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Der Brockenwicht: Seite 38

»Und wohin jetzt?«, fragte Alexander, der als Erster eine Gabelung erreicht hatte und ratlos an dem Scheideweg stand.

»Frag nicht so dumm!«, pöbelte ihn Wasilij an. »Nimm doch den mehr befahrenen Abzweig.«

Tatsächlich, der Weg, der die Richtung der Feldstraße beibehielt, auf der wir bis jetzt gewandert waren, wies Stellen auf, an denen die Wiese den Lebensraum zumindest teilweise schon zurückerobert hatte und die Spuren kaum noch sichtbar in der Ferne verliefen, wohingegen nach halblinks ein Weg abzweigte, der den Eindruck erweckte, dass dort öfter mal ein Auto unterwegs war. Die Spurrillen waren deutlich zu erkennen und führten im weiteren Verlauf in eine Waldung hinein.

»Seid ihr sicher?«, zweifelte Sergej noch zum letzten Mal die Entscheidung an, nach links zu wandern, als wir schon den Waldrand erreicht hatten, aber auf ihn wollte keiner mehr hören.

Er sollte mit seinen Zweifeln recht behalten. Die Waldstraße riss nach einer Stunde ohne Vorwarnung ab und wir standen sprachlos mitten auf einer Lichtung und wussten nicht weiter. Hinter den Bäumen am anderen Ende der von Menschenhand geschaffenen Waldschneise endeckten wir einige Befestigungsanlagen aus den Baumstämmen, die früher vermutlich den gefällten Bäumen von der Lichtung gehörten. Schützengräben verliefen quer durch den Wald und zwischen den Birken waren stellenweise Stacheldrahtabsperrungen gezogen. Es war gespenstisch still, nur der langsam einsetzende Regen raschelte leise in den Baumkronen.

»Bloß weg hier«, flüsterte Sergej. »Ich habe gestern schon gesagt, wir werden hier noch alle erschossen!«

Dazu wollte es keiner kommen lassen und wir suchten das Weite. Bald schüttete es wie aus Kübeln. Unter einem großen Baum, der uns Schutz vor dem prasselnden Regen bot, hüllten sich alle in Schweigen, aber die Gedanken, mit denen sich jeder einzelne beschäftigte, standen ihm auf der Stirn geschrieben: Wo waren wir hier gelandet? Was sollten diese militärischen Anlagen im Wald? Was waren es für mysteriöse Betonplatten? Und wie durch die Fragen heraufbeschworen ließ der Betonplattenweg nicht lange auf sich warten! Noch keine halbe Stunde kämpften wir uns durch den unwegsamen Wald, nachdem der Regen aufgehört hatte, als plötzlich wieder die unheimliche Militärstraße unseren Weg kreuzte.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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»Sind wir seit gestern im Kreis gewandert?«, wunderte sich Lembit.

»Das kann nicht sein«, entgegnete ich. »Wir müssen mindestens zwanzig Kilometer von der Stelle weg sein.«

»Bloß weg hier!«, sagte diesmal schon Wasilij. »Wann hört der ganze Mist endlich auf?«

»Oder sollen wir vielleicht diese Straße entlanglaufen, wo sie sich schon so anbietet!«, scherzte ich zur Antwort.

Obgleich mich alle etwas merkwürdig ansahen, schien mir mein Vorschlag gar nicht so abwegig. Anstatt orientierungslos durch den Wald zu irren, hätte man doch ein paar Kilometer auf den Betonplatten marschieren können, um zumindest ins offene Gelände zu gelangen und etwas Ähnliches wie einen Horizont zu Gesicht zu bekommen, sonst hätten wir uns hier wirklich noch tagelang im Kreis drehen können.

Ich wurde überstimmt. »Bist du verrückt?«, fasste Wasja die vorherrschende Meinung in Worte. »Willst du dann drei Tage im Bau sitzen und jemandem beweisen, dass du kein Spion bist?«

Den ganzen Nachmittag wanderten wir vermutlich im Zickzack durch den unheilvollen Wald, denn hin und wieder stießen wir auf Spuren militärischer Aktivitäten und änderten wie von einer Tarantel gestochen den Kurs. Die Sonne ließ sich nicht blicken, man konnte danach nicht die Wanderrichtung bestimmen und sonstige Orientierungsmethoden, die mir bekannt waren, wie zum Beispiel die, dass die Baumstämme nach Norden zu mehr bemoost waren, hatten sich als nicht praktikabel erwiesen – die Birken in diesem Wald hatten gar kein Moos angesetzt. Das Wasser war uns schon vor zwei Stunden ausgegangen und alle waren so erschöpft, dass wir uns kaum noch bewegen konnten, als der Wald sich lichtete und wir bald an seinem Rand standen. Vor uns lag ein kleines Dorf.

Die einzige Straße war menschenleer. In einem der wenigen, baufälligen Holzhäuser stritt sich lautstark ein Ehepaar. Die Frau kreischte aus dem Haus mit schriller Stimme und bemängelte bei dem Mann die fehlende Bereitschaft, ihr bei den Haushaltsarbeiten behilflich zu sein, während der Letztere sich im Garten im Gießen der Gemüsebeete aus einem Eimer übte. Der Mann hatte sichtlich etwas Schlagseite, was vermutlich auch der Grund für die Auseinandersetzung war, und schrie gelegentlich ein paar rechtfertigende Worte zurück, womit er den Streit jedes Mal aufs Neue entfachte. Der Augenblick, in dem aus dem Haus Porzellangeschirr in seine Richtung geflogen wäre, schien nicht mehr weit entfernt zu liegen und Wasilij griff in das Geschehen ein.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.825
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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