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Der Brockenwicht: Seite 60

Ich hätte nie erwartet, dass ich dieser Frau aus Dresden noch einmal in meinem Leben begegnen würde, vor allem nicht am Lagerfeuer auf dem Blocksberg im Harz. Sie hatte sich zwar äußerlich in den vier Jahren etwas verändert – ihre Frisur und ihre Kleidung, jedenfalls gehörten die Schlabberhose und das abgetragene T-Shirt nicht mehr zu ihrer Garderobe –, aber sie musste es sein, es passte einfach alles: ihre Stimme, ihre Art aufzutreten und nicht zuletzt ihr Lebensgefährte Markus, der seinen Schlaganfall offenbar überstanden hatte, sodass er sich sogar, alle Achtung, zu einer Brockenwanderung entschlossen hatte. Ach ja, die Flüchtlinge bereiteten ihr nach wie vor sehr große Sorgen. Davon musste es ja in Dresden mittlerweile nur so wimmeln, wenn sich die arme Frau auch noch auf dem Hexenberg über sie ärgerte. Was dagegen nicht ganz passte, war die Tatsache, dass sie mich nicht erkannt hatte. Es war noch nicht so lange her, dass sie mich in der Straßenbahn zu bezirzen versucht hatte. Sie musste sich noch an mich erinnern, so sehr hatte ich mich seitdem nicht verändert. Vielleicht tat sie aber nur so, um ihrem Markus nicht die Annäherungsversuche während seiner Zeit im Krankenhaus erklären zu müssen. Wer wusste es schon, was die Frau im Sinne hatte?

Das feuchte Holz brannte endlich halbwegs und strahlte etwas Wärme aus, die Sicht war dagegen gleich null. Das zuckende Licht des Feuers konnte die Nebelwand, die unmittelbar hinter der Runde anfing, nicht durchdringen und wurde von den feinen Wassertröpfchen zurückgeworfen. Der Nebel hatte eine seltsame Konsistenz. Es war mehr eine Flüssigkeit als Dunstschwaden. Hinter den Rücken der Anwesenden bildeten sich immer wieder merkwürdige Muster in der milchigen Masse, die mal als schlangenartige Wesen aussahen und mal an verzerrte Gesichter erinnerten.

»Da könnten Sie recht haben, mit dem Lichtstreifen am Horizont im Norden«, pflichtete der Griesgrämige der jungen Frau bei. »Den Eindruck hatte ich vorhin auch.«

»Siehst du, Markus!«, versuchte sie ihren Freund von ihrem Vorhaben zu überzeugen, weiter nach unten zu wandern.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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»Und wie soll ich denn in der Dunkelheit mit meinem Bein …?«, wollte er gerade zu bedenken geben, als sie ihn unterbrach.

»Wir könnten ja einen Stock anzünden und als Fackel benutzen!«, ließ sie ihren erfinderischen Geist spielen.

»Das ist eine Idee!«, freute sich der Griesgrämige. »Dann bin ich auch mit von der Partie. Aber wir nehmen nicht nur einen Stock, sondern gleich vier – einen für jeden. Was meinen Sie?« Er wandte sich an den Profiwanderer.

»Die Fackeln halten vermutlich nicht lange durch, aber man könnte es versuchen«, antwortete er. »Irgendwie müssen wir doch raus aus diesem Schlamassel!«

Ich sah mir auch diesen Mann etwas genauer an, während er sich mit der Suche nach geeigneten Zweigen im Holzhaufen beschäftigte. Auch bei ihm hatte ich ein unerklärliches Gefühl, ihn schon mal in meinem Leben gesehen zu haben. Aber ich wusste nicht mehr, wo.

»Was ist mit Ihnen?«, wollte der Sportler von mir wissen. »Möchten Sie auch mit einer Fackel zurückwandern?«

»Eher nicht«, entgegnete ich. »Ich muss nach oben. Ich muss endlich meine Frau einholen. Und mein Handy ist noch voll. Da brauche ich keine Fackel, glaube ich.«

»Wie sie wollen«, gab er zurück und schob die Enden von vier dickeren Ästen in die Glut.

»Womit müssen wir denn weiter unten rechnen?«, fragte mich Markus. »Ist es sehr steil?«

»Ziemlich«, gab ich zur Antwort, »aber Sie gehen ja nach unten. Da muss man sich nicht so anstrengen.«

»Schon, aber ich mit meiner Behinderung … Andererseits ist es ja nichts, was ich nicht schon wusste, nur dass man nichts sehen kann!«

»Ja, bleiben Sie um Gottes willen auf dem Weg. Dann kann Ihnen auch nichts passieren.«

Ich glaubte, ich hörte mich jetzt so an wie mein Brockenwicht, als er mir die letzten Anweisungen für den Betonwabenweg gegeben hatte. Ich konnte den Leuten aber nicht noch den Rest davon erzählen, das über Hexen und Zerbolte. Es war alles verrückt und ich zweifelte selbst schon daran, das alles gesehen zu haben.

»Was soll denn da passieren?«, fragte der Mann beunruhigt.

»Na ja«, meinte ich ausweichend, »mir sind auch ein paar merkwürdige Dinge passiert. Wie Ihnen allen auch. Ich hatte auch das Gefühl, dass etwas mein Gesicht in der Dunkelheit berührt.«

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.844
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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