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Der Brockenwicht: Seite 39

»Kumpel, können wir bei dir einen Eimer Wasser haben?«, fragte er ohne Umschweife, als er im Garten einen Schöpfbrunnen sah.

Der Mann hob seine trüben Augen und sah uns finster hinter dem brusthohen Zaun an. Dann klärte sich auf einmal sein Blick, er nickte bereitwillig, hob einen vollen Eimer aus dem Brunnen und reichte uns ihn über die Staketen. Alsdann begab er sich mit unsicheren Schritten zum Haus und teilte temperamentvoll seiner Frau in einfachen Ausdrücken alles mit, was er von ihr und von seinem Hundeleben hielt, während wir zusahen, dass unsere Feldflaschen endlich voll wurden und wir hier so schnell wie möglich verschwanden, ohne den zweiten Akt des Dramas abzuwarten.

Wir kamen nicht dazu, jemanden nach dem Weg zu fragen, aber wenigstens hatten wir jetzt wieder einen Vorrat an Wasser und schritten munter auf der Straße, die uns aus dem Dorf hinausgeführt hatte, – wohin, wusste keiner so genau, es schien im Augenblick auch nicht von Bedeutung zu sein. Hauptsache, weg von dem schrecklichen Wald mit dem Betonplattenweg. Doch das Schicksal ging seine eigenen Wege und zeigte uns eine Stunde später mit aller Deutlichkeit, dass es keinen Sinn machte, sich ihm zu widersetzen. Alle fühlten sich sehr klein und hilflos, als wir abermals ratlos auf den Betonplatten standen und in die endlose Weite schauten, in der sich die geheimnisvolle Straße auflöste. Gedanken über Vorsehung und Unausweichlichkeit mussten sich in jedem Kopf breitgemacht haben, denn es protestierte keiner mehr, als ich auf meinen Vorschlag zurückkam, auf den Betonplatten weiterzuwandern. Der Weg endete nach einigen Kilometern an einem kleinen Baggersee mitten in der Wildnis. Offensichtlich war aber, dass das Wasser in der Grube nicht ihr eigentliches Ziel war, es hatte sich nur dort mit der Zeit angesammelt. Ohne jeden Zweifel handelte es sich um ein militärisches Objekt, das hier hatte entstehen sollen. Man sah es dem See an, dass sich unter der Oberfläche ungeahnte Tiefen verbargen. Was auch immer die Generäle hier hatten bauen wollen, geheimnisvoller konnte die Ausstrahlung des Sees im Wald kaum noch werden.

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Das Geheimnis des vernebelten Passes

Das Geheimnis des vernebelten Passes

Reiseroman von Nikolaus Warkentin
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Der Tag neigte sich dem Abend zu, wir waren hundemüde und suchten uns einen Platz für unser Lager, gut versteckt im Wald nicht weit vom Baggersee. Dem Schicksal konnte man nicht entfliehen, aus irgendeinem Grund hatte es uns hierher geführt, also mussten wir auch hier bleiben. Wir verbrachten ganze drei Tage in dieser unwirklichen Gegend, die von Menschen konsequent gemieden wurde, ehe wir am vierten Tag einen Ausbruch wagten. Etwa dreißig Kilometer Richtung Westen musste eine geteerte Fernstraße verlaufen, die von der Stadt aus nach Norden führte. Das war unser Ziel – sie würde uns sicher nach Hause führen. Die Flucht gelang. Es war sonnig, das Tagesgestirn zeigte uns die Richtung und nichts konnte uns vom Kurs abbringen. Wir wanderten pausenlos in westlicher Richtung, ohne uns auch nur ein einziges Mal umzudrehen, bis wir am späten Nachmittag die Fernstraße erreicht hatten! Der Horrortrip hatte sein Ende.

 

Die fast vergessene Geschichte weckte in mir das bis dahin schlummernde Gefühl nahender Gefahr. Diese Gefahr ging eindeutig von dem Betonwabenweg aus, damals wie heute. Etwas Unheilvolles hatte er an sich, die Tatsache konnte man nicht leugnen.

Der Himmel hatte sich in der Zwischenzeit noch mehr verdunkelt. Pechschwarze Wolkenschwaden zogen über uns hinweg. Es sah nach Regen aus, aber es blieb trocken, nur die Gegend versank immer mehr in einem grauen Zwielicht. Die Betonplatten des Hirtenstiegs verschmolzen mit der Dunkelheit des Waldes und waren kaum noch auszumachen, wenn man versuchte, zwischen den schemenhaften Schatten der Baumstämme das zu erkennen, was einen gleich erwartete. Es wurde gruselig. Der aus der Harzreise zitierte Abschnitt auf der Infotafel passte zu der gespenstisch anmutenden Umgebung wie der Wein zum Fest: »Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein Tor bildend, übereinander, und oben darauf stehen die Bäume, die nackten Wurzeln über jene Steinpforte hinziehend und erst am Fuße derselben den Boden erfassend, sodass sie in der freien Luft zu wachsen scheinen.« Hatte ich so etwas heute nicht schon einmal erlebt? Gewiss. Vor gar nicht so langer Zeit! Im Hexenwald, als die Bäume nach mir mit den Wurzeln gegriffen hatten. Erwartete mich die gleiche Tortur erneut oder warum war das Zitat an dieser Stelle angebracht? Zumindest wusste ich dank dem kleinen Wicht, wie ich mich dagegen wehren konnte.

»Noch zwei Kilometer!«, sagte Geli, die sich gerade die Wegweiser ansah.

»Genau das macht mir Angst«, brachte ich meine Zweifel zum Ausdruck. »Gleich geht's los, glaub mir. Harry Heine hat seinerzeit auch geschrieben, dass es ein äußerst erschöpfender Weg war, als er die obere Hälfte des Brockens bestieg. Mal sehen ob wir uns auch noch so freuen können wie er, wenn wir endlich das ›langersehnte Brockenhaus zu Gesicht bekommen‹.«

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.825
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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