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Der Brockenwicht: Seite 30
»Ja, das stimmt. Aber ich habe sie auch schon früher gesehen, in der Steintürmchenstadt, weißt du, … wo jemand die Steine …« »Hast du die Schattenzwerge schon dort gesehen?«, wunderte er sich. »Das muss ich meinem Chef melden. Wir müssen Maßnahmen ergreifen.« »Was machen diese Zwerge eigentlich mit den Menschen?« Er zuckte mit den Schultern. »Man nimmt an, dass sich die Opfer nach dem Überfall auch in Schattenzwerge verwandeln, deswegen vermehren sie sich wie verrückt. Das weiß ich aber nicht so genau. Sie brauchen immer was zum Fressen und wenn es nicht genug Wanderer gibt, machen sie sich über die Bäume her. Ob sie die Tannen einfach annagen und aussaugen, keine Ahnung, aber die Bäume gehen ein und fallen um.« »Willst du sagen, mein Brockenwicht, dass die Wälder hier von den …« »Nein. Dieser Wald nicht.« Er zeigte auf die dürren Bäume, die die Straße säumten. »Aber der eine Wald, den du gesehen hast, schon!« »Unglaublich«, drückte ich nur noch aus mir heraus, als ich mir vorgestellt hatte, was passiert gewesen wäre, wenn ich mich in der Pyramidenstadt noch länger mit den unerklärlichen Phänomenen beschäftigt hätte. »Da kannst du sehen, was die vielen Besucher auf dem Berg anrichten«, sprach er belehrend weiter. »Die Hexen kriegen keine Ruhe, treiben ihr Unwesen und alle müssen den Furien weichen, gar die Bösen, um ihnen nicht in die Quere zu kommen. Der ganze Abschaum der Unterwelt kommt in Scharen die Hänge herunter und siedelt tiefer. Fast bis nach Ilsenburg sind sie vorgedrungen, wenn das wahr ist, was du erzählt hast.« Der Brockenwicht verstummte. Er beobachtete misstrauisch die Umgebung und richtete seinen Blick unverzüglich in die Richtung, aus der ein ungewöhnliches Geräusch zu kommen schien oder wo er eine Bewegung wahrgenommen zu haben glaubte. Ich musste auch die neuen Erkenntnisse über die unheimlichen Kreaturen, die ich mein Leben lang als Unfug und Aberglaube abgetan hatte, erst einmal verdauen und stieg schweigsam den Berg hinauf. Offenbar waren sie real, davon konnten mein verletztes Bein und die dreckige Kleidung ein Lied singen und es gab auch keinen Grund, dem Brockenwicht nicht zu trauen.
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Angelina hatte ihren Vorsprung bereits auf etwa hundert Meter ausgebaut, dennoch machte ich mir keine Sorgen, dass sie in die falsche Richtung laufen würde. Die breite Chaussee zog sich schnurgerade durch den stillen, verdorrten Wald, ich konnte meine Frau die ganze Zeit sehen, bis auf wenige Augenblicke, wenn die Straße eine leichte Biegung machte, und ich konnte manchmal sogar das Rascheln der kleinen Steinchen unter ihren Schuhen hören und das Klappern des Wanderstocks, wenn sie ihn über den steinigen Boden nachzog. Ein paarmal hatte ich gesehen, dass sie kurz stoppte, etwas aus ihrem Rucksack herausholte und alsdann weiterwanderte, während sie ihre Hand regelmäßig zu ihrem Mund führte. Das, was sie in der Hand hielt, sah sehr nach den Resten des Kochschinkens aus, den sie an den Ilsefällen nicht gegessen hatte. Sie hatte wirklich einen Riesenhunger und sie war absolut erschöpft, es gab gar keinen Zweifel, der Aufstieg setzte ihr genauso zu wie mir auch. Ich konnte es von hier sehen. Sie brauchte mir bei der nächsten Rast nichts über ihre wundersame Fähigkeit zu erzählen, den Berg unermüdlich hinaufwandern zu können. Mein kleiner Beschützer wurde wieder aktiv, als der Forstweg den letzten Knick gemacht hatte, bevor vorne ein grüner Waldstreifen sichtbar wurde, auf den die Straße zulief. Dort stand Geli und wartete auf mich. »Pass auf«, sagte er in Gedanken vertieft, »ich sag dir jetzt noch ein paar Dinge, sonst pflaumst du mich gleich wieder an, wenn ich mit dir auf der Hermannsklippe im Beisein deiner Frau reden will.« »Ich höre.« »Du willst also auf den Brocken …« »Das ist der Plan!«, sprach ich dazwischen. »Es war keine Frage, guter Mann, es war eine Feststellung. Dann hör mal zu. Von der Klippe bis zum Hirtenstieg ist nur ein Katzensprung. Dort werden sich unsere Wege trennen.« »Wie jetzt?« Ich war entsetzt. »Ja, da fängt der Berg an. Auf den Brocken geht keiner von uns«, antwortete er ernst. »Und was soll ich machen?«, fragte ich voller Frust und Ratlosigkeit.
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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