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Der Brockenwicht: Seite 29
»Was?«, verteidigte ich mich. »Sieht auf jeden Fall besser als deine aus!« »Jaja. Du bist der große Stempelmeister!«, witzelte sie weiter. »Weißt du, ich habe irgendwie wieder Hunger.« »Okay, dann iss was. Es ist Mittagszeit, wir könnten ja auch richtig Mittag machen, aber ich würde vorziehen, es irgendwo oben auf dem Berg zu tun. Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, dass ich mit vollem Bauch nicht weit komme.« »Gut. Dann essen wir oben«, stimmte Geli meinem Vorschlag zu. »Ich glaube, es wird gleich richtig steil. Wir sind hier schon unmittelbar am Hang des Brockens. Laut Beschreibung liegt diese Hütte auf der Höhe von sechshundertfünfzig Metern und wir müssen auf eintausendeinhundert hinauf. Wir sind bei dreihundert in Ilsenburg gestartet, also haben wir erst dreihundertfünfzig Höhenmeter geschafft. Noch mehr als die Hälfte liegt vor uns und bis zum Gipfel sind es nur vier Kilometer. Mach dich auf etwas gefasst!« »Das ist kein Problem für mich!«, sagte sie selbstbewusst. »Sieh lieber zu, dass du nicht zurückfällst.« »Sag ihr, sie soll nicht zu weit weglaufen«, mischte sich der Brockenwicht in unsere Unterhaltung ein. »Auf dem Hirtenstieg wird es gefährlich.« Ich schielte auf ihn missbilligend, sagte meiner Frau dennoch: »Es wäre vielleicht ganz gut, wenn du hin und wieder anhältst und auf mich wartest. Lauf nicht so weit nach vorn!« »Dann werde ich aber sofort müde und …« »Ja, ich weiß«, unterbrach ich sie. »Dann gib dir Mühe! Ich denke, wir sollten die Sache jetzt angehen.« »Gib du dir Mühe, schneller zu laufen«, sagte sie abschließend. Meine Frau hatte schon immer angenommen, dass sie das letzte Wort sprechen musste. Schon sehr bald stieg die Chaussee in einem steilen Winkel an. Diese Bezeichnung verwendete man im Harz aus einem mir unbekannten Grund ziemlich oft zum Benennen von Waldstraßen. Sie führte nunmehr durch einen dichten, jedoch absolut trockenen, toten Wald, der in keiner Weise das Auge erfreute. Ich war gleich zu Anfang erwartungsgemäß in Rückstand geraten und schlug mich alleine, meinen treuen Begleiter, den Brockenwicht, auf der Schulter, mit dem zermürbenden Gefälle auf der staubigen Piste.
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»Wie hast du das neulich gemeint, es waren nicht die Borkenkäfer?«, fragte ich ihn, während ich mir den gespenstischen Wald entlang des Weges ansah. »Ach! Jetzt schämst du dich plötzlich nicht mehr meiner Gesellschaft?«, entgegnete er giftig. »Hör doch auf, Wicht!« »Brockenwicht, bitte.« »Schön, Brockenwicht! Hör doch auf! Ich kann doch jetzt meiner Frau nicht irgendwas von einem Brockenwicht erzählen, den ich getroffen habe und mit dem ich mich ab und zu unterhalte, während sie ihn gar nicht sehen oder hören kann. Sie glaubt, dass ich den Verstand verloren habe und in eine geschlossene Psychiatrie gehöre!« »Immer das Gleiche!«, schimpfte er weiter. »Sind wir denn so abstoßend, dass uns keiner seinen Familienangehörigen vorstellen will?« »Im Gegenteil«, erwiderte ich, »ich finde dich sehr sympathisch und bin dir auch sehr verbunden, aber … aber unsere Bekanntschaft soll unter uns bleiben.« »Jaja, immer diese Ausreden!«, entgegnete er entrüstet. Er schwieg. Ich traute mich vorerst ebenfalls nicht, ein Wort zu sagen, zumal mir der Anstieg im Augenblick dermaßen zusetzte, dass es mir nicht nach Unterhaltung war. »Also, wie war das mit den Käfern?«, fragte ich vorsichtig erneut nach einer Weile. »Was soll denn mit ihnen gewesen sein?«, sprach er in ruhigem Ton. »Sie waren es gar nicht. Vor zehn Jahren haben die Schattenzwerge den Wald angegriffen.« »Wer?«, wollte ich es genauer wissen. »Die Schattenzwerge. Die Kreaturen, die du ja schon kennengelernt hast, wenn ich mich nicht irre. Als ich dich auf dem Boden im Wald fand, wimmelte es nur so von ihnen. Sie haben sich schon beinahe festgebissen an deinen Beinen.« Es graute mir schon von der bloßen Vorstellung. Ich fragte: »Diese merkwürdigen Wesen, die ich nie so richtig sehen konnte?« »Ja, genau die, guter Mann. Es sind ganz böse, gemeine Biester. Du hast sie im Wald vermutlich zuerst nur neben dem Pfad als Schatten gesehen und als du bewegungslos auf dem Boden lagst, schlugen sie zu!«
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KurzinhaltDie Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?Über den Autor
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