschaften des Stadtbezirks veranstaltete. Bald war es ein Volleyballturnier, bald ein Schützenwettbewerb und manchmal eine Tischtennismeisterschaft. Sascha, oder Sanja, wie ihn alle kumpelhaft nannten, war Sportlehrer in einer der Schulen und beteiligte sich aktiv an solchen Veranstaltungen. Diesmal war es ein zweitägiger Ausflug in ein Zeltlager, wo der beste Wanderverein der Stadt im Rahmen des Wettbewerbs des Touristikverbandes ermittelt werden sollte. Der Platz für das Zeltlager auf einer malerischen grünen Wiese am Flussufer war sehr glücklich gewählt worden, es gab absolut nichts zum Meckern, als wir zu Dritt schon am Freitagabend an Ort und Stelle waren, schade war nur, dass die Veranstaltung schon am Vormittag wetterbedingt abgesagt worden war und wir wie drei Idioten mit unseren Zelten, Rucksäcken und Ausrüstung mitten auf der menschenleeren Wiese standen. Wir wussten es nicht, denn wir waren den ganzen Tag mit den letzten Vorbereitungen für die zweitägige Tour beschäftigt gewesen. Wir konnten jetzt am späten Abend auch nicht einfach wieder nach Hause, denn wir waren von jemandem mit dem Auto hergebracht worden, der jetzt weg war und erst am Sonntag wiederkommen würde, um uns abzuholen. So mussten wir wohl oder übel die zwei Tage im Zelt bei strömendem Regen verbringen. Aber wir waren nicht traurig. Eine kleine Auswahl an geistigen Getränken sorgte für heitere Stimmung und innere Wärme, in den Regenpausen kochte die jüngere Kollegin ein leckeres Süppchen über dem Feuer und wir saßen nach dem Essen noch länger leicht angetrunken in unserer kleinen Runde und sangen lustige Lieder, die ich auf der Gitarre vorspielte. Sanja übte sich mit krächzender Stimme als Nachahmer von Paul McCartney, wobei er bei Englisch keine Ahnung vom Tuten und Blasen hatte, und die junge Dame, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnerte, amüsierte sich über seine musikalischen Fähigkeiten, mit welchen ihn die Natur nur sehr spärlich ausgestattet hatte. Es störte uns auch recht wenig, dass unsere Vorräte an Zaubertrank rasch zur Neige gingen, am nächsten Tag unternahmen wir mit Sanja eine Schlammwanderung in den nächstgelegenen Ort, wo wir im örtlichen Laden für Nachschub sorgten. Schade nur, dass unsere heldenhafte Wanderleistung nicht mehr von der Jury gewertet werden konnte, sonst wären wir womöglich noch Sieger der Wandermeisterschaft geworden!

 

Dieser Ausflug konnte auch das letzte Mal gewesen sein, dass ich diesen Menschen gesehen hatte, denn bald darauf hatte ich meine Laufbahn als Schullehrer beendet und mich anderen Dingen zugewandt. Es war unglaublich lange her, aber das Bild in meinem Kopf hatte die Zeit überdauert, ich hatte ihn wiedererkannt. Er war im gleichen Alter und sah auch genauso aus wie damals. Wie konnte es sein? Und er sprach Deutsch! Davon hatte er unter Garantie nicht die geringste Ahnung gehabt! Es war alles sehr seltsam auf diesem Berg. Warum sah ich all diese Leute? Wer oder was hatte sie ausgerechnet heute hierher zu diesem Lagerfeuer geführt? Ich kannte sie entweder nur flüchtig oder hatte sie zuletzt vor Jahrzehnten gesehen und schon fast vergessen. Warum ausgerechnet sie? Dass hier alles nicht mit rechten Dingen zuging, war mir durchaus bewusst, dennoch fragte ich mich: Was war es für ein Spiel, das der Berg mit mir spielte?

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Roman von Nikolaus Warkentin
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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.844
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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