|
Der Brockenwicht: Seite 58
Die Straßenbahn rollte unbekümmert weiter, als wir nach einer Weile an einer Haltestelle ausgestiegen und zum Wartehäuschen an dem Gleis übergegangen waren, das in die entgegengesetzte Richtung zurück in das Stadtzentrum führte. An der Haltestelle drängten sich viele Leute und die Straßenbahn, die in Kürze kam, wurde ziemlich voll, sodass anfangs an einen Sitzplatz kaum zu denken war. Erst nachdem die Waggons näher zur Stadtmitte etwas leerer geworden waren, konnte ich auf der hintersten Sitzbank Platz nehmen, Geli hatte sich schon davor einer Sitzgelegenheit erfreuen können, als in der Reihe vor mir ein Platz frei geworden war. Neben mir saß ein blondes Fräulein in einem ausgewaschenen T-Shirt und einer sehr unattraktiv wirkenden, beschlabberten Jogginghose. Die Frau war noch blutjung, höchstens zwanzig Jahre alt. Von einem Mädchen in ihrem Alter, hätte ich vielleicht eine andere Art von Bekleidung erwartet, aber sie war, wie sie war, und es hatte mich auch keiner nach meiner Meinung gefragt. »Nu, jetz machen se och noch de Straße unsicher«, bemerkte sie sarkastisch und sah interessiert aus dem Fenster, während die Straßenbahn langsamer wurde und alsbald zum Stillstand kam. »Bald traut man sich och am Tage gar ni mehr ausn Haus.« Auf der Gegenfahrbahn hatte sich offensichtlich ein Verkehrsunfall ereignet – nur mit Blechschäden, wie es aussah. Zwei ältere Wagen standen quer zueinander und versperrten die Straße, einige Glasscherben lagen auf dem Boden. An einem der Autos stand eine Gruppe von arabisch aussehenden jungen Männern, die sichtlich etwas damit überfordert waren, was ihnen der spießig aussehende Besitzer des anderen Wagens energisch zu vermitteln versuchte unter Verwendung von kräftigen sächsischen Ausdrücken. Er bekam die volle Unterstützung einer Reihe von Schaulustigen, die um die Unfallbeteiligten einen Halbkreis gebildet hatten. »Die Flüchtlinge dürfen alles!«, beschwerte sich die junge Frau. »Auto fahren ohne Führerschein, kostenlos in neue Wohnungen einziehen. Und die Deutschen dürfen alles für sie bezahlen und haben selbst kein Geld für die Miete oder für ein Auto!«
(?)
Ich merkte, dass ihre Worte offenbar für mich bestimmt waren, denn sie drehte sich zu mir um und sah mich mit fragenden Augen an in Erwartung einer bestätigenden Äußerung. »Woher wissen Sie, dass es Flüchtlinge sind?«, fragte ich stattdessen. »Wer soll denn das sonst sein? Aus allen Stadtteilen kommen Meldungen, dass es unerträglich geworden ist. Sie plündern Geschäfte und überfallen Passanten! Abends geht man lieber nicht auf die Straße. Menschen sind schon dabei, Bürgerwehren zu gründen, um sie von ihren Häusern fernzuhalten.« »Welche Meldungen?«, wollte ich es genauer wissen. »Mir hamm uns uff Facebook zu eener Gruppe zusammngeschlossen, da sin verschiedne Leute und alle berichten das Gleiche«, antwortete sie stolz. O ja, es gab keinen Zweifel, da saß eine leibhaftige Anhängerin der fragwürdigen Alternativen für Deutschland, die der gleichnamige populistische Verein von nationalistisch geprägten Figuren dem leichtgläubigen Publikum suggerierte. Es war das Jahr der Wahl zum Deutschen Bundestag und obwohl im Fernsehen zahlreiche Debatten hinsichtlich der »neuen« politischen Kraft geführt wurden, hatte ich bis jetzt noch mit keinem Unterstützer auf Tuchfühlung in einer Straßenbahn gesessen und mir die Eckpunkte des Wahlprogramms anhören müssen, das im Einzelnen all das zum Ziel hatte, was man in einem kurzen Satz hätte zusammenfassen können: Ausländer raus! Mehr noch, ich war bis heute nie einem Menschen persönlich begegnet, der mir gegenüber offen zugegeben hätte, dieser Organisation zugetan zu sein. Es existierte offenbar noch eine Hemmschwelle, an der sich ein anständiger Mensch fragte: »Will ich es wirklich, dass nach den Muslimen im zweiten Schritt wieder die Juden diejenigen sind, die die arische Rasse bedrohen?« Dennoch, die Saat begann zu keimen, die xenophobe Clique erfuhr einen regen Zulauf. Um es mit eigenen Augen zu sehen, musste man nur nach Dresden reisen, dort konnte man es schon in der Straßenbahn erleben, in Echtzeit. Warum ausgerechnet dort, in Ostdeutschland?
|
Diese Seite weiterempfehlen»Link an Freunde senden
KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
Zahlen & Daten zum Werk
![]() Ihre Spende ist willkommen!Wir stellen Ihnen gerne alle Inhalte unserer Webseite kostenlos zur Verfügung. Sie können die Werke auch in der E-Book-Version jederzeit herunterladen und auf Ihren Geräten speichern. Gefallen Ihnen die Beiträge? Sie können sie alle auch weiterhin ohne Einschränkungen lesen, aber wir hätten auch nicht das Geringste dagegen, wenn Sie sich bei den Autoren und Autorinnen mit einer kleinen Zuwendung bedanken möchten. Rufen Sie ein Werk des Autors auf, an den Sie die Zuwendung senden wollen, damit Ihre Großzügigkeit ihm zugutekommt.Tragen Sie einfach den gewünschten Betrag ein und drücken Sie auf "jetzt spenden". Sie werden anschließend auf die Seite von PayPal weitergeleitet, wo Sie das Geld an uns senden können. Vielen herzlichen Dank! Diese Seite weiterempfehlen»Link an Freunde senden |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||



