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Der Brockenwicht: Seite 40

Sie sah mich mit einem unwissenden Blick an. Meine Frau hatte keine Ahnung, die Harzreise hatte sie nie in ihrem Leben gelesen.

»Sollen wir?« Ich deutete auf den Betonwabenweg, der in steilem Winkel in den Wald führte. »Sollen wir uns ins Verderben stürzen?«

»Was redest du für 'n Blödsinn? Welches Verderben?«

»Ach, nur so. Ist wirklich Blödsinn. Dann komm, wandern wir ein bisschen.«

Wir brachen auf und schon nach fünf Minuten musste ich meine Frau um den zweiten Wanderstock bitten. Mit zwei Stützen ging es zwar wesentlich leichter, aber schon sehr bald war ich gezwungen anzuhalten. Ich atmete geräuschvoll.

»Geh schon vor«, sagte ich zu Geli, »ich muss jetzt kürzer treten, wenn ich heute noch das Brockenhaus sehen will!«

Sie ging weiter, ohne ein Wort zu sagen, und löste sich in Kürze auf im dämmrigen Licht, während ich noch Kräfte für den nächsten Abschnitt sammelte. Darauf, dass die Wanderung eine solche Wendung nehmen würde, war ich vorbereitet und beschloss, keine Dummheiten zu machen und nicht den Helden zu spielen, sondern mich in kleineren Etappen nach oben zu kämpfen. Ausruhen, weiter wandern, solange einen die Beine trugen, und wieder anhalten, um den Atem zu beruhigen, – so lautete meine Strategie. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, waren die aktuellen Sichtverhältnisse. Obwohl der dichte Wald bald zur Seite gewichen war und der Plattenweg unter freiem Himmel verlief, wurde es keineswegs heller. Im Gegenteil: Es dunkelte zusehends. Bald konnte ich kaum noch die Umrisse der Tannen zu beidem Seiten des Weges erkennen. Es wurde Nacht, obwohl ich mir sicher war, dass die Sonne noch hoch im Himmel stand. Was um Gottes willen …?

»Lebst du noch?«, hörte ich auf einmal Gelis entfernte Stimme von oben. »Geht's dir gut …?«

(?)
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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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Sie schrie mir noch etwas zu, was ich nicht verstehen konnte. Kein Wunder, sie befand sich in einiger Entfernung hinter einer Kurve und zwischen uns lag ein Waldstück. Ich rief so laut ich konnte zur Antwort, dass es mir gutging, und stockte mitten im Satz, verblüfft über meine plötzlich aufgetretenen hellseherischen Fähigkeiten. Wie konnte ich in der Dunkelheit erkennen, dass sie sich hinter einer Kurve befand? Und woher wusste ich, dass zwischen uns ein Waldstück lag? Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich den Verlauf des Betonwabenweges klar und deutlich vor mir sehen konnte, trotz des fehlenden Tageslichts. Von den Betonplatten ging ein phosphoreszierendes grünliches Leuchten aus, wie ich es schon im Hexenwald bei den Tannen beobachtet hatte. Der Weg schien im Raum zu schweben wie ein Kometenschweif vor dem schwarzen Hintergrund des Weltalls und er bog tatsächlich vorn nach rechts ab und verschwand hinter einem dunklen Fleck. Es musste das sein, was ich unbewusst für ein Waldstück gehalten hatte. Mir wurde es immer unheimlicher. Auch wenn ich keine höllenabkömmlichen Kreaturen in meiner Nähe wahrnahm, konnte es hier nicht mit rechten Dingen zugehen. Es deutete wieder alles auf eine Brockenhexerei hin. Ich wunderte mich nur, dass Angelinas Stimme vorhin keineswegs beunruhigt geklungen hatte wegen der ungewöhnlichen Umstände. Dem Tonfall nach hätte sie sich höchstens Sorgen um meinen körperlichen Zustand machen können, aber es hatte keine Anzeichen dafür gegeben, dass sie Panik beim Anblick des gespenstischen, von selbst leuchtenden Pfades bekommen hatte. War es möglicherweise ein Trugbild? Ich versuchte, Ruhe zu bewahren, denn ich erinnerte mich an die Worte meines Brockenwichts: »Nichts ist so, wie es scheint.«

Die Tatsache, dass der Weg nunmehr auf eine mysteriöse Weise beleuchtet war, machte ihn kein bisschen flacher. Ich kämpfte hartnäckig mit den Höhenmetern, die Pausen wurden immer länger und ich musste sie immer öfter einlegen, denn schon nach dreißig Metern bekam ich wieder keine Luft. Die viereckigen Hohlräume in den Betonplatten waren äußerst lästig, man blieb hier und da mit dem Fuß in einem Loch stecken und musste aufpassen, dass man mit dem Wanderstock beim Abstützen nicht eine Wabezelle traf und mit aller Wucht eine nähere Bekanntschaft mit den Platten machte. Dennoch ging meine Rechnung auf: Ich kam voran! Meine Strategie war richtig.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.825
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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