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Der Brockenwicht: Seite 28

Vereinzelt standen dort nur noch wenige abgestorbene Bäume im wuchernden Unterholz. Eine dicke, samtig weiche Moosschicht von kräftigem Grün war über die umgefallenen Stämme gewachsen, zwischen denen frische Schösslinge in die Höhe sprossen und den neuen Lebensraum eroberten. Überall hatten sich schon junge, halbwüchsige Tannen angesiedelt, die scheu wie kleine Mädchen waren und sich im Wechsel hintereinander versteckten, wenn man sie länger ansah. Noch zehn oder zwanzig Jahre, überlegte ich, und sie würden himmelhoch gewachsen sein, damit die Dichter sich wieder an dem Anblick ihres vollen, frischen Tannengrüns ergötzen konnten. Manchmal musste das Alte einfach weichen, um dem Neuen Platz zu machen. Die Natur ging zuweilen seltsame Wege. Wäre die Borkenkäferplage nicht gekommen, hätte sich dieser Wald vielleicht nie erneuern können. Ich dachte den Gedanken weiter und kam zum Schluss, dass dies kein Einzelfall war, denn ein Eukalyptuswald musste beispielsweise zwingend abbrennen, um dem neuen Leben eine Chance zu geben. Erstaunlicherweise platzten die Samenschalen der Früchte dieser Bäume besonders gut bei der alles vernichtenden Hitze des Feuers und gaben das Korn frei, das anderenfalls vermutlich nie eine Möglichkeit zum Keimen bekommen hätte. Ich musste mir somit keine großen Sorgen um die Waldbestände im Nationalpart Harz machen! Es war schon ohne meine Mitwirkung an alles gedacht worden.

Es wäre bestimmt besser gewesen, wenn man jeden Versuch unterließ, die Natur zu administrieren. Griff man unüberlegt an einer Stelle in die aufeinander abgestimmten Vorgänge ein, von denen die Menschen nicht die geringste Ahnung hatten, fehlte am anderen Ende der Lebenskette gleich ein wichtiges Glied. Nüchtern betrachtet schadeten die gut gemeinten Rettungsmaßnahmen am Ende vielleicht mehr als sie am Anfang gebracht zu haben schienen. Der menschliche Humanismus in Verbindung mit den Wundern der modernen Medizin hatte womöglich bereits die natürliche Selektion zum Erliegen gebracht, von der uns ein gewisser Herr Darwin so viel berichtet hatte und die den Menschen erst überhaupt zu dem gemacht hatte, was er heute war. Wohin es führte, konnte keiner sagen und diese Frage stellten sich vermutlich nur wenige, denn nüchtern betrachten konnte man es nicht, es ging um Menschenleben.

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Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Des Teufels Steg - Wenn sich die Pforte schließt

Roman von Nikolaus Warkentin
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Für mich stand auf jeden Fall fest, dass trockene Wälder im Harz für die Umwelt im Allgemeinen noch keine große Tragödie waren, auch wenn sich Mutter Natur des Alten entledigen musste. An dessen Stelle trat unverzüglich neues, junges Leben, es fand immer einen Weg, sich neu zu erfinden, man musste es nur gewähren lassen. Es war nicht viel anders als in der menschlichen Gesellschaft auch. Die alte Generation musste weg. Wenn solche kahlen, gebrechlichen Baumstämme wie meine Wenigkeit zu lange in der Gegend herumstanden, behinderten sie ungemein den frischen Wind des Neuen. Sie mussten endlich umfallen und verrotten, um das neue Leben mit voller Kraft aufblühen zu lassen mit Hilfe des Düngers aus Ideen und Gedanken, den sie hinterlassen hatten.

Wir näherten uns der Stempelsbuche, zumindest erblickte ich vorne eine Kreuzung. Der Weg mündete in eine breite Schotterstraße, die die Hermannschaussee hätte sein können. Sie führte zur nächsten Station auf unserem Weg – der Hermannsklippe. Hier befand sich laut Beschreibung im Wanderführer die nächste Stempelstelle der Harzer Wandernadel. Trotz all meiner Bemühungen fand ich in der näheren Umgebung keine Buche – vielleicht war sie zum Opfer der natürlichen Walderneuerung gefallen, vielleicht verbarg sich aber auch irgendeine tiefere Bedeutung in dem Namen des Rastplatzes. Stattdessen entdeckten wir an der Kreuzung eine Schutzhütte mit dem Stempelkasten in ihrem Inneren, an dem ein Schildchen die redlichen Wanderer etwas unangebracht in einfachen Worten darüber informierte, dass der Stempel in keinem Fall als Souvenir zu betrachten sei.

»Du kannst dich jetzt austoben«, bemerkte ich ironisch, holte die Broschüre aus der Tasche heraus und reichte sie Angelina.

»Warum lachst du darüber?«, fragte sie beleidigt.

»Keine Ahnung, kommt mir einfach komisch vor, was wir da machen. Aber es hat was! Ich bin langsam auch zu einem eingefleischten Stempler geworden. Lass mich auch mal stempeln!«

Ich machte im Wanderführer einen fetten Abdruck mit der Ziffer acht in der Mitte, es war die Nummer der Stempelstelle. Der Name ›Stempelsbuche‹ präsentierte sich ebenso stolz auf der Seite mit der Beschreibung der Heinrich-Heine-Wanderung über dem Text.

»Ist doch gut geraten, oder?«, suchte ich nach einer Bestätigung bei Geli.

»Na ja …«, stufte sie scherzhaft meine Leistung als Stempelkünstler ein.

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Der Brockenwicht von Nikolaus Warkentin

Kurzinhalt

Die Welt des Guten und die Welt des Bösen. Wo liegt die Grenze, die dazwischen verläuft? Gibt es sie überhaupt oder ist es ein und dieselbe Welt, zwei Wirklichkeiten, die miteinander zu einer verschmolzen sind, wo sich die Realitäten überlagern und wie unsichtbare Zahnräder ineinandergreifen? Oder gibt es ein mysteriöses Portal, durch das man aus einer Welt in die andere gelangen kann? Wenn es wahr ist, so muss es irgendwo auf dem Blocksberg im Harzgebirge liegen, denn mindestens einmal im Jahr öffnet sich das geheimnisvolle Tor in die Unterwelt und der Fürst der Finsternis übernimmt die Macht auf dem sagenumwobenen Brocken. Ein Mann durchlebt während seiner Wanderung auf dem Heinrich-Heine-Weg im Harz die Walpurgisnacht aus Goethes Faust auf seine eigene Art. Ein seltsamer Kobold, ein durch seine Vorstellungskraft entstandenes Fabelwesen, begleitet ihn als treuer Beschützer auf seinem beschwerlichen Weg. Der Wanderer begegnet Leuten, die er nur flüchtig kannte oder schon seit Jahrzehnten nicht mehr sah. Sie scheinen aber alle nicht mehr von dieser Welt zu sein und sind aus irgendeinem Grund alle wieder da, um an der teuflischen Aufführung teilzunehmen. Er trifft auf bizarre Wesen, die nur der Hölle entsprungen sein können. Hexen kreisen in Scharen über seinem Kopf und schließlich bringt ihn der Höllenfürst dazu, einen Pakt mit ihm zu schließen, der noch ein langes Nachspiel haben wird, in das einige Unbeteiligte wie in einen Strudel des Verderbens mit hineingezogen werden. Es scheint zuweilen alles Fantasie zu sein, aber wer weiß: Vielleicht ist auch etwas Wahres dran?
Nikolaus Warkentin

Über den Autor

Name: Nikolaus Warkentin
Geboren: 1962
Hauptberuf: Unternehmer
Hobby: Reisen
Veröffentlichungen: 3
Reiseroman: 1
Novelle: 1
Roman: 1
Kontakt: » E-Mail Nachricht
Statistiken

Zahlen & Daten zum Werk

Aufrufe: 9.822
Online Seiten: 130
PDF Downloads: 0
PDF Seiten: 298
EPUB Downloads: 0
EPUB Seiten: deviceabhängig
Druckzeichen: 495535
Druckwörter: 91448
Buchseiten: 384
Erschienen: July 2022

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